Creative Thinking X. Prof. Dr. Paul Drews zu Agilität und Kreativität
11.06.2019 Was bedeuten Digitalität, Agilität und Kreativität mit Blick auf die Zukunftsfähigkeit von Unternehmen? Die „Creative Thinking X“-Konferenz versammelt Expert*innen, Visionär*innen sowie Entwickler*innen aus Wirtschaft und Wissenschaft, um Antworten zu finden. Die Keynote hält Prof. Dr. Paul Drews, Professor für Wirtschaftsinformatik.

Wie arbeitet man in einem Unternehmen? Es gibt zwei klassische Vorgehen: Entweder man arbeitet ein zuvor bis ins Detail geplantes Projekt ab, wie zum Beispiel Bauunternehmen es tun. Oder man führt regelmäßige Prozesse immer wieder durch. So arbeiten etwa Produktionsbetriebe. Der gegenwärtige Markt stellt allerdings Herausforderungen, die sich hiermit nicht lösen lassen. Manchmal ist ein Auftrag eben weder ein planbares Projekt noch ein definierter Prozess, sondern etwas Hybrides, Kurzfristiges und Unvorhergesehenes. Eine dritte, genau hierauf zugeschnittene, Vorgehensweise ist „agiles Arbeiten“. Drews definiert Agilität im Kern als die Fähigkeit zu „sense and response“ – Chancen und Probleme wahrzunehmen und auf diese richtig und schnell reagieren zu können. Eine agile Arbeitsumgebung wäre somit eine, die dies ermöglicht: Kleine, interdisziplinäre Teams, flache Hierarchien, viel individuelle Verantwortung. Der Musikstreamingdienst „Spotify“ zum Beispiel arbeitet nach diesem Prinzip, ebenso wie die niederländische Bank ING.
Wo der Puck sein wird
Während die ING-Bank weltweit auf agile Strukturen umstellt, müssen sich viele Mitarbeiter*innen auf neu geschaffene Stellen bewerben. Drews erklärt: „Immer mehr Arbeitsschritte können digitalisiert werden. Es werden also weniger Mitarbeiter*innen gebraucht, die schlicht Prozesse ausführen und mehr, die aktiv Dienstleistungen und Produkte gestalten können. Gerade im Managementbereich guckt man, ob die Leute die notwendigen Qualifikationen für agiles Arbeiten mitbringen – zum Beispiel Kreativität.“ Nun drängt sich der Einwand auf, dass Kreativität zwar ein sympathisches Add-On sei, aber für das Gelingen eines Unternehmens nicht zwingend notwendig. Und zwar insofern nicht, als es doch reichen könnte herauszufinden, was Kund*innen wollen und das dann zu liefern. „Nein“, sagt Drews dazu, „ein solches Vorgehen ist nicht länger genug. Steve Jobs sagte einmal: ‚Wir wollen dahin, wo der Puck sein wird und nicht dorthin, wo er jetzt ist.‘“ Der Erfolg gerade von Onlineunternehmen gibt ihm recht: Hätte man vor zehn Jahren gesagt, dass man ein soziales Netzwerk oder ein sehr teures, aber elegantes Handy haben möchte? „Marktforschung ist als Tool nur bis zu einer gewissen Grenze hilfreich. Um dann noch weiter zu kommen, braucht es Kreativität und Agilität. Das ist selbst in Studiengängen wie BWL noch nicht fest verankert – also kreativ Probleme zu lösen, im Unterscheid zu systematischem Problemlösen.“
Neue Erwartungen
Im diesbezüglichen Teil seiner Forschung arbeitet Drews auf zwei Ebenen: Zum einen untersucht er die Ursprünge des heute viel diskutierten Agilitäts-Begriffs: So ist das in den neunziger Jahren in der Betriebswirtschaftslehre entwickelte Konzept der „dynamic capability“, also der Fähigkeit zur unternehmerischen Anpassung an sich verändernde Umwelten, eine wichtige Vorarbeit. Unabhängig davon, aber mit einer ähnlichen Stoßrichtung gibt es seit Anfang der neunziger Jahre den Begriff der „Organisational Agility“, der die prinzipielle Wandlungsfähigkeit von Organisationen systematisch fasst. Diese beiden Konzepte verschmolzen dann mit dem Agilitätsbegriff aus der Software-Entwicklung. Dort war das 2001 veröffentlichte „Agile Manifest“ der Startschuss für eine neue Art, Software zu entwickeln. Diese Verschmelzung von organisatorischer und technischer Agilität führte auch zu einem Bedarf an neuen Methoden, wie etwa dem Design Thinking. Da es noch an gut abgesicherten Erkenntnissen zur agilen Organisation fehlt, machen sich heute viele Unternehmen auf und experimentieren mit diesen Methoden.
Zum anderen führt Drews eine groß angelegte empirische Studie zu Transformationsprozessen im Verhältnis von IT und Business durch. Dabei legt er Wert darauf, eine präzise Antwort auf die Frage zu geben, was den vielfach beschworenen digitalen Wandel eigentlich ausmacht: „Das zentrale für mich in der aktuellen Digitalisierungswelle“, erklärt der Wirtschaftsinformatiker, „ist die veränderte Erwartungshaltung von Kund*innen. Die großen Internetkonzerne sind hierbei der Treiber. Das Suchinterface von Google bietet innerhalb kürzester Zeit sehr gute Ergebnisse. Bei Amazon lassen sich mit einem Klick passende Waren bestellen. Dies führt dazu, dass an alle anderen Unternehmen – Banken, Versicherungen, Handwerksbetriebe – ähnliche Erwartungen herangetragen werden. Man ist als Kund*in, wissentlich oder unwissentlich, enttäuscht, wenn es dort nicht ähnlich convenient funktioniert. Diese Erwartungshaltung können Unternehmen nicht länger abschütteln. Sie müssen in der Lage sein, ähnliche Lösungen schnell zu entwickeln. Und dafür braucht es eben Agilität und Kreativität.“