Nachruf auf Professor Fritz Dieter Neumann

21.08.2023 von Prof. em. Dr. Kurt Czerwenka

Fritz Dieter Neumann war einer der am längsten mit der Hochschule/Universität Lüneburg verbundenen Angehörigen. !969 begann er sein Lehrerstudium und bereits 1974 seine Mitarbeit an der damaligen Pädagogischen Hochschule. So erlebte er die Entwicklung der Einrichtung hautnah mit, war sogar an den Entscheidungen selbst beteiligt, die heute fast niemand mehr erinnert. Denn der Ausbau der damaligen Pädagogischen Hochschule, Abteilung Lüneburg, sollte in den 70er Jahren zusammen mit der Fachhochschule zu einer, gerade angesagten, Gesamthochschule Nordostniedersachsen erfolgen. Damit begann er 1974, bereits Leutnant der Reserve, als Wiss. Hilfskraft in der Planungskommission unter der Leitung von Prof. Dr. Helmut de Rudder seine akademische Mitarbeit. Das Scheitern dieser Planung und deren Umstände beeinflussten fortan auch sein wissenschaftliches Denken. Der geistige Virus der Skepsis hatte ihn befallen und ließ ihn künftig auch an sogenannten wissenschaftlichen Wahrheiten zweifeln. Die Spur zur menschheitskritischen Evolutionstheorie von Charles Darwin war zwar noch nicht gelegt, aber zumindest angeregt.

Zunächst beschäftigte ihn die Wissenschaftstheorie und Wissenssoziologie. Angeregt von seinem Geschichtsstudium suchte er die Quellen seines wissenschaftlichen Gegenstandsbereichs, der Lehrkräftebildung, auch nicht in den modernen empirischen Erkenntnissen, sondern in den historisch-geisteswissenschaftlichen Beständen. Die Orientierung an Eduard Spranger ließ ihn nicht mehr los. So sah er die beste Methode der Lehrkräftebildung auch nicht in wissenschaftlichen Differenzierungen, sondern im Modell der „Bildnerhochschule“. (Dissertation und Habilitation)

Auch wenn ihn seine Orientierung an der Geschichte zu einem konservativen Denker und Wissenschaftler werden ließ, war er in vielen Bereichen seiner Zeit voraus: Seine jahrzehntelange Sorge um die Umwelt, insbesondere in Vegetation und Tierwelt, seine schon frühe Befürchtung einer Überbevölkerung unseres Planeten, seine Verweigerung einer Idee der Machbarkeit von Begabung von Außen, gerade hochmodern in den 70er und 80er Jahren, seine Hochschätzung der Evolutionstheorie noch vor der Anerkennung durch den Papst und die  Skepsis gegenüber einer allgegenwärtigen Wissensgesellschaft, neuerdings widerlegt durch Krieg und Krisen. Sie ließen ihn zum Mahner einer übertriebenen Fortschrittsideologie werden.

Viele Intellektuelle, Politiker, Bildungsverantwortliche und Zukunftsforscher erkannten seine analytische Denkfähigkeit und bemühten sich um ihn als politischen Berater für Parteien, Landesregierungen, Institute, als Mitglied im wissenschaftlichen Beirat des Philologenverbandes, als Berater des Realschulverbands, als Tourismusberater bei der TUI, als vielfachen Autor in hochrenommierten Fachzeitschriften. Verbunden mit seinem herausragenden rhetorischen Talent wurde er zu Hunderten von Vorträgen eingeladen in Stiftungen, Rundfunk und Fernsehen, Landesparlamenten, Lehrerverbänden, politischen Gremien, aber auch in Schulen und Elternvereinigungen.

Dies alles fand fast unbemerkt von seiner Hochschule, seinem Heimatort und seiner unmittelbaren Umgebung statt. Noch bevor Lüneburg durch die Leuphana in ganz Deutschland bekannt wurde, kannten zumindest die Bildungseinrichtungen F. D. Neumann. Zu Hause ging alles seinen „normalen“ Gang, er promovierte mit Auszeichnung, habilitierte sich und wurde 1997 zum Professor ernannt. Weshalb machte er „im eigenen Land“ nicht mehr aus seiner Berühmtheit?

Neumann war sehr heimatbezogen, gesellig und schätzte seine private Idylle. Geboren im Alten Land, war er ein typischer Norddeutscher, der in seiner Kindheit noch den sagenumwobenen Schäfer Ast aus der Heide kennengelernt hatte. Diese Idylle wollte er sich bewahren und sie hüten: So trug er seine wissenschaftlichen Auseinandersetzungen, die bei einer solch menschheitskränkenden Theorie wie der von Charles Darwin nicht ausblieben, streitbar in Fachzeitschriften und auf fremdem Terrain aus und blieb freundlicher Mitarbeiter und Mitbürger zu Hause. Auch Berufungen an fremde Universitäten waren eher unwichtig : Einmal ist die Evolutionstheorie nicht überall beliebt, wie wir aus den USA wissen, zweitens sind scharfe Denker in vielen akademischen Kreisen nicht beliebt bzw. stören die eigene Einrichtung oder die Reputation und drittens wollte er sich ungern „in der Fremde“ bewerben. Er blieb sich sein Leben lang treu.

Auch an der eigenen Universität war er eher ein „Geheimtipp“ für anspruchsvolle Studierende oder kritische Geister, die sich an ihm abarbeiten wollten. Außerdem gelten die Argumente bezüglich seines wissenschaftlichen Ansatzes auch an der eigenen Universität. Nur ein kleiner Kreis befreundeter Kolleginnen und Kollegen ließ sich von ihm anregen. Noch bis zu seinem Tod beschäftigte er sich mit nachweisbaren Fehlern in der Wissenschaft, von denen jetzt wohl einige unentdeckt bleiben.
Seinem Prinzip wissenschaftlichen Arbeitens war er stets treu geblieben: Forschen in Einsamkeit und Freiheit.

Mit Fritz Dieter Neumann verliert die Universität einen großen, teilweise unerkannten, Forscher.

 

Fritz Dieter Neumann verstarb am 24. Juli dieses Jahres.