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Neu an der Leuphana - Prof. Dr. Tobias Lenz: „Wunder der europäischen Integration“

Neu an der Leuphana - Prof. Dr. Tobias Lenz

15.06.2020 Zwei Weltkriege erschütterten das 20. Jahrhundert. Seit Beginn der europäischen Integration vor 70 Jahren herrscht Frieden. Der Politikwissenschaftler nennt die Europäische Union (EU) ein „riesiges Erfolgsmodell“ und untersucht weltweit, wie auch andere Regionen durch ähnliche Staatenbünde Frieden finden oder wirtschaftlich profitieren.

„Mit dem Kommunismus und Sozialismus sind zwei große Utopien gescheitert“, sagt Tobias Lenz. Aber der Politikwissenschaftler beschreibt eine neue: supranationale Organisationen. Die Gründung der EU, damals noch Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, bot für Deutschland die Möglichkeit wieder in die Staatengemeinschaft aufgenommen zu werden. „Deutschland gab damit zwar viel von seiner nationalen Souveränität ab, profitierte aber wirtschaftlich und politisch stark“, sagt Tobias Lenz. Sein Standpunkt ist deutlich: Ohne EU gäbe es nicht seit 70 Jahren Frieden in Europa. Der Verbund stärke auch die einzelnen Länder: „Viele Staaten würden sonst zwischen den internationalen Supermächten zerrieben.“ In seiner Forschung untersucht er weltweit ähnliche Organisationsstrukturen. Beispielhaft nennt er die Afrikanische Union: „Durch die gemeinsame Zusammenarbeit sollen historische Rivalitäten überwunden werden. Der Prozess der afrikanischen Integration ist sehr ähnlich dem des europäischen Zusammenschlusses: Im vergangenen Jahr wurde ein Freihandelsabkommen vereinbart. Der Personenverkehr soll ähnlich dem Schengen-Abkommen erleichtert werden und es ist ein gemeinsamer afrikanischer Pass geplant“, erklärt Tobias Lenz. Der Name „Afrikanische Union“ sei bewusst in Anlehnung an die EU gewählt worden: „Es waren auch Vertreter*innen der EU bei der Gründung der Afrikanischen Union beteiligt.“ Auch in Südamerika gibt es ein ähnliches Modell: der gemeinsame Markt des Südens, kurz: Mercosur. Auch dort sollen Frieden und Wohlstand durch den Staatenbund erreicht werden. Wieder gilt die EU als Vorbild. Tobias Lenz führte in Südamerika etwa Expert*inneninterviews mit Vertreter*innen der Mitgliedsstaaten, Sekretariaten sowie Diplomat*innen und sichtete Archivmaterial. „Mich fasziniert, wie durch internationale Zusammenarbeit Konflikte bearbeitet und überwunden werden können“, erklärt Lenz.

Obwohl die EU für andere Staatenbünde Modell sei, verliere sie in Europa selbst an Anerkennung. „Das Narrativ verschiebt sich. In der Nachkriegszeit stand die EU für Wohlstand und Friedenssicherung“, erklärt Tobias Lenz. Heute schlage das Friedensargument bei einem Teil der europäischen Bevölkerung nicht mehr – Friede werde als selbstverständlich angesehen. Viele empfänden die EU jedoch als undemokratisch. Darauf müsse die Union reagieren. Narrative sind Teil der Gründung regionaler Organisationen, denn sie legitimieren deren Herrschaftsanspruch. Diese Narrative können funktional sein, also etwa: Die Gemeinschaft fördert das Wirtschaftswachstum. Aber sie können auch kommunitaristisch sein: Die Gemeinschaft als Ausdruck einer gemeinsamen Identität und Geschichte. Internationale Organisationen der Nachkriegszeit stehen für den Forscher in einem Spannungsfeld: Einerseits möchte man Probleme über nationale Grenzen hinaus gemeinschaftlich lösen. Andererseits bleibt der Wunsch nach Selbstbestimmung, der die Zusammenarbeit dort dämpfen kann, wo ein Gemeinschaftsgefühl über Grenzen hinweg kaum vorhanden ist. „Nicht alle Länder sind bereit, wie Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg sehr viel von der eigenen Souveränität abzugeben“, erklärt Tobias Lenz. Konsequenzen können institutionell schwache Regionalorganisationen sein, die nationalstaatliche Egoismen kaum zu zügeln vermögen.

Prof. Dr. Tobias Lenz betrachtet einen Globus. ©Leuphana/Gregor Jaap
Prof. Dr. Tobias Lenz betrachtet einen Globus.

Tobias Lenz studierte an der Universität Osnabrück Sozialwissenschaften und Volkswirtschaftslehre. Im Anschluss absolvierte er Praktika unter anderem bei einer Delegation der EU-Kommission in Chile und der Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen. Sein Master-Studium in Politikwissenschaft schloss an der University of Oxford ab. Dort promovierte er auch im Bereich der Internationalen Beziehungen. Danach wurde er Post-doctoral Fellow in einem von Prof. Liesbet Hooghe und Prof. Gary Marks geleiteten Projekt zur Autorität internationaler Organisationen an der Freien Universität Amsterdam. 2013 berief ihn die Georg-August-Universität Göttingen in Kooperation mit dem GIGA Leibniz-Institut für Globale und Regionale Studien in Hamburg zum Juniorprofessor für Globales Regieren und Vergleichende Regionalismusforschung. Im Studienjahr 2015/16 war er Max-Weber-Fellow am Europäischen Hochschulinstitut in Florenz, Italien. Dazu kommen Forschungsaufenthalte unter anderem in den USA, Südamerika, Singapur und Südafrika. Seit dem Frühjahr 2020 ist Tobias Lenz Professor für Internationale Beziehungen an der Leuphana.

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