Sustainable Finance and Reporting

cum tempore (c.t.): Das Dossier für Wissenschaft, Forschung und Lehre an der Leuphana

22.04.2024 Mit unserem Dossier cum tempore (c.t.) setzen wir Forschungsberichte, Nachrichten, aber auch Porträts in größere Zusammenhänge: Wie profitierten etwa wirtschaftliche Akteur*innen im globalen Süden von den Forschungserfolgen des Instituts für Nachhaltigen Chemie? Warum kann eine nachhaltige Betriebswirtschaftslehre für ein stabileres Finanzsystem sorgen? Was macht das originäre Studienmodell der Leuphana zu einem Erfolgskonzept? An dieser Stelle finden Sie in Zukunft ausführliche Darstellung der Forschung, Lehre und des akademischen Lebens an der Leuphana Universität Lüneburg. Berichte werden in Zusammenhang gesetzt – in Wort, Bild und grafisch.

Sustainable Finance and Reporting ©Leuphana
Sustainable Finance and Reporting
Herr Professor Velte, warum müssen Finance und Reporting nachhaltiger werden?
Die empirische Forschung zeigt, dass die Nachhaltigkeitsberichtserstattung (Sustainability Reporting) auch von börsennotierten Unternehmen in Deutschland aktuell noch ausbaufähig ist. Gerade der Bereich der Umweltrisiken wird vielfach noch als unwesentlich in der Berichterstattung klassifiziert und es werden Klimaziele in der Nachhaltigkeitsberichterstattung zu wenig mit wissenschaftlichen Methoden behandelt (Science Based Targets). Vor diesem Hintergrund hatte die EU im Jahre 2022 eine neue Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung veröffentlicht (CSRD), die erstmals auch mittelständische (kapitalmarktferne) Unternehmen adressiert. Die Qualität der Umwelt- und Sozialberichterstattung soll mit der CSRD wesentlich erhöht werden. Unternehmen müssen künftig u.a. auch angeben, wie ihr Geschäftsmodell und ihre -strategien zum 1,5° Ziel nach dem Pariser Klimaschutzabkommen beitragen. Ende 2023 wurde im EU Trilog eine weitere Richtlinie zu nachhaltigen Sorgfaltspflichten in der Wertschöpfungskette (CSDDD) verabschiedet, deren Annahme durch den EU-Rat u.a. durch das Veto von Deutschland fraglich ist. Insofern stellt sich nicht nur die Frage der Nachhaltigkeitsberichterstattung, sondern auch der nachhaltigen Unternehmensstrategie und der operativen Umsetzung in den internen Risiko- und Kontrollsystemen. Wenn wir das betriebliche Rechnungs- und Finanzwesen nicht konsequent auf Grün umstellen, wird auch eine nachhaltige Unternehmensstrategie nicht gelingen. Finance & Accounting sind für die nachhaltige Unternehmenstransformation ebenso wichtig wie die Strategie- und Geschäftsmodellentwicklung.
Sie sagen, dass Unternehmen nicht nur vom Shareholder-Value zum Stakeholder Value kommen müssen, sondern idealerweise den Public Value in den Vordergrund stellen, also der ganzen Gesellschaft nutzen sollten.
Ja, und das gilt auch für die unternehmerische Sicht. Nehmen wir den bekannten Bayer-Fall. Die Aktie galt lange als ertragreiches Investment – bis Bayer den Glyphosat-Hersteller Monsanto übernahm und eine riesige Klagewelle auf den Konzern zurollte. Die Fusion war legal, aber für einen großen Teil der Öffentlichkeit illegitim. Bayer verlor seither massiv an Reputation. Börsennotierte Konzerne werden mittlerweile gebrandmarkt, wenn sie nicht sozial und umweltbewusst geführt werden. Der Schaden durch negative Berichterstattung in den Medien ist immens. Zusätzlich steigt das Klagerisiko durch NGOs und institutionelle Investoren. Nehmen Sie als Beispiele hierfür die erfolgreiche Klimaschutzklage gegen den Shell-Konzern in den Niederlanden oder den Austausch von klimapassiven Verwaltungsräten im US-amerikanischen Ölkonzern Exxon. Negative CSR-Publicity wünscht sich kein Vorstand. Zugleich verliere ich durch eine nicht-nachhaltige Unternehmensphilosophie nicht nur viele Investor*innen, sondern auch den Wettbewerb um den besten Nachwuchs bei den Mitarbeiter*innen. Die neue Generation von Student*innen achtet sehr auf umwelt- und sozialverträgliche Arbeitsbedingungen und wird sich bei „dirty firms“ gegebenenfalls nicht mehr bewerben.
Wie spiegelt sich das veränderte Verständnis, Nachhaltigkeit vermehrt in der Berichterstattung zu berücksichtigen, in Ihrer Forschung wider?
Zu konservativen Financial Accounting & Audit-Themen publiziere ich nur noch wenig. Mir ist beispielsweise Gender- und Diversity-Forschung sehr wichtig geworden, ich arbeite zu vielfältigen nachhaltigen Forschungsthemen wie nachhaltige Vorstandsvergütung, nachhaltige Besetzung von Vorständen und Aufsichtsräten oder die Prüfung von (integrierten) Nachhaltigkeitsberichten. Auch meine Studierenden und Doktorand*innen forschen in ihren Seminar-, Abschluss- und Doktorarbeiten vorzugsweise zu nachhaltigen Finance- & Accounting-Themen. Ich mische mich auch gerne in aktuelle Regulierungsprozesse ein, z.B. wenn der deutsche Gesetzgeber wieder Nachhaltigkeitsvorgaben aus Brüssel umsetzen muss. Dies gilt künftig beispielsweise bei der Umsetzung der bereits erwähnten beiden EU-Richtlinien zur Nachhaltigkeitsberichterstattung und zu den nachhaltigen Sorgfaltspflichten in der Wertschöpfungskette, welche meine Forschung und Lehre maßgeblich beeinflussen.
Für die Leuphana Graduate School wurde das englischsprachige und forschungsorientierte Masterprogamm „Management & Sustainable Accounting and Finance“ entwickelt. Warum gehört das Thema Nachhaltigkeit bereits im Studium ins Zentrum?
Es reicht nicht, wenn Studierende nur eine Ethik-Veranstaltung in ihrem Masterstudium als „Inselmodul“ belegen. Soziale und ökologische Nachhaltigkeit müssen als Themen fest in der disziplinären Managementlehre und im Finanz- und Rechnungswesen verankert sein. Es gibt sowohl aus Forschungs- als auch aus Praxissicht eine starke Interpendenz zwischen ökologischer, sozialer und finanzieller Performance („Business Case“). An der Leuphana wollen wir mit unserem Masterprogramm Berufs- und Forschungsperspektiven für nachhaltige Manager*innen und Angestellt*innen im Finanz- und Rechnungswesen schaffen. Sie können Unternehmen nur nachhaltiger gestalten, wenn sie aus strategischer und operativer Sicht eine erfolgreiche Integration von Nachhaltigkeit im Finanz- und Rechnungswesen vollziehen. Hierdurch grenzen wir uns auch sehr gut von anderen Masterprogrammen an der Leuphana, z.B. vom generalistischen Entrepreneurship-Master oder von berufsbegleitenden Studienprogrammen an der Professional School, z.B. vom MBA Sustainability Management, ab.
Natürlich gehören erfolgreiche Unternehmensführung und Gewinnerzielung als „Basics“ auch in die Masterausbildung. Wir wollen nicht nur über Umwelt und Soziales reden. Aber Manager*innen von heute müssen die heterogenen Stakeholder-Interessen konsequent bei ihren Finanzzielen einbeziehen und zum Ausgleich bringen. Das ist meines Erachtens auch bei börsennotierten Aktiengesellschaften in Deutschland deren Pflicht. Auch auf Seiten der Investor*innen steigt die Nachfrage nach sozialen und umweltbezogenen Themen (Sustainable Investors). In der Unternehmenspraxis werden in zunehmendem Maße „Say-on-Climate-Votes“ durchgeführt, das heißt, dass Investor*innen über die Klimaschutzpolitik von börsennotierten Unternehmen abstimmen. Die Unternehmen können sich gar nicht mehr erlauben, beispielsweise die Nachfrage der Investor*innen nach entscheidungsnützlichen Klimainformationen auszublenden oder nachrangig zu behandeln. Das wollen wir unseren Studierenden als Impulse mitgeben und sie zu einer kritischen Reflexion animieren. Auch über die Berufungspolitik der Leuphana konnten wir an unserer Fakultät Management und Technologie in den vergangenen Jahren immer mehr Professor*innen gewinnen, die verantwortungsvolles Management und Nachhaltigkeit in ihrem Forschungs- und Lehrprogramm priorisieren. Insofern zeigt sich, dass sich das Thema Nachhaltigkeit auch zum Querschnittsthema in unserer Fakultät entwickelt hat. Wir wollen daher zukünftig in Forschung und Lehre noch enger mit der Nachhaltigkeitsfakultät zusammenarbeiten.
Prof. Dr. Patrick Velte, Professur für Betriebswirtschaftslehre, insb. Accounting, Auditing & Corporate Governance ©Leuphana/Kersten Benecke
Prof. Dr. Patrick Velte, Professur für Betriebswirtschaftslehre, insb. Accounting, Auditing & Corporate Governance

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