„Wir reden nicht über Ideologie, sondern über wirtschaftliche Chancen.“

18.07.2025 Steckt Nachhaltigkeit in der Krise? In wirtschaftlich schwierigen Zeiten wie aktuell, sieht es ganz danach aus. Doch in den vergangenen 30 Jahren hat Nachhaltigkeitsexperte Prof. Dr. Stefan Schaltegger von der Leuphana immer wieder beobachtet, wie das Thema mal mehr, mal weniger Aufmerksamkeit bekam. Warum Wissenschaft und Praxis aber gerade jetzt aktiv zusammenarbeiten sollten, um die gesellschaftliche Transformation voranzubringen, verrät Schaltegger im Interview. Sein Angang: „Wer versteht, wie er nachhaltiger wirtschaften kann, verliert die Angst vor der Veränderung.“ Und hier kommt die Wissenschaft ins Spiel.

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Prof. Dr. Stefan Schaltegger sagt: „Wer versteht, wie er nachhaltiger wirtschaften kann, verliert die Angst vor der Veränderung.“

Industrie und Unternehmen sind aktuell aufgrund wirtschaftlicher und politischer Unwägbarkeiten angespannt. Nachhaltigkeit rückt da oft aus dem Fokus. Was raten Sie Unternehmen, die gerade unsicher sind, ob sie sich ein nachhaltigeres Wirtschaften „leisten“ können?
Es ist ein weitverbreiteter Irrtum zu glauben, dass Nachhaltigkeit nur dann möglich ist, wenn es einem wirtschaftlich gut geht. Nachhaltigkeit ist kein Luxus- sondern ein Existenz- und Entwicklungsthema. Wer sich heute nicht mit Nachhaltigkeit beschäftigt, riskiert morgen seine Geschäftsgrundlage. Ökologische und soziale Herausforderungen treiben weltweit die Transformation von Märkten und Gesellschaften voran. Wer das ignoriert, verpasst Geschäftschancen und kann sogar seine Existenz riskieren. Nachhaltigkeit ist nicht nur eine Kosten- und Risikofrage, sondern kann Innovationen und die Entwicklung von Geschäftsmodellen fördern. Die Zeiten, in denen man das Thema als „nice to have“ betrachten konnte, sind vorbei. 

An dieser Stelle setzen wir seit Jahren mit verschiedenen Formaten an, sei es das Sustainability Leadership Forum, das Mittelstandsforum oder TrICo mit der Leuphana Innovation Community Nachhaltige Produktion. Im kommenden Jahr wird die Community unter anderem eine neue Workshopreihe aufsetzen, in der wir mit Unternehmen Business Cases für mehr Nachhaltigkeit entwickeln – also zeigen, wie Nachhaltigkeit eine wirtschaftlich attraktive Geschäftsentwicklung begründen kann.

Wie überzeugen Sie denn Unternehmen, in den Austausch mit der Forschung zu gehen? Welchen Mehrwert birgt das konkret für Unternehmen?
Erstens: Unternehmen erhalten Zugang zu methodischem Wissen – etwa, wie man die Geschäftsrelevanz von Nachhaltigkeitsthemen systematisch identifizieren, ökonomisch bewerten und Chancen entwickeln kann. Zweitens: Der Austausch ermöglicht Reflexion und Einblick in Best Practices. Viele Unternehmer*innen sagen uns nach Workshops mit Studierenden, dass schon die Fragen neue Perspektiven eröffnet haben. Drittens: Forschung kann Entwicklungen antizipieren, bevor sich der Markt verändert, oder sogar Märkte proaktiv ändern. Denken Sie an die Transformation der Automobilindustrie. Hätte man Nachhaltigkeit früher für eine aktive Produkt- und Geschäftsentwicklung genutzt, hätte man nicht „plötzlich“ einer innovativeren Konkurrenz gegenübergestanden, der man nun nachrennt. Der Umbruch in der deutschen Automobilindustrie wäre vielleicht nicht so hart ausfallen. Dabei reden wir hier nicht über Ideologie, sondern über handfeste wirtschaftliche Risiken und Chancen.

Konnten Sie diesbezüglich in jüngster Zeit, bestimmte Aha-Effekte auf Unternehmensseite beobachten?
Viele Unternehmen erkennen, dass Nachhaltigkeit nicht zwingend höhere Kosten bedeutet. Ein gutes Beispiel dafür ist ein Mittelständler aus dem Heizungsbereich. Aus einem Workshop mit unseren MBA-Studierenden im Jahr 2008 ging hervor, dass die damals noch dominierenden Öl- und Gasheizungen der Vergangenheit angehören und Wärmepumpen die Zukunftstechnologie sein werden. Das Unternehmen hat das zum Anlass genommen, seine Strategie neu auszurichten. Der Erfolg hat zwar etwas auf sich warten lassen, aber heute ist die Firma einer der führenden Anbieter in dem Bereich. 

Ein eindrückliches Beispiel, wie unterschiedlich Unternehmen das Thema Nachhaltigkeit bewerten, zeigt auch die Energiewirtschaft: Firmen wie Ørsted, früher ein Öl- und Gasunternehmen, haben sich vollständig auf Windenergie umgestellt. Andere wie Exxon versuchen bis heute den Fortschritt zu blockieren. Beide sind große Player derselben Branche – und zeigen, wie unterschiedlich man mit Transformation umgehen kann. Oder denken Sie an die deutschen Stromkonzerne – früher hat ein führender deutscher Anbieter Greenwashing betrieben, heute gehört er zu den größten Investoren in Offshore-Windanlagen. In dieser Branche haben inzwischen viele verstanden, dass ihr Geschäft auf dem Spiel steht. 

Wie wichtig ist es andersherum für die Wissenschaft, mit Unternehmen zusammenzuarbeiten?
Enorm wichtig. Aus meiner Sicht kann gute betriebswirtschaftliche Forschung nur gelingen, wenn sie praxisnahe Analysen und Implikationen entwickelt. Forschung im Elfenbeinturm ist wie Schachspielen: eine schöne Beschäftigung, aber für das Weltgeschehen oft wirkungslos. In unseren Formaten wie dem Sustainability Leadership Forum fragen wir: Wo liegen die tatsächlichen Herausforderungen in der Praxis? Dann bereiten wir den Stand der Forschung auf, diskutieren gemeinsam und entwickeln Impulse, die Unternehmen weiterbringen – nicht exklusiv für den Einzelfall, sondern offen und für andere übertragbar. Wir machen keine individuelle Beratung. Vielmehr setzen wir auf einen wechselseitigen Lernprozess. Daraus entstehen Lösungen für die Unternehmen und neue Forschungsthemen für uns.

Wie können Wissenschaft und Praxis es denn schaffen, gemeinsam den gesellschaftlichen und industriellen Wandel voranzutreiben?
Indem sie sich gegenseitig ernstnehmen und zusammenarbeiten. Wir brauchen Formate, in denen Unternehmen ausprobieren können, wie Nachhaltigkeit wirtschaftlich funktionieren kann – und in denen Wissenschaftler*innen verstehen, wie die Realität aussieht. In unserem MBA Sustainability Management arbeiten wir zum Beispiel eine Woche intensiv in einem Unternehmen an echten Fragestellungen unter enormem Zeitdruck. Da lernen nicht nur die Studierenden, sondern auch die Unternehmen. In der Workshopreihe der Innovation Community werden wir dann ein neues Format zur Business Case Entwicklung testen, das über drei Termine läuft.

Für Unternehmen ist es wichtig, vorbereitet zu sein, wenn Gelegenheitsfenster für nachhaltigere Ansätze kommen. Nach Dieselgate hatte Tesla – und nicht die deutschen Anbieter – es geschafft, den europäischen Markt für E-Autos zu dominieren, da sie vorbereitet waren. Die Situation hat sich durch politisch fragliches Handeln von Herrn Musk mittlerweile gedreht. Da der chinesischen Konkurrenz noch Vertriebs- und Serviceinfrastruktur fehlt, haben wir jetzt überraschender- und glücklicherweise wieder so eine strategische Gelegenheit für Elektromobilität und Mobilitätsdienstleistungen. Wenn es der deutschen Automobilindustrie nicht jetzt rasch gelingt, stark nachhaltigere Angebote und Geschäftsmodelle attraktiv zu entwickeln, wird sie das Verpassen dieser zweiten Chance wahrscheinlich lange bereuen. 

Wer Wege sieht, nachhaltiger zu wirtschaften und sich mit geeigneten Managementmethoden systematisch entwickeln kann, der hat keine Angst vor der Veränderung, sondern sieht darin Wettbewerbschancen. In diesem Prozess können wir als Wissenschaftler*innen einen wichtigen Beitrag leisten.

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  • Prof. Dr. Dr. h.c. Stefan Schaltegger