Birkenpollen schneller erkennen und vermessen mittels KI

Publikation der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Brigitte Urban des Instituts für Ökologie in "Ecology and Evolution"

01.07.2024 Die Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Brigitte Urban des Instituts für Ökologie beschäftigt sich intensiv mit der automatischen Erkennung von mikroskopischen Objekten (Pollen, Sporen, etc.) mittels KI basierter Verfahren. Eine Publikation dazu wurde nun in "Ecology and Evolution" angenommen und ist am 14.06.2024 online erschienen. In dieser Studie geht es um die automatische Vermessung von Birkenpollen. Diese Messungen machen es möglich, den Anteil der sehr ähnlichen Pollen von Baum- und Zwergbirken in einer Probe zu ermitteln. Die notwendigen Größenmessungen waren bisher nur manuell, mit sehr großen Aufwand, möglich. Die Arbeitsgruppe konnte nun erstmals ein automatisches Verfahren entwickeln.

Die Analyse von Pollen aus Seesedimenten und Torfen ist ein zentrales Werkzeug für die Rekonstruktion der Vegetation der Vergangenheit. Birkenpollen sind häufig in hohen Anteilen vertreten. Heute stammt dieser Pollen von unseren heimischen Baumbirken (Betula pubescens, Betula pendula), ältere Ablagerungen können aber auch Pollen der Zwergbirke (Betula nana) enthalten. Zwergbirken sind gegenwärtig in der Arktis und alpinen Hochlagen heimisch ist, waren in früheren eiszeitlichen Perioden aber auch in Mitteleuropa verbreitet. Um die frühere Verbreitung borealer Wälder mit Baumbirken und offener Steppen-Tundra mit Zwergbirken in solchen eiszeitlichen Phasen zu rekonstruieren, ist eine Unterscheidung der sehr ähnlichen Pollen von Baum- und Zwergbirken nötig. Rein morphologisch lassen sich die Pollen nur mit großen Unsicherheiten unterscheiden. Alternativ kann der Anteil von Baum- und Zwergbirkenpollen in einer Probe größenstatistisch abgeschätzt werden. Dafür mussten Pollen bisher sehr zeitaufwendig lichtmikroskopisch manuell vermessen werden. In einer neuen Studie der Arbeitsgruppe von Prof. Brigitte Urban an der Leuphana Universität Lüneburg, in Kooperation mit der Universität Greifswald, wurde dagegen ein automatisiertes, KI basiertes Verfahren zur Vermessung von Birkenpollen entwickelt, mit dem viele Tausend Pollenkörner pro Stunde automatisch vermessen werden. In einer aktuellen Publikation wird das Verfahren mit zwei Beispiel-Anwendungen vom Neandertal-Fundplatz Lichtenberg/ Landkreis Lüchow-Dannenberg/Niedersachsen und dem Kieshofer Moor bei Greifswald vorgestellt. Beide Beispiele zeigen deutliche Verschiebungen im Anteil von Baum- und Zwergbirken in Folge klimatischer Änderungen in den vergangenen ~130.000 Jahren. Der Ansatz ist damit ein wichtiges Werkzeug z.B. zur Rekonstruktion der Paläoumwelt des Neandertalers im laufenden Verbundprojekt zur Erforschung von Klima- und Landschaftsveränderungen und menschlicher Anpassungsstrategien seit der letzten Warmzeit in Norddeutschland (Climate Change and Early Humans in the North, CCEHN).

Der Ansatz ist ebenfalls geeignet zu untersuchen, ob und wie lange die klima- und standortabhängig auch strauchförmig wachsende Zwergbirke in niedersächsischen Tieflandsmooren seit dem Ende der letzten Eiszeit überdauerte und welche Umweltfaktoren sie verdrängt haben. 

Im nächsten Schritt soll der KI-Ansatz auf weitere Pollentypen (z.B. Gräser) und andere mikroskopische Objekte von hoher umweltwissenschaftlicher oder medizinischer Relevanz (z.B. Algen, Pilzsporen oder mikroskopisch kleine Holzkohle-Partikel) ausgeweitet werden, bei denen Größenparameter eine wertvolle zusätzlichen Information bei der taxonomischen Erfassung darstellen.

Die Veröffentlichung ist unter diesem Link zugänglich.