Neu an der Leuphana: Prof. Dr. Anna Lisa Ramella – Weltraum-Ethnografie

27.08.2024 Wie blicken Weltraum-Forscher*innen auf das Unbekannte im All? Die Juniorprofessorin für kulturwissenschaftliche Methoden erforscht in ihrem neuen Vorhaben die Einstellung von Ingenieur*innen und Astronom*innen zur Zukunft. Schwerpunkt von Anna Lisa Ramellas Forschung ist Mobilität wie etwa von kenianischen Binnenmigrant*innen als auch Musiker*innen auf Tournee.

©Leuphana/Marietta Hülsmann
"Ich möchte mehr zu den Einstellungen der Ingenieur*innen erfahren. Wie gehen sie mit dem Unbekannten und der Zukunft um? Wie materalisiert sich noch zu erforschendes Wissen in technischen Geräten?", fragt sich Prof. Dr. Anna Lisa Ramella.
In Ihrer Forschung untersuchen Sie Einstellungen zur Zukunft. Wie gehen Sie methodisch vor?
Mich interessiert, wie sich Vorstellungen von Menschen in Praktiken ausdrücken. In Kenia habe ich beispielsweise zum Thema „Future Making in the Kenyan Rift Valley“ im SFB Future Rural Africa zu innerkenianischen Migrant*innen gearbeitet. Die meist aus Westkenia kommenden Arbeitssuchenden jobbten auf Schnittblumen-Plantagen. Dazu habe ich Methoden der audiovisuellen Anthropologie, u.a. Speculative Fiction, verwendet. Gemeinsam mit dem renommierten Kameramann Ben Bernhard ist im Moment der Film „Kesho – Tomorrow“ im Entstehen, den wir in Zusammenarbeit mit den Forschungsteilnehmenden in Kenia konzipiert haben. Der Film kombiniert fiktionales mit ethnografischem Material.
Auch in ihrem neuen Vorhaben werden Sie audio-visuelle Methoden verwenden. Sie begleiten Ingenieur*innen, die Messgeräte für All-Missionen entwickeln.
Ich filme in einem Labor und führe Interviews zum Thema des unbekannten Unbekannten, also dessen, von dem wir noch nicht wissen können, dass wir es nicht wissen. In diesen Laboren werden Messinstrumente entwickelt, welche Daten im All sammeln werden. Ich möchte mehr zu den Einstellungen der Ingenieur*innen erfahren. Wie gehen sie mit dem Unbekannten und der Zukunft um? Wie materalisiert sich noch zu erforschendes Wissen in technischen Geräten? Um der zu erwartenden Form der Forschungsergebnisse Rechnung zu tragen, plane ich mit Designer*innen und Programmierer*innen die Entwicklung eines multimodalen Publikationsformats.
Sie haben auch Bands auf Tour begleitet. Wie gingen Sie methodisch vor?
Eine Besonderheit der Mobilitätsforschung sind mobile Methoden. Deswegen reiste ich mit den Musiker*innen. Ich habe beispielsweise Indie- und Folkrock-Bands auf ihren Tourneen durch Europa und die USA begleitet. Ein Merkmal der teilnehmenden Beobachtung ist die Nähe und Beziehung zum Forschungsgegenstand. Ich musste in der Gruppe also meine Rolle finden und habe deshalb als Tourmanagerin und Merchverkäuferin ausgeholfen. Als audiovisuelle Anthropologin wurde ich aber vor allem durch das Filmen für die Bands als Forscherin sichtbar.
Was konnten Sie beobachten?
Ich habe mich in einem komplexen sozialen Raum bewegt, einem Mikrokosmos. Der Tour-Bus war nicht größer als ein üblicher Sprinter. Wegen der Enge wurde darauf geachtet, Konflikte zu vermeiden. Es wurde ausgewählte Musik gespielt; heikle Gespräche wurden nicht geführt. Die Konstante war die Bühne: Jeden Abend wurde an einem neuen Ort alles so eingerichtet wie am Vorabend – räumlich wie akustisch. Die Musiker*innen haben mir in den Interviews gesagt, dies seien die Momente gewesen, auf denen sie sich auf der Tour am meisten zuhause gefühlt haben. In welcher Stadt sie auftraten, war dagegen weniger wichtig. Sie erleben sich selbst als Nomad*innen.
Sie lehren am College als auch an der Graduate School. Warum sind Methodenkenntnisse bereits im Bachelorstudium wichtig?
Erstsemester-Studierende kommen oft aus der Schule mit der Vorstellung: Wenn ich etwas wissenschaftlich messe, dann komme ich immer zu einem objektiven Ergebnis. Deswegen möchte ich den Studierenden vermitteln, dass Methoden nicht wie Kochrezepte zu funktionieren. Sie müssen dem Forschungsgegenstand angepasst und entlang dessen entwickelt werden. Subjektivität gehört auch zur teilnehmenden Beobachtung: Der/die Forschende wird selbst zum „Messinstrument“.
Ethnographien werden in verschiedenen Disziplinen angewandt und können dazu dienen, eine den Gegenständen inhärente Prozesshaftigkeit zu beschreiben. Eine solche Forschung geht nicht davon aus, dass irgendwann ein Abschluss erreicht ist, sondern dass ein Ausschnitt einer Lebenswelt zu einem bestimmten Zeitpunkt und aus einer bestimmten Perspektive erfahrbar gemacht wurde.
Vielen Dank für das Gespräch!

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  • Prof. Dr. Anna Lisa Ramella