Biokerosin & Co.

Leuphana-Forscher untersuchten Konzepte zur nachhaltigen Produktion von Pflanzenölen

Die besseren Ölquellen: insbesondere heimischer Leindotter und brasilianische Macauba-Palmen könnten sich als neue Rohöllieferanten eignen

Biokraftstoffe, Kosmetika, Farben, Schmierstoffe oder Waschmittel – die Industrie nutzt immer häufiger Pflanzenöle zur Produktion. In den vergangenen Jahrzehnten kletterte die Nachfrage weltweit um 72 Prozent auf über 160 Millionen Tonnen im Jahr 2012. Tendenz weiter steigend. Pflanzenöle, die nicht in Konkurrenz zu Nahrungsmitteln produziert werden, bieten eine wichtige Alternative zu fossilen Energieträgern. Denn nachwachsende Rohstoffe können helfen, weniger Treibhausgase auszustoßen, und zusätzliche Einkommen ermöglichen.

Doch wie genau lassen sich Pflanzenöle am besten nachhaltig produzieren? Welche ökologischen Auswirkungen haben verschiedene Herstellungsweisen – etwa für die Treibhausgasbilanzierung, den Erhalt gesunder Böden und ökologischer Vielfalt? Welche sozialen Auswirkungen hat der Anbau – etwa auf das Leben der Menschen vor Ort? Und wie wirtschaftlich ist die Produktion mit welchen Geschäftsmodellen, Finanzierungen, Zertifizierungen und Vermarktungen? Solche Fragen untersuchte das Forschungsprojekt Plattform für eine nachhaltige Biokerosinproduktion von Januar 2011 bis Februar 2014 an der Leuphana Universität Lüneburg.

Ein interdisziplinäres Team unter wissenschaftlicher Leitung von Prof. Dr. Alexandra-Maria Klein, Professorin für Ökosystemfunktionen am Institut für Ökologie, und Prof. Dr. Stefan Schaltegger, Leiter des Centre for Sustainability Management (CSM), setzte den Fokus auf zwei Herangehensweisen: einerseits den Zwischenfruchtanbau – also den Anbau von Ölsaaten auf vorübergehend brach liegenden Flächen – und andererseits den Anbau in Agroforstsystemen – dies meint den Anbau von Ölpflanzen, während zeitgleich eine weitere Feldfrucht angebaut wird, beziehungsweise Kultivierung auf extensiven Viehweiden.

ZENTRALE ERGEBNISSE IN ALLER KÜRZE

Zwischenfruchtanbau: Chancen beim Leindotter

Leindotter (Camelina sativa) und Acker-Hellerkraut (Thlaspi arvense) wurden zu Testzwecken im Schlag- und Parzellenmaßstab in ganz Deutschland angebaut, im Sommer nach der Gerste, im Winter Acker-Hellerkraut zusätzlich nach dem Mais. Vorbehaltlich der Ergebnisse von Langzeitversuchen, die noch durchzuführen wären, zeigte sich dabei beim Leindotter eine erste Tendenz, Erträge von  mehreren Dezitonnen pro Hektar zu ermöglichen. Potenziell gäbe es in den Bundesländern Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Sachsen, Thüringen und Brandenburg auch insgesamt 200.000 Hektar Anbaufläche im Sommer und 500.000 Hektar im Winter, errechneten die Forscher. Ökologisch wäre der Anbau zu befürworten: Der Anbau der Ölpflanzen erhöht die Biodiversität, beim Acker-Hellerkraut beobachteten die Forscher eine größere Käferdiversität, Leindotter und Acker-Hellerkraut machten zudem das Vorkommen von blütenbesuchenden Bienen häufiger. Die Treibhausgasbilanzen bleiben unverändert gegenüber konventionellen Anbaualternativen.

Auch potenzielle Abnehmer gäbe es, allerdings unter anderem abhängig von Produktivität und Ertragssicherheit des Anbaus: Leindotter-Öl hat einen hohen Anteil an ungesättigten Fettsäuren, die es zu einem wertvollen Speiseöl machen; aufgrund seiner schnell trocknenden Eigenschaften ist das Öl auch für die Farb- und Lackindustrie interessant. Bei der Ölpressung entsteht ein Leindotter-Presskuchen, der wegen seines Proteingehalts von 30 Prozent potenziell für Tests in der Futtermittelindustrie interessant wäre. Dort wird derzeit oft auf umstrittenes importiertes Soja zurückgegriffen. Als zunächst weniger attraktiv erwies sich dagegen Acker-Hellerkraut. Es ist aufgrund seines hohen Erucasäureanteils für Menschen und Tiere unverzehrlich, auch erste Tests der Lüneburger Forschungskooperation für die Farb- und Lackindustrie erwiesen sich bislang als wenig zufriedenstellend.

Agroforstsysteme: Potenziale bei Macauba

Macauba (Acromia aculeata): Das Öl der wild wachsenden Macauba-Palme könnte sich zu einem weiteren wichtigen Rohöllieferanten entwickeln. Das ergab eine Machbarkeitsstudie der Lüneburger Forscher. Sie besagt, dass bereits rund zwei Millionen Exemplare der wilden Palme auf den Rinderweiden im brasilianischen Bundesstaat Minas Gerais wachsen, auf weiteren zehn Millionen Hektar Weidefläche könnten weitere Palmen angepflanzt werden. In ganz Brasilien ist etwa die Hälfte der 170 Millionen Hektar Weideland geeignet. Damit könnten allein in Brasilien die Erträge bei über 80 Millionen Tonnen Macauba-Öl pro Jahr liegen, was die weltweite Produktionsmenge des bisher wichtigsten Pflanzenöls, des Palmöls, von jährlich 53 Millionen, übertreffen würde. Und der Anbau wäre sozial von Vorteil: Das Pflücken der Ölfrüchte übernähmen Menschen, die früher im Jahr als Kaffeepflücker arbeiteten und nach der Kaffeeernte beschäftigungslos sind, weshalb die später im Jahr liegende Macauba-Ernte ihnen zusätzliches Einkommen bescheren würde. Vorläufige Ergebnisse zur Biodiversität zeigen außerdem, dass es auf Macauba-Weideland mehr Vögel gibt als auf anderem Weideland. Die Machbarkeitsstudie zum Download

Jatropha: Die Biosprit-Pflanze Jatropha galt lange als "Wunderpflanze" der Branche, nun haben die Lüneburger Forscher sie auf den Prüfstand gestellt. Ihre Studie "Insights into Jatropha Projects Worldwide" liefert ein differenziertes Bild vom weltweiten Anbau von Jatrophapflanzen. Befragt wurden 111 Manager von Anbauprojekten in Afrika, Asien und Lateinamerika. Wichtigstes Ergebnis der Studie: Geringe Erträge sind ein Hauptproblem, viele Projekte suchen daher vergebens nach künftigen Finanzierungsmöglichkeiten. Das größte Hindernis für ausreichend hohe Öl-Erträge sehen die Forscher beim Saatgut. Züchterisch bearbeitetes Saatgut wird heute noch nicht großflächig eingesetzt, über drei Viertel der befragten Projekte verwenden lokales, meist wildes Saatgut. Die Entwicklung von verbesserten Sorten sei aber im Gange und deute auf eine bessere Zukunft der Jatropha-Projekte hin.

Dennoch scheint nicht mehr sicher zu sein, dass sich die bereits getätigten Investitionen letztlich auszahlen. Umgerechnet mehr als 200 Millionen Euro waren in den Projekten der Befragten bis 2011 investiert worden. Von Samen-Erträgen zwischen null und sechs Tonnen pro Hektar berichten die befragten Manager und bezogen dabei auch ältere Pflanzungen ein. Ein Rückfluss aus den hohen bisherigen Investitionssummen sei nur gewährleistet, wenn die Öl-Erträge bei den Anpflanzungen in den nächsten Jahren weiter ansteigen.

Positiv bewerten die Wissenschaftler hingegen die Struktur vieler Jatropha-Projekte: Mehr als die Hälfte (58 Prozent) arbeiten ausschließlich oder teilweise mit kleinbäuerlichen Vertragsanbauern zusammen. Kleinbauern können also von einer Ölproduktion profitieren – wenn der Ertrag stimmt. Studie "Insights into Jatropha Projects Worldwide" zum Download

Weitere wissenschaftliche Publikationen

Eine Übersicht über im Projekt entstandene peer-reviewte Publikationen finden Sie hier.

Kooperationspartner

Die Forscher untersuchten auch, ob und wie konkrete Partner aus der Wirtschaft von der Pflanzenölproduktion profitieren können. Partner waren unter anderem folgende Unternehmen:
•    Die Inocas GmbH ("Innovative Oil and Carbon Solutions") gründete sich 2011 in Lüneburg als Dienstleister aus dem Forschungsprojekt aus, um die wirtschaftliche Verwertung der Konzepte weiterzuverfolgen.
•    Die Deutsche Lufthansa AG war als Kooperationspartner des Forschungsprojekts Biokerosin und der Inocas GmbH an den Forschungsergebnissen zu einjährigen Ölpflanzen interessiert. Hintergrund ist, dass die International Air Transport Association (IATA) das Ziel verfolgt, den Anteil an Biokerosin bis 2030 auf 10 Prozent zu erhöhen.
•    Die "Aviation Initiative for Renewable Energy in Germany e. V." (aireg) bündelt Forschungsaktivitäten zum Thema Biokraftstoffe und unterstützt ihre Einführung im Luftverkehr, wofür die Initiative nun auf die Lüneburger Ergebnisse zurückgreifen kann.
•    Der Lüneburger Landwirt Jochen Hartmann und weitere Landwirte aus ganz Deutschland unterstützten die Forscher beim Anbau und der Pflege von Versuchsflächen und profitierten vom Informationsaustausch mit den Ökologen.
•    Der Kooperationspartner Worlée-Chemie GmbH in Lauenburg testete Leindotteröl und Acker-Hellerkrautöl für die Farb- und Lackherstellung.
•    Der Bremer Kooperationspartner Henry Lamotte Oils GmbH profitierte vom Zugang zu Forschungswissen zu Macauba-Ölen, das sich grundsätzlich für die Lebensmittel-, pharmazeutische, kosmetische und technische Industrie eignet.

Das Forschungsteam

Das interdisziplinäre Forschungsteam leiteten Prof. Dr. Alexandra-Maria Klein, Professorin für Ökosystemfunktionen am Institut für Ökologie der Leuphana Universität Lüneburg, und Prof. Dr. Stefan Schaltegger, Leiter des Centre for Sustainability Management (CSM) der Leuphana Universität Lüneburg. Die Koordination des Forschungsprojektes und die operative Leitung der kommerziellen Umsetzung aller entwickelten Konzepte setzten Dr. Katharina Averdunk und Dr. David Walmsley um. Dr. Katharina Averdunk war gemeinsam mit Thilo Zelt Ideengeber und Initiator der Plattform.
Internationale Forschungspartner des sechzehnköpfigen Teams in Lüneburg waren Prof. Robert Bailis von der Yale University (USA), Prof. Winthrop Phippen von der Western Illinois University (USA) und Prof. Roger Burritt von der University of South Australia. Die wissenschaftlichen Mitarbeiter der Forschergruppe waren: Dr. Kamini Barua, Dr. Ilka Bettermann, Janna Groeneveld, Tina Hildebrandt, Malte Höpfner, Florian Lüdeke-Freund, Philipp Golka, Christine Moser, Corina Müller, Dr. Mirco Plath, Dr. Thomas Cherico Wanger, Nepomuk Wahl, Jan Wreesmann und Thilo Zelt.