Utopie-Konferenz: „Zukunft ist wie eine Zahnbürste“ – Florence Gaub und Heinz Bude
Podiumsdiskussion
16.09.2024 Am zweiten Tag der Utopie-Konferenz 2024 diskutierte die Forschungsdirektorin der NATO-Akademie in Rom Florence Gaub, mit dem Soziologen Heinz Bude zum Thema ‚Wie verändert Vertrauen den Fortschritt?‘. Es moderierten Jagoda Marinic und Maja Göpel.
„Die Zukunft findet immer im Jetzt statt“, stellt Florence Gaub fest, „es gibt keine richtige Art über die Zukunft nachzudenken ohne Utopie.“ Sie sagt das vor dem Hintergrund der Runden zu Sicherheitsthemen, zu denen Sie – fast immer als einzige Frau – eingeladen wird. Dort herrsche die fragewürdige Faustregel ‚Das wird schon irgendwie gut gehen und momentan ist nun mal keine Zeit für Utopien‘ vor. „Die Utopie wird aber immer im Jetzt geboren.“
Ein Schlüsselmoment war für Florence Gaub der Arabische Frühling: „Das war der Augenblick, wo ich dachte: ‚Wie hätte man das voraussehen können?‘“ Mit strukturierter Zukunftsforschung tritt sie dem in der Außenpolitik verbreiteten Bullshitting ebenso entgegen wie dem Versagen der Vorstellungskraft. Diese versage nicht nur im Positiven – man glaubt einfach nicht, dass die Welt besser sein kann – sondern auch im Negativen, etwa beim 11. September 2001: „Man kannte vor 9/11 alle Fakten und Hintergründe. Man konnte sich aber einfach nicht vorstellen, dass die Attentäter es auch wirklich machen werden.“
Für das Phänomen, dass man sich im Klaren ist, dass etwas Bedrohliches passieren wird und trotzdem nichts tut, schlägt Maja Göpel die Metapher ‚Graues Nashorn‘ vor: „Man sieht es kommen, weiß so gut wie alles darüber, doch man ignoriert es oder denkt, dass es noch abbiegt, bevor es einen umrennt.“ Genauso sei es mit dem Klimawandel, greift Gaub den Gedanken auf, oder mit dem Ukrainekrieg. „Seit den neunziger Jahren kündigt Russland ganz offen an, die Ukraine anzugreifen.“ Aber so sei nun mal der menschliche Geist: „Man denkt, das ist so schlimm, das kann einfach nicht passieren.“ In Anbetracht dieser kollektiven Fehleinschätzung empfiehlt Gaub, nicht nur auf Tatsachen hinzuweisen oder beste oder schlechteste Szenarien zu kommunizieren, sondern ganz explizit die Psychologie der Entscheidungsträger*innen zu beachten. Als Beispiel nennt sie den Bürgerkrieg in Libyen. „Alle wussten, dass es dort Krieg geben wird. Man sah schon Monate vorher viele unsupervised Männer mit Waffen durch die Straßen laufen und das ist stets ein verlässlicher Vorbote.“ Als Gaub damals darauf hinwies, schlug ihr viel Widerstand entgegen. „Was man mir am häufigsten gesagt hat, war ‚Sei nicht immer so negativ‘ – das meinte sogar der damalige deutsche Botschafter in Libyen zu mir.“ Da begriff sie, dass sie etwas an ihrem Vorgehen ändern muss. „Ich habe gemerkt, dass ich ein ‚trusted adviser‘ werden muss – dass es nicht reicht, Fakten zu nennen und realistische Einschätzungen der Zukunft abzugeben. Man muss dahin kommen, dass Leute einem vertrauen.“
Dass Vertrauen der Schlüssel sei, bestätigt auch Heinz Bude: „Es muss einen vernünftigen Punkt geben, an dem man aufhört zu zweifeln. Wenn alles nur Zweifel ist, versteht man gar nicht mehr und tut auch gar nichts mehr.“ Bude war Teil eines Gremiums, welches das Innenministerium zu Beginn der Coronakrise beriet. „Die Frage war damals: ‚Laufen lassen oder eindämmen?‘“, erzählt Bude. „Wir wussten, dass sich das Industrieland Deutschland nicht leisten kann, die Fabriken zu schließen. Wir beschlossen stattdessen die Publikumswirtschaft zu schließen, zum Beispiel Cafés. Wir haben damals unseren Zweifel ausgesetzt. Wir wussten, dass wir jetzt etwas entscheiden müssen.“ Er sprang über seinen Schatten und vor allen Dingen über seinen Zweifel: „Kann ich überhaupt etwas hierzu sagen?“ Die Versuchung lag darin, einfach verschiedene gleich wahrscheinliche Outcomes vorzuschlagen. Bude war allerdings klar, dass das unbefriedigend ist und es galt, etwas Konkretes, Begründetes zu empfehlen.
Gaub ergänzte, dass man an dem zuweilen mit den Coronamaßnahmen einhergehenden Unbehagen ablesen könne, welche Bedingungen erfüllt sein müssen, damit Menschen vertrauen: „Eine Zukunft ist wie eine Zahnbürste. Zukunft muss meine sein, sonst will ich sie nicht. Zukunft ist per definitionem partizipativ.“ Zukunft muss sich nach etwas anfühlen, an dem man teilhaben und das man aktiv mitgestalten kann.
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- Sven Prien-Ribcke, M.A.