Neu an der Leuphana: Prof. Dr. Jordan Troeller - Kreativität in der Gegenwartskunst

11.07.2023 Die in den USA geborene Kunsthistorikerin erforscht die Darstellung von Mutterschaft in der Kunst: „Der Akt des Mutterseins gehört zu den am wenigsten geschätzten Arbeiten in unserer Gesellschaft. Sie wird als banal und langweilig angesehen, als das genaue Gegenteil von kreativer, innovativer Arbeit. Und doch gibt es keine Erfahrung, die herausfordernder und grenzüberschreitender ist als das Aufziehen eines Menschen von der Kindheit bis zum Erwachsenenalter“, sagt die Juniorprofessorin. Sie sucht in der Kunst nach Möglichkeiten, das gewachsene Bild zu verändern.

Jordan Troeller ©Leuphana/Marie Meyer
„In der Kunst können Schüler*innen die Welt ganzheitlich erfahren und Zusammenhänge zwischen verschiedenen Wissensgebieten erkennen. Es gibt kein Richtig und Falsch wie in der Mathematik", sagt Jordan Troeller.

Die Jungfrau Maria mit dem Christuskind ist eine der ikonographischsten Darstellungen von Mutterschaft in der westlichen Kunst. „Die Jungfrau Maria dominiert die gesellschaftlichen Erwartungen an die Mutterschaft und verbindet sie mit Selbstaufopferung und Reinheit, obwohl das Aufziehen eines anderen Menschen alles andere als das ist“, sagt Prof. Dr. Jordan Troeller. Sie hat die Juniorprofessur für Kunstwissenschaft, Ästhetische Praktiken inne. Die religiöse Idealisierung geht einher mit der Dämonisierung der Frau als „böse Stiefmutter“, wie sie in Märchen üblich ist oder einer starken Sexualisierung durch Nacktheit. Jordan Troeller will dieses binäre Denken umkehren, wie sie sagt: „Zeitgenössische Künstlerinnen, von denen viele selbst Mütter sind, hinterfragen mit ihrer Arbeit nicht nur, was Mutterschaft heute im Zeitalter von Biotechnologie und Klimawandel bedeutet, sondern auch, wie wir die Grenze zwischen Künstlichkeit und Natur, zwischen der Produktion lebensechter Bilder und der Produktion lebendiger Körper definieren.“ Sie geht der Frage nach, wie wir anders über Mutterschaft und Weiblichkeit denken können: „Die dargestellten Extreme gibt es einfach nicht. Die heutigen gesellschaftlichen Strömungen haben nicht-normative Familienmodelle hervorgebracht, die die langjährigen Erwartungen an die soziale Reproduktion verändern“, erklärt Jordan Troeller.

Sie wird ihre Forschungsinitiative „The M/Other Project: Kreativität, Fortpflanzung und zeitgenössische Kunst“ in den nächsten sechs Jahren mit ihrer eigenen Forschungsgruppe weiterverfolgen. Die Forschungsgruppe ist am Institut für Philosophie und Kunstwissenschaft der Leuphana angesiedelt und wird eng mit dem Institut für Kunst, Musik und ihre Vermittlung zusammenarbeiten. Für ihre Forschungen zur Kreativität in der zeitgenössischen Kunst hat die Kunsthistorikerin ein mit 1,1 Millionen Euro dotiertes Freigeist-Stipendium der VolkswagenStiftung erhalten.

Ein Beispiel für die Art von künstlerischen Arbeiten, die Jordan Troeller erforscht, ist Antje Engelmanns „Die große Mutter“. Sie hat die ikonische Darstellung der Jungfrau Maria in ein fremdes und ungewohntes Bild verwandelt. Es ist ein Porträt von Engelmanns Tante Renate, die im Alter von 16 Jahren begann, ihren Lebensunterhalt als Prostituierte zu verdienen. „Wir haben es hier mit einer profanen Entweihung einer ansonsten sakrosankten Ikonografie zu tun - statt des eleganten Gewandes der Jungfrau Maria ist Renate in Strudelteig gehüllt, eine traditionelle Süßspeise in der donauschwäbischen Region, in der Engelmann aufgewachsen ist“, erklärt Jordan Troeller und fragt: „Wie bringt uns ein Werk wie dieses dazu, enge Definitionen von Mutterschaft und damit von traditionellen Geschlechterrollen zu erweitern? Welche Auswirkungen könnte eine solche Erweiterung darauf haben, wie wir reproduktive Arbeit bewerten?" Die Pflegearbeit von Müttern gehört zu den am schlechtesten bezahlten Tätigkeiten in der westlichen Welt: „Obwohl Mütter über eine Menge Weisheit und Wissen verfügen“, sagt Jordan Troeller.

Ein Ziel der Kunsthistorikerin ist es, eine Brücke zwischen dem Institut für Kunst, Musik und ihre Vermittlung und dem Institut für Philosophie und Kunstwissenschaft zu bauen, vor allem durch forschungsbasierte Lehre. „Es gibt herausragende Künstler*innen, die auch an Schulen unterrichten“, erklärt Jordan Troeller: „In meiner Forschung schaue ich mir Künstler*innen an, die ihre Lehrtätigkeit sehr ernst nehmen.“ Die Kunsthistorikerin wird auch im Studiengang „Lehren und Lernen“ unterrichten und weist auf die besondere Rolle des Kunstunterrichts an Schulen hin: „In der Kunst können Schüler*innen die Welt ganzheitlich erfahren und Zusammenhänge zwischen verschiedenen Wissensgebieten erkennen. Es gibt kein Richtig und Falsch wie in der Mathematik. Kunst ist eine Landschaft der verschiedenen Möglichkeiten.“

Prof. Dr. Jordan Troeller studierte an der University of California, Berkeley und absolvierte einen Master an der Harvard University, wo sie 2018 auch promoviert wurde. Zwischen 2009 und 2012 arbeitete sie als Kunstkritikerin für Artforum.com. Weitere Stationen führten sie an die Universität Graz und die Freie Universität Berlin. 2022 nahm sie einen Lehrauftrag an der Leuphana Universität Lüneburg an und begann am 1. April ihre Tätigkeit als Juniorprofessorin für Kunstwissenschaft, Ästhetische Praktiken am Institut für Kunst, Musik und ihre Vermittlung. Nach einer Elternzeit wird sie im Sommersemester 2024 ihre reguläre Lehrtätigkeit aufnehmen. Jordan Troellers Forschungsschwerpunkte sind die europäische und sowjetische Avantgarde des frühen 20. Jahrhunderts, die Kunst der Nachkriegszeit in Europa und Amerika sowie die Geschichte der Fotografie.

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