Diversity Tag: "Wir sind nicht allein."

17.05.2021 Wie lebt es sich als nichtbinäre und/oder trans Person an der Universität? Nate und Dido erzählen von persönlichen Erfahrungen aus Studierenden- und aus Dozierenden-Sicht und dem großen Einfluss der Gender-, Queer und Trans-Studies für ihren Selbstfindungsprozess. Im Rahmen des Arbeitskreises Diskriminierungsschutz setzen sie sich für die strukturelle Verankerung von Diskriminierungsschutz an der Universität ein.

Wie stellt ihr euch im Uni-Kontext vor, beispielsweise im Rahmen eines Seminars? Wie lautet euer Pronomen?
Dido: Ich bin Dido und mein Pronomen ist „sie“, im Englischen auch „they“.      
Nate: Ich heiße Nate, ich benutze kein Pronomen. Wenn ich das Gefühl habe, dass sich die Menschen in der Runde noch nicht gängiger Weise mit Pronomen vorstellen, sage ich dazu, dass ich mit meinem Namen angesprochen werden möchte. Im Englischen auch „they/them“.
Wie oft kommt es vor, dass sich die Menschen im Seminar mit Pronomen vorstellen und wozu ist das wichtig?
Nate: Es kommt stark auf die anwesenden Personen an. Bei mir ist es der Standard, gerade als Seminarleitung lege ich viel Wert darauf, dass sich alle mit Pronomen vorstellen. Das dient dazu, dass diejenigen, die befürchten müssen mit dem falschen Pronomen angesprochen zu werden, nicht herausstechen und es zu keinem Moment des ‚Othering‘ kommt. Der Grund ist der, dass anhand des Namens und des Aussehens nicht darauf geschlossen werden kann, wie eine Person angesprochen werden möchte. 
Dido: Ich studiere Studium Individuale, ich habe also schon in verschiedene Bereiche reingeschnuppert. Es gibt einige Dozierende die das auf regelmäßiger Basis so machen, einige aber auch nicht. Ich persönlich stelle mich immer mit meinem Pronomen vor, denn sonst sprechen die Menschen mich falsch an. Ich habe aber das Gefühl, das Bewusstsein dafür wächst und viele FLINTA* Studis – das meint Frauen, Lesben, inter, nicht-binäre, trans und ageschlechtliche Personen – haben es schon gut drauf, Pronomen zu benutzen.
Wie reagieren die Menschen darauf, wenn ihr euch mit Pronomen vorstellt?
Dido: Ich bin seit 5 Jahren out – meine gesamte Zeit an der Leuphana. Lange bevor ich meinen Personenstand geändert habe, wurde ich auf Seminarlisten mit dem falschen Namen geführt. Um das zu korrigieren, habe ich im Vorfeld Mails an die Dozierenden geschrieben. Die Reaktionen waren ganz unterschiedlich – von Ablehnung und Gelächter bis hin zu einer angenehmen Gleichgültigkeit und dem Wunschzustand, dass alle mein Pronomen richtig benutzen. Inzwischen konnte ich meinen Personenstand ändern und bin überall mit richtigem Namen geführt.
Nate: Ich persönlich habe das Gefühl, dass ich mich viel in Kreisen bewege, die schon für die Thematik sensibilisiert sind. Dann wird es angenommen und versucht, ansonsten muss ich wiederholt darauf hinweisen und es einfordern. In meinem Seminar ist es überhaupt kein Problem, die Studis haben sich nach einer anfänglichen Unsicherheit, etwa bei der formellen Ansprache im Mail-Verkehr, schnell darauf eingestellt. Meine Präferenz ist ein einfaches „Hallo“ oder „Guten Tag“ als Ansprache.
Habt ihr im Uni-Kontext schon Erfahrungen mit Diskriminierung gemacht?
Dido: Ja, beispielsweise als einzige Person in Seminaren, die sich immer wieder outen muss. Dass ich aufgrund fehlender Umkleidekabinen für nichtbinäre Menschen nicht am Hochschulsport teilnehmen kann, oder dass Menschen transfeindliche Sachen sagen. Aufgrund der zahlreichen studentischen Organisationen, gerade den vielen queer-feministischen Initiativen, fühle ich mich an der Leuphana aber wohler als vermutlich an vielen anderen Unis. Es ist gut zu wissen, dass man nicht alleine ist.
Nate: Persönliche Angriffe habe ich an der Uni zum Glück bisher nicht erfahren. Ein weniger sichtbarer Aspekt der Diskriminierung, der aber für mich eine ständige Belastung darstellt, die mein ganzes Studium (und auch jetzt die wissenschaftliche Mitarbeit) begleitet, ist die zusätzliche emotionale Arbeit. Die leiste ich beispielsweise, um Freund*innen zu unterstützen, die schlechte Erfahrungen machen.
Würdet ihr sagen, dass es im Allgemeinen inzwischen mehr Offenheit für das Thema gibt?
Dido: Ich erlebe deutlich mehr Menschen, die solidarisch sind und die Überwindung von Patriarchat und Zweigeschlechtlichkeit als Befreiungskampf begreifen. Da gibt es eine wachsende, sehr starke Community. Aber die transfeindliche Lobby ist nicht zu unterschätzen. Das spiegelt auch die Entwicklung in der Gesellschaft wider: Einerseits die Verankerung von trans- und nicht-binären Lebensrealitäten und andererseits eine transfeindliche Organisierung, die immer stärker wird.
Nate: Das sehe ich auch so. Ich bin beeindruckt, wie viele Studis sich auch über die queer-feministischen Initiativen hinaus mit uns solidarisieren und eine ganz klare Haltung, etwa in Bezug auf Transfeindlichkeit oder transfeindliche feministische Strömungen haben. Die Sichtbarkeit von geschlechtlicher Vielfalt unter den Studierenden hat auf jeden Fall stark zugenommen. Auch weil es auf einmal Vorbilder gibt.
Welche Rolle spielt die Lehre dabei?
Dido: Für mich ist es sehr wichtig, in der Lehre queere Personen zu haben, die mir die Begriffe nähergebracht haben – die mir Konzepte und Wörter gegeben haben, um zu verstehen, was ich bin und was mit mir passiert. Je mehr wir davon haben, desto einfacher wird es für uns.
Nate: Mein Selbstfindungsprozess war stark von diesen Einflüssen geprägt – nicht nur von den Gender, Queer und Trans Studies, sondern allgemein von den kritischen Zugängen, die ich in meinem Kulturwissenschaftsstudium kennengelernt habe. Die feministischen Ansätze – sowohl in der Wissenschaft als auch in der Kunst – haben mir gezeigt, dass in Frage gestellt werden darf, was es bedeutet Mann oder Frau zu sein. Das führt zu einem Aktivismus: Als queere Menschen müssen wir uns mit den gesellschaftlichen Normen auseinandersetzen, weil sie uns nicht ausreichen; uns unterdrücken und wir so nicht glücklich werden können.
Wie können andere Menschen dazu beitragen, dass sich nichtbinäre Personen an der Universität wohler fühlen?
Dido: Mir nicht die Aufklärungsarbeit überlassen. Beispielsweise beim Thema Menstruation: Dass nicht immer die trans Frau sagen muss: ‚Hey nicht alle Frauen menstruieren und nicht alle Menschen die menstruieren, sind Frauen’. Wir sollten aufhören Menstruation mit Frau-Sein gleichzusetzen.
Nate: Geschlechtliche Selbstbestimmung ernst nehmen. Ist es so schwer davon auszugehen, dass eine Person selbst am Besten weiß, warum sie auf welche Toilette geht? Wie sie angesprochen werden will? Seid offen, informiert euch, tauscht euch aus, hört zu, solidarisiert euch. Respektiert Lebensrealitäten, die von den eurigen abweichen. Und, als goldene Regel: Niemals nach unten treten!
Welche Maßnahmen würdet ihr euch an der Universität noch wünschen?
Nate: Ein Thema ist die Toilettenpolitik, denn da kommt es zu einer ganz expliziten Ausgrenzung: Zum Beispiel dadurch, dass es auf den Männertoiletten keine Abfallbehälter für Hygieneartikel gibt. Sinnvoll wäre auch eine Antidiskriminierungsstelle, also eine Anlauf- und Beratungsstelle, die Diskriminierung intersektional denkt und sich auf die Seite der betroffenen Person stellt.
Dido: Dass es bereits geschlechtsneutrale Toiletten gibt, ist gut, aber es sind noch viel zu wenig. Historisch betrachtet wurde die Vergeschlechtlichung von Toiletten einst eingeführt, um Frauen von der Öffentlichkeit auszuschließen. Heute wird sie benutzt, um die Körper von trans Personen zu regulieren. Dasselbe gilt für die Umkleidekabinen beim Hochschulsport. Bürokratisch wünsche ich mir außerdem eine leichtere Anerkennung des Personenstandes.
Was würdet ihr der Community gerne noch sagen?
Nate: Ich möchte die gute Arbeit der vielen studentischen Initiativen und der Lüneburger Beratungsstellen und Initiativen betonen: QuARG, der AK Diskriminierungsschutz, Hochschulgruppen wie die kritische Unabhängige Liste und Campus Grün, der Checkpoint Queer oder SCHLAU e. V. Auch mit der universitären Gleichstellungsarbeit sind wir gut vernetzt, diese Arbeit ist nicht immer einfach, aber extrem wichtig.
Dido: Ein Grußwort an alle trans-, nicht-binären und intergeschlechtlichen Menschen an der Leuphana: Vernetzt euch! Wir sehen euch! Wir werden nicht aufhören zu kämpfen! Es lohnt sich immer, einander anzusprechen und sich zusammenzufinden – denn gemeinsam ist es viel einfacher! 
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Caroline Huzel.