Neu an der Leuphana: Prof. Dr. Steffen Farny – Mitten ins Herz des Kapitalismus

14.12.2020 Der Nachhaltigkeitswissenschaftler forscht zu sozialem Unternehmertum. Es könnte nicht nur helfen, Krisen-Regionen etwa nach Naturkatastrophen wiederaufzubauen.

„Wir wollten nach dem starken Erdbeben 2010 in Haiti helfen und haben ein Unternehmen gegründet, das zum Beispiel kommunale Trocken-Toiletten als Antwort auf den Choleraausbruch gebaut hat.“ ©Leuphana/Marvin Sokolis
„Wir wollten nach dem starken Erdbeben 2010 in Haiti helfen und haben ein Unternehmen gegründet, das zum Beispiel kommunale Trocken-Toiletten als Antwort auf den Choleraausbruch gebaut hat.“

Im People’s Supermarket sieht es kaum anders aus als in anderen Lebensmittelgeschäften: Obst und Gemüse liegt in großen Theken, die Regale sind voll mit Konserven, Nudeln oder Frühstücksflocken. Dennoch unterscheidet das Londoner Geschäft einiges von großen Ketten: Die Regale hat eine Schule gespendet. Lieferketten sind auf Nachhaltigkeit geprüft. Und an den Kassen arbeiten Menschen, die sonst nur schwer eine Stelle finden würden. „Dieser Markt funktioniert radikal anders – und das mitten im Herzen des Kapitalismus“, erklärt Dr. Steffen Farny, Juniorprofessor für International Social and Sustainable Entrepreneurship. Der Wissenschaftler forscht zu sozialem Unternehmertum und der Frage, wie ein nachhaltiges Business tragfähig werden kann. Gefördert vom Forschungsrahmen-Programm der Europäischen Kommission untersuchte er beispielsweise die Gründungsprozesse genossenschaftlicher Unternehmen. „Gerade am Anfang braucht es die Unterstützung Ehrenamtlicher“, erklärt der Wissenschaftler und spricht von „moral engagement“. Im Fall des People’s Supermarket gab es viele helfende Hände. Mittlerweile sind dort rund zehn Menschen fest angestellt. Das Geschäft hat auch keine Leitung mehr und soll auch nicht wachsen. „Projekte dieser Art funktionieren nicht als Aktiengesellschaften, sondern als Kooperationen und Genossenschaften“, erklärt Steffen Farny. Den Wissenschaftler interessiert, wie radikale Innovation wie der People’s Supermarket überleben. 

Noch während seines Studiums an der Aalto University in Helsinki hat Farny selbst Gründungserfahrung gesammelt. „Wir wollten nach dem starken Erdbeben 2010 in Haiti helfen und haben ein Unternehmen gegründet, das zum Beispiel kommunale Trocken-Toiletten als Antwort auf den Choleraausbruch gebaut hat.“ Die Benutzung der sanitären Anlagen war kostenlos. Das Start-up sollte sich über den Verkauf von Seife und Toilettenpapier tragen. Die Gründer kooperierten mit einer lokalen Frauen-Initiative. „Irgendwann ging uns aber das Kapital aus und wir konnten nicht weitermachen“, erinnert sich Farny. Die Problematik: Das Unternehmen wurde in Finnland gegründet. Damit waren Farny und das Startup-Team zu weit weg vom Geschehen. „Wir konnten uns lokal nicht verankern. Leider sind soziale Gründungen schwierig zu skalieren“, erklärt der Wissenschaftler. Dennoch setze sich das nachhaltige Unternehmertum gerade bei NGOs immer mehr durch. Reine Spendenaktionen würden immer seltener aufgerufen. „Entwicklungshilfe ist immer auch politisch. Die alte Form konnte degradierend wirken. Wir möchten heute, dass die Menschen selbstbestimmt handeln können“, erklärt Steffen Farny. Die wirtschaftliche Tragfähigkeit der Unternehmen gehört dazu. „Die Betriebe müssen auch Profit generieren, aber eben nicht nach dem Prinzip des stetigen Wachstums. Vielmehr geht es darum, Existenzen zu sichern und das Unternehmen zum Teil der örtlichen Gesellschaft werden zu lassen“, erklärt Farny. 

Über den Erfolg eines sozialen Unternehmens entscheide stark, wir sehr sich die Unternehmer*innen der Gründung zugehörig fühlen. Ein Teil seiner Forschung beschäftigt sich deshalb mit der Rolle von Emotionen in Organisationsprozessen. „Insbesondere Empathie spielt für den Erfolg nachhaltiger Gründungen eine große Rolle“, sagt Steffen Farny. Bill Drayton, der als Vater des sozialen Unternehmertums gilt, hält Einfühlungsvermögen für eine Schlüsselkompetenz im Geschäft. Empathie kann beispielsweise die Kund*innen-Bindung verbessern, das Team stärken, aber auch für eine gesellschaftliche Neugestaltung sorgen. „Es geht um eine Verhaltens- und Denkänderung. Die Gemeinschaft soll nachhaltiger handeln und wirtschaften“, erklärt Farny. 

In der Lehre geht Steffen Farny mit der challenge-based entrepreneurship education neue Wege: „Ich empfehle meinen Studierenden, bereits in ihrer Zeit an der Uni sozial-nachhaltig zu gründen und das als Weiterbildung zu verstehen.“

Steffen Farny studierte an der Universität zu Köln und der Helsinki School of Economics das Double-Degree-Master-Programm „Entrepreneurship“. Von 2012 bis 2016 war er Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Department of Management Studies der Aalto University, Finnland und wurde dort promoviert. 2017 erhielt er den Best Thesis Award der Aalto University School of Business. Er forschte an der Faculty of Business Studies der University of Vaasa, Finnland und kehrte ein Jahr später als Post-doc an die Aalto University zurück. Zudem war er Gastwissenschaftler an der Mendoza School of Business der University of Notre Dame, USA. 2020 wurde er zum Juniorprofessor für International Social and Sustainable Entrepreneurship am Centre for Sustainability Management der Leuphana Universität Lüneburg berufen. Steffen Farny ist zudem Leiter des Social Change Hub (SCHub) der Leuphana. Das SCHub ist eine zentrale Anlaufstelle für studentisches, sozial-gesellschaftliches Engagement, welches neben eigenen Lehr- und Impulsangeboten auf Vernetzung innerhalb und außerhalb der Universität setzt.