Option Durchhalten bietet Chancen

Management der Unsicherheit

09.03.2023 Umgang mit Krisen in Unternehmen und Organisationen – vier Lehren aus der aktuellen betriebswirtschaftlichen Forschung für die Praxis. Von Matthias Wenzel und Sarah Stanske

Management der Unsicherheit ©Markus Lemmens
Prof. Dr. Matthias Wenzel ©Leuphana/Brinkhoff/Mögenburg
Dr. Sarah Stanske ©(C) 2019 Matt Stark, www.mattstark.de

Die strategische Planung ist für jede Organisation eine zentrale Pflicht. Hierbei das Verhalten aktuell anpassen zu können, entscheidet über existenzielle Fragen. Das gilt sowohl für den Fortbestand von Unternehmen als auch von Non-Profit-Einrichtungen.

Verschiedene Szenarien werden – so der Normalfall – jeweils von der Leitungsebene im Dialog mit den operativen Einheiten der Organisationen entwickelt. Ziel ist es, mit einer unsicheren Zukunft bestmöglich umgehen zu können. Doch aktuelle Krisen wie zum Beispiel die COVID-19 Pandemie seit 2020, der Krieg in der Ukraine seit Anfang 2022 und die dadurch ausgelöste Verteuerung der Energie zeigen, dass selbst die sorgfältigste Vorausschau und das Denken in Alternativen an Grenzen stößt. Was ist aus betriebswirtschaftlicher Sicht im jeweiligen Einzelfall zu tun? Vier Optionen werden im Vergleich der Erkenntnisse aus aktueller Forschung durchgespielt. 

Krisen gelten gemeinhin als Entwicklungen. Sie bergen potenziell verheerende und unvorhersehbare Wirkungen auf Unternehmen, Industrien und ganze Gesellschaften. In einer zunehmend agileren, vernetzten und globalisierten Welt werden solche Ereignisse noch häufiger auftreten. Daher ist es wichtig, die Möglichkeiten rascher Handlungsoptionen zu betrachten. Damit können Wege aus Krisen gefunden werden. In einem 2020 veröffentlichen Beitrag im Strategic Management Journal zeigen wir als Beitrag der Forschung aus der Leuphana Universität Lüneburg vier verschiedene Strategien für Unternehmen auf, um mit Krisen umzugehen. Die Ergebnisse lassen sich auch auf andere Organisationen – zum Beispiel auf die im gemeinnützigen Sektor – übertragen.

„Im Gegensatz zu Einsparungen beschreibt Durchhalten das Festhalten an dem Status Quo. Diese Strategie bewies sich vor allem in unübersichtlichen, schnell wechselnden Lagen als erfolgreich, wenn Akteure die Dauer und mögliche Konsequenzen noch nicht abschätzen können.“

Matthias Wenzel

 

Reduktion – eine mögliche Strategie

Einsparungen sind eine der gängigsten Maßnahmen im Krisenmodus. Sie umfassen und beschreiben den Rückgang der Produktion und die allgemeine Reduzierung von Kosten. Das ist beispielsweise durch einen Abbau des Personals oder einiger Sparten möglich. Der Münchner Konzern Osram setzte während der Pandemie entlang dieser ersten Variante auf Kurzarbeit; Vorstände und Führungskräfte verzichteten auf Teile ihres Gehalts sowie auf Boni. Was auf dem ersten Blick wie eine annehmbare Lösung aussieht, um sich strategisch auf die neuen Rahmenbedingungen einzustellen, könnte sich jedoch langfristig als ein Trugschluss erweisen: So können unter anderem Synergien zwischen Aktivitäten nicht mehr aufrechterhalten oder Skaleneffekte nicht mehr erwirtschaftet werden. Einsparungen gelten somit zwar als wichtige kurzfristige Handelsoption. Doch langfristige Folgen des Sparkurses werden oft unterschätzt, weswegen andere Strategien besser passen und in den Fokus rücken könnten.

 

Mut zur Langstrecke

„Courage ist gut, Ausdauer ist besser“, das wusste schon Theodor Fontane. Im Gegensatz zu Einsparungen beschreibt Durchhalten das Festhalten an dem Status Quo. Diese zweite Strategie-Option bewies im Rahmen der Forschung ihren Vorteil vor allem in unübersichtlichen, schnell wechselnden Lagen. Dies gilt dann, wenn Akteure die Dauer und mögliche Konsequenzen noch nicht abschätzen können. Anstatt frühzeitig in Aktionismus zu verfallen, wird gemäß dieser  Verhaltensoption von einem Unternehmen zunächst die weitere Entwicklung beobachtet, um dann später andere, geeignete Maßnahmen zu ergreifen. Gerade in den Anfängen der Pandemie war dies oftmals die Parole in der deutschen Theaterlandschaft. So wurde an Vorstellungen vorerst festgehalten, bis dann Mitte März 2021 der Lockdown der Bundesregierung beschlossen wurde. Studien zeigen, dass Firmen mit dieser Strategie besser fahren als Organisationen, die sich oft in strategischen Neuerungen versuchen, um sich schnell an einen unübersichtlichen Kontext anzupassen. Da die Strategie des Durchhaltens jedoch oft mit hohen Kosten verbunden ist, ist diese Option nur für einen mittleren Zeithorizont geeignet.

„Trotz sorgfältigster Planung können nicht alle Krisen vorhergesagt werden. Deshalb müssen Unternehmen und Non-Profit-Organisationen lernen, mit diesen veränderten Bedingungen umzugehen. Eine Handlungspraxis, die das leistet, gewinnt in einer globalisierten, immer agiler werdenden Welt zunehmend an Bedeutung.“

Sarah Stanske

 

Mit Innovationen aus der Sackgasse

Dass Krisen nicht nur Herausforderungen mit sich bringen, sondern auch Chancen bieten, ist eine oft zitierte Annahme. Diese wird auch durch unsere Forschung bestätigt. Niemals wurde schneller die Digitalisierung und Entbürokratisierung im Land vorangetrieben als es mit der Covid-Pandemie möglich wurde. Als dritte Option beobachteten wir deshalb das Innovieren. Damit ist das Beschreiten anderer Wege hin zu Prozess- oder Produktneuerungen gemeint. Studien lassen den Schluss zu, dass das Ausloten von Alternativen oft in Krisenzeiten betrieben wird. Und es steht fest, dass die soziale Umwelt genau dann neuen Ideen gegenüber offener eingestellt ist, als dies in ruhigen Zeiten der Fall ist. Obwohl das Innovieren das Verlassen von altbekannten Pfaden bedeutet, was zunächst auch wieder Unsicherheit provoziert sowie ressourcenintensiv sein kann, argumentieren wir als Ergebnis der Forschung, dass darin eine wertvolle Strategie zu sehen ist, um langfristige Lösungen zu finden. Vor allem wenn die Krise länger dauert, kann nicht das Heil im Durchhalten und Einsparen gesucht werden. Die zunehmend intensiver geführte Debatte um grüne Energie in Deutschland nahm beispielsweise weiter an Fahrt auf, nachdem Stimmen zur Abhängigkeit von russischem Öl im aktuellen Ukraine-Krieg lauter wurden. Wichtig für Manager*innen ist es aber hierbei, den richtigen Zeitpunkt zu finden. Ein zu langes Abwarten kann die eigenen Ressourcen schmälern, die zum Innovieren benötigt werden. Mit einem zu schnellen Agieren wiederum kann die neue Idee am Widerstand scheitern.

 

Raus aus diesem Business

Auch ein Ausstieg, das heißt die komplette Aufgabe von Geschäftsaktivitäten in krisengeplagten Umwelten, stellt eine wichtige Handlungsoption für Unternehmen dar. Als Beispiel ist hier der deutsche Automobilhersteller BMW zu nennen, der sowohl den Bau für als auch den Export von Autos nach Russland aussetzt. Obwohl diese Entscheidung aktuelle Umsatz- und Gewinneinbußen bedeutet, wird sie hingenommen. Das gilt aber nur für den Fall, dass eine anders gelagerte Handlungsoption oder Taktik als illegitim wahrgenommen werden oder nicht die gewünschte Wirkung entfalten würden. Hervorzuheben hierbei ist allerdings, dass es sich nicht um eine aufgezwungene Entscheidung handeln darf; sie muss ein bewusst strategisches Verhalten der Führung einer Organisation spiegeln, was den Ausgangspunkt für eine strategische Neuerungen sein kann. Finanziert wird das Neue dadurch, dass ein „raus aus diesem Business“ auch finanzielle und personelle Ressourcen freisetzt, die an anderer Stelle mit Zukunftspotenzial eingesetzt werden können. Dieser Ausstieg ist aber nicht als allerletzte Exit-Option zu werten. Für ein Unternehmen (und auch eine Non-Profit-Organisation) kann diese vierte Entscheidungs-Variante die Kraft entfalten, jederzeit bewusst Raum für Neuland zu schaffen.  

 

Fazit für die Praxis

Trotz sorgfältiger Planung können nicht alle Krisen vorhergesagt werden. Deshalb müssen Unternehmen und Non-Profit-Organisationen lernen, mit diesen veränderten Bedingungen umzugehen. Eine Handlungspraxis, die das leistet, gewinnt in einer globalisierten, immer agiler werdenden Welt zunehmend an Bedeutung. Um effektive Wege aus Krisen zu finden, zeigen wir vier Handlungsoptionen auf, welche wir aus der aktuellen Forschung ableiten konnten. Dabei ist nicht eine Option per se besser als die andere. Doch in jeweiligen Situationen ist die eine überzeugender als andere Alternativen. Die erste Abbildung verdeutlicht unsere Argumentation und zeigt, dass eine zeitliche Komponente berücksichtigt werden muss. Sie bietet eine Anleitung für die Praxis.

Anleitung für die Praxis ©Matthias Wenzel/Sarah Stanske
Mögliche Handlungsoptionen werden zu den unterschiedlichen Wegen aus der Krise aus dem Blickwinkel einer zeitlichen Perspektive zusammengefasst. Die Akteure müssen individuell entscheiden, welche Strategie bei unsicheren Rahmenbedingungen zur Situation im Unternehmen oder der Organisation passt.

Ist anzunehmen, dass die Krise von kurzer Dauer ist, zeigen Studien, …

  • …dass Einsparungen eine gute Möglichkeit sind, um den möglichen Schaden einzudämmen.
  • Um Synergieeffekte aufrecht zu erhalten und um vorzeitigen Aktionismus zu verhindern, ist mittelfristig jedoch ein Durchhalten zu bevorzugen,
  • …wohingegen langfristig das Innovieren die beste Option darstellt.
  • Der Ausstieg dagegen ist eine Option, die für Akteure jederzeit offensteht.

Obwohl eine langfristige strategische Planung weiterhin von Bedeutung sein wird, werden doch auch Handlungsoptionen zu berücksichtigen sein, die vorher nicht eingeplant waren, da Krisen zwar unvorhersehbar sind, jedoch an Bedeutung gewinnen werden. Unsere genannten Optionen sind somit vielmehr als ein zusätzliches Element zu verstehen als eine bloße Substitution von traditionellen Strategieelementen.

Die zweite Abbildung beschreibt die möglichen Wirkungen, die dieser Forschungsbeitrag für die vier Dimensionen der Praxis bereithält.

Wirkungsgrafik Forschungsergebnisse ©Matthias Wenzel/Sarah Stanske
Mögliche Wirkungen der im Beitrag beschriebenen Forschungsergebnisse könnten sich in den vier Handlungsfeldern Wissenschaft, Wirtschaft, Gesellschaft und Politik zeigen. Für die Praxis ist diese subjektive Einordnung der beiden Forschenden eine Hilfestellung bei der Suche nach geeigneten Lösungen für Herausforderungen in Unternehmen oder Organisationen im Umgang mit Krisen. Den Adressaten des Artikels wird dadurch die Überführung der Forschungsergebnisse in die eigene Praxis (Transfer) erleichtert. Werden dann dort Lösungen für Fragestellungen gefunden, wäre dies ein erster Hinweis für die Wirkung der Forschung (Impact).

Kontakt

Leuphana Universität Lüneburg
Institut für Management & Organisation
Fakultät Management und Technologie
Universitätsallee 1
21335 Lüneburg

Prof. Dr. Matthias Wenzel

Dr. Sarah Stanske