Neu an der Leuphana: Prof. Dr. Sylvia Haider

„Im Gebirge ist das Zwei-Grad-Ziel längst überschritten“

04.08.2023 Die Ökologin hat die Professur für Vegetationsökologie und Biodiversitätsforschung übernommen. An der Ausbreitung bestimmter Pflanzenarten kann sie den Klimawandel ablesen.

Neu an der Leuphana: Prof. Dr. Sylvia Haider ©Leuphana / Ciara Charlotte Burgess
Neu an der Leuphana: Prof. Dr. Sylvia Haider ©Leuphana / Ciara Charlotte Burgess
Neu an der Leuphana: Prof. Dr. Sylvia Haider ©Leuphana / Ciara Charlotte Burgess

Vor 150 Jahren war der Artenreichtum auf mitteleuropäischen Gipfeln viel kleiner als heute. Was sich zunächst wie eine gute Nachricht anhört, ist ein Alarmsignal: „Viele Pflanzen können sich in höhere Regionen ausbreiten, weil es dort immer wärmer wird. Im Gebirge ist das Zwei-Grad-Ziel längst überschritten“, sagt Prof. Dr. Sylvia Haider. Sie hat die Professur für Vegetationsökologie und Biodiversitätsforschung übernommen. Einer ihrer Forschungsschwerpunkte liegt auf Ausbreitungsmustern von heimischen und nicht-heimischen Pflanzenarten entlang von Höhengradienten weltweit, die sie gemeinsam mit ihren Kolleg*innen des Mountain Invasion Research Network „MIREN“ untersucht. „Oft sind gerade nicht-heimische Arten ausbreitungsstark. Sie werden auf Dauer vermutlich zumindest lokal die Spezialisten in deren Mikrohabitaten verdrängen. Berge sind Biodiversitäts-Hotspots, denn noch gibt es viele klimatische Nischen. Aber auf Dauer verlieren wir Artenvielfalt, nicht zuletzt auch durch den zunehmenden Einfluss des Menschen“, erklärt die Wissenschaftlerin. Die Konsequenzen könnten dramatisch sein, da durch unterschiedlich schnelle Wanderungsgeschwindigkeiten verschiedener Organismengruppen (z.B. können Insekten ihrer klimatischen Nische schneller folgen als Pflanzen) die Stabilität der Ökosysteme ins Wanken gerät.

Sylvia Haider rechnet damit, dass sich Artengemeinschaften vereinheitlichen – und zwar weltweit. „Wir gehen davon aus, dass es in vielen Fällen die gleichen Arten sind, die sich besonders erfolgreich ausbreiten. Lokale Unterschiede, die sogenannte Beta-Diversität geht dadurch verloren. Es ist denkbar, dass es vielerorts überwiegend die gleichen ,Allerweltsarten‘ gibt, insbesondere dort, wo der Mensch die natürlichen Artengemeinschaften stört und damit die Etablierung neuer Arten fördert.“

Oft sind es gerade Pflanzen mit kleinen Samen, die sich gut ausbreiten können. Das Schmalblättrige Greiskaut ist ein Beispiel für eine eingeschleppte Art, die sich erfolgreich in Mitteleuropa etablieren konnte. Der gelblühende Korbblütler säumt im Herbst Autobahnen, Gleisbette oder Halden. „Ende des 19. Jahrhunderts kam die Pflanze mit Woll-Transporten aus Südafrika und wurde mit der Eisenbahn weiter verbreitet“, erklärt Sylvia Haider. Auch das Schmalblättrige Greiskaut ist durch den Klimawandel beeinflusst: „Untersuchungen haben gezeigt, dass sich diese Pflanze durch genetische Differenzierung an die lokalen klimatischen Bedingungen anpasst. Die südfranzösische Population ist zum Beispiel kälteempfindlicher als Pflanzen, die in Regensburg beprobt wurden. In einem Freiland-Experiment haben wir herausgefunden, dass die wärmeliebenden Populationen davon profitieren, wenn es insgesamt wärmer wird. Sie werden sich weiter ausbreiten.“

Wie problematisch ein Verlust von Biodiversität für das Funktionieren von Ökosystemen ist, wie beispielsweise die Produktivität von Pflanzengemeinschaften, untersucht Sylvia Haider in dem Baumdiversitäts-Experiment BEF-China im Rahmen der DFG-geförderten deutsch-chinesischen Graduiertenschule „TreeDì“. Auf rund 40 ha wurde in China eine Landschaft mit unterschiedlichen Art-Zusammensetzungen angepflanzt: „Unsere Untersuchungen zeigen, dass Bäume in artenreichen Gemeinschaften die vorhandenen Ressourcen besser nutzen können, also mehr Nährstoffe und Wasser aufnehmen. Ein Wald, der etwa aus Bäumen mit flach- und langwurzligen Bäumen besteht, kann mehr Wasser aus dem Boden ziehen, als ein Wald, in dem nur flachwurzlige Bäume wachsen“, erklärt Sylvia Haider. Auch die Blätter in einem artenreichen Wald können Nährstoffe besser verwerten als in einer artenarmen Gemeinschaft. Das sorgt für schnelleres Wachstum.

Sylvia Haider kann unter anderem an der Größe und Dicke eines Blattes viel über Umweltbedingungen aussagen: „Mit dicken und kleinen Blättern schützt sich eine Pflanze vor Austrocknung, aber auch extremen Wetterbedingungen wie Stürmen. Große, dünne Blätter sorgen für eine effizientere Photosynthese.“ Neben der Morphologie bestimmen Sylvia Haider und ihr Team im Labor die Nährstoffe in Blättern sowie beispielsweise den Gehalt pflanzlicher Phenole: „An den Zusammensetzungen können wir erkennen, wie gut sich eine Pflanze etwa gegen Blattfraß schützt und damit wie widerstandsfähig sie ist.“

Sylvia Haider ist national und international an verschiedenen weiteren Forschungsprojekten beteiligt: Unter anderem kooperiert sie mit dem Leibniz-Institut für Pflanzenbiochemie bei „Met-Total“. Untersucht wird die lebensraumabhängige Stoffwechselvielfalt. Sylvia Haider ist zudem Teil des Forschungsteams der Global Change Experimental Facility des Helmholtz Zentrums für Umweltforschung, wo in einem großen Langzeit-Feldexperiment die Folgen des Klimawandels für Ökosystemprozesse in verschiedenen Landnutzungstypen untersucht wird. Zudem beobachtet sie im Rahmen des globalen Nutrient Network seit vielen Jahren die Auswirkung von Düngung auf Grünlandgesellschaften.

Sylvia Haider studierte an der TU München Landschaftsarchitektur und Landschaftsplanung. Bis 2011 war sie Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der TU München mit den Schwerpunkten Landschaftsökologie, Renaturierungsökologie und terrestrische Ökologie und promovierte in Kooperation mit der ETH Zürich zum Thema „Altitudinal distribution of non-native plants: the effects of climate, habitat and introduction history“. Als wissenschaftliche Koordinatorin organisierte sie TUMbiodivers. 2012 wechselte sie an die MLU Halle-Wittenberg und wurde Mitglied des Deutschen Zentrum für Integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig. 2023 ist sie an die Leuphana Universität Lüneburg berufen worden.

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  • Prof. Dr. Sylvia Haider