Radikal gründen aber pragmatisch führen
31.01.2025 Die Wirtschaft durchlebt schwierigen Zeiten. Da sind Ideen gefragt, die zum ersehnten Aufschwung beitragen. „Wir haben in Lüneburg alle wichtigen Bausteine“, erklärt Dr. Steffen Farny. Der Professor für Betriebswirtschaftslehre mit Schwerpunkt Social & Sustainable Entrepreneurship an der Leuphana erforscht, wie soziale Innovationen der deutschen Wirtschaft helfen können und was Lüneburg zu einem guten Standort für nachhaltige Startups macht. Zudem teilt er im Interview seine Erfahrung, wie sich junge Menschen mit sozialen Innovationen erfolgreiche selbständig machen können. Er plädiert dafür, radikal-visionär zu gründen aber das eigene Unternehmen pragmatisch zu führen.

Können soziale Innovationen neue Perspektiven für die deutsche Wirtschaft eröffnen?
Unter sozialen Innovationen versteht die Forschung neue Verhaltensweisen und Organisationsformen, die zur Lösung gesellschaftlicher Probleme beitragen. Einen gesellschaftlichen Mehrwert zu schaffen, steht dabei im Vordergrund, auch wenn sie natürlich damit Geld verdienen sollen. In der Tat werden soziale Innovationen wie Bürgerenergiegenossenschaften und Crowdfunding zunehmend als Treiber für kollektive Veränderungen gesehen. Denn es ist vollkommen klar, dass sich große Herausforderungen wie der Klimawandel oder die demografischen Veränderungen nicht durch technologische Innovationen allein bewältigen lassen.
Was macht Lüneburg zu einem guten Ökosystem für soziale Innovationen und nachhaltige Startups?
Die Forschung zeigt, dass Zusammenarbeit und der Austausch relevanter Organisationen und Akteur*innen eine zentrale Rolle in unternehmerischen Ökosystemen einnehmen. Sie bilden also eher eine Innovationscommunity, statt sich primär auf den Wettbewerb zu konzentrieren. Genauso wichtig sind einladende Begegnungsorte und positive Vorbilder. Wir haben in Lüneburg alle diese wichtigen Bausteine, zum Beispiel das Utopia und Mosaique als offene Begegnungsstätten, Sozialunternehmen wie Heyho als Vorbilder und eine Universität, die laufend junge, kreative, gestaltungsfähige Menschen ins Ökosystem bringt. An der Leuphana arbeiten wir daher auch an dem Aufbau mehrerer lokaler Innovationscommunities, den Leuphana Innovation Communiti. Wenn jetzt noch entsprechende Finanzierungsmodelle bereitgestellt und mehr Impact Investoren angelockt würden, dann könnte es klappen.
Wie lässt sich die Kultur nachhaltiger Startups, sozialer Entrepreneurships und innovative Ansätze in größere Unternehmen einbinden?
Nachhaltige Startups verstehen sich als Teil einer Gemeinschaft und versuchen eine gesellschaftliche Verantwortung, auch für die Natur, zu übernehmen, ja, sie positiv zu verändern. Solche Unternehmen mit einem sozialen oder regenerativen Mindset stellen den Menschen in den Vordergrund und nicht die Tätigkeit. Davon können auch größere Unternehmen lernen und sich noch öfter die Frage stellen, welche Bedingungen es einer bestimmten Person mit einer ganz eigenen Biografie und Lebensgeschichte ermöglichen könnte, bei ihnen zu arbeiten. Ein regeneratives Mindset lässt sich auch kultivieren, indem zum Beispiel die psychologische Sicherheit der Mitarbeitenden gestärkt wird.
Was raten Sie jungen Menschen, die sich aktuell mit einer nachhaltigen Idee selbständig machen wollen?
Seid radikal in euren nachhaltigen Visionen, aber pragmatisch in der Umsetzung! Habt das große Ganze im Blick, aber fokussiert euch auf ein kleines, regionales Problem, das ihr lösen könnt. Sammelt so früh wie möglich Erfahrungen in gemeinwohlorientierten Projekten, Sozialunternehmen und politischer Arbeit. Das schärft das soziale und regenerative Mindset und befördert wichtige Gründungs- und Nachhaltigkeitskompetenzen. Ich würde gerne mehr jungen Menschen mit auf den Weg geben, dass sie nichts zu verlieren haben: Selbst wenn die konkrete Gründungsidee "scheitern" sollte, werden sie dadurch unglaublich viel gelernt haben.
Steffen Farny arbeitet unter anderem an transdisziplinären Projekten, um eine Innovation Community aufzubauen und eine sozial-inklusivere Arbeitswelt voranzutreiben. Darüber hinaus unterstützt er Leuphana-Studierende dabei, nachhaltige und unternehmerische Kompetenzen zu entwickeln.