Diversity-Tag 2020: „Diese Sichtweise nimmt fast religiöse Züge an“

26.05.2020 Jung, erfolgreich – männlich: Kaum jemand stellt sich im Zusammenhang mit dem Silicon Valley Gründerinnen vor. Warum eigentlich nicht, fragt Thomas Gegenhuber. Der Juniorprofessor für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere digitale Transformationen forscht für den Bundesgleichstellungsbericht zu digitalem Unternehmertum.

Herr Professor Gegenhuber, müssen wir die Start-up-Kultur anders denken?

Die Frage ist: Will Europa nur eine schlechte Kopie des amerikanischen Markts sein? Stellen wir uns heute ein erfolgreiches Team im Silicon Valley vor, ist es jung, männlich und die Firma skaliert schnell. Diese Sichtweise nimmt schon fast religiöse Züge an. Im Rahmen des Bundesgleichstellungsberichts fragen wir, was wir fördern wollen und wie wir Unternehmer*innentum anders gestalten können. Ich denke da etwa an die Bewegung der Plattform-Genossenschaften. Ein Beispiel: Bieten Reinigungsfrauen ihre Arbeit per Plattform an, müssen sie oft 30 Prozent des Verdiensts an den Betreiber abgeben. Ein gegenteiliges Konzept stellt der New Yorker Reinigungsservice „Up and Go“ dar. Diese Plattform ist genossenschaftlich organisiert, gehört also allen Arbeiterinnen. Sie müssen auch nur fünf Prozent ihres Honorars an die Genossenschaft zurückleiten. Dieses Geld fließt wiederum in die Verbesserung der Webseite. Ein anderes Beispiel ist die Berliner Coding Community „Code curious“. Eine Vertreterin, Ferdous Nasri, hat auch bei der Leuphana Startwoche gesprochen. Bei diesem Projekt bringen sich Frauen mit und ohne Migrationshintergrund kostenlos gegenseitig Programmieren bei. Laut Code Curious konnten etwa 1600 Userinnen ihre Programmierkenntnisse dadurch wesentlich verbessern. Diese Community hebt sich von der traditionellen Technologiebildung ab. Es gibt Raum für Fehler und für soziales Lernen. Und die Frauen bekommen durch die erlangten Kenntnisse tatsächlich einen Fuß in die Technologiebranche.

Wie kann man diese traditionellen Bilder modernisieren?

Rollenbilder zu verändern ist eine Mammutaufgabe. Neben Regulieren ist auch die Frage wo und wie gefördert wird. Die Forschung zeigt: Gibt es in Start-ups weibliche Führungskräfte, dann ist die Chance hoch, dass Mitarbeiterinnen aus diesen Unternehmen wieder in Führungspositionen kommen. Es entspricht einer Evolution. Wir brauchen also politische Ökosysteminterventionen, die an bestimmten Stellen der wirtschaftlichen Umwelt greifen und entsprechend fördern. Das heißt wir müssten nicht nur Bildungsformate anders denken, sondern eben auch das gesamte Ökosystem in der Technologiebranche umgestalten. Denn selbst wenn Frauen heute durch staatliche Programme gefördert werden: Wir wissen, dass nur 30 Prozent in der Industrie hängen bleiben. Ich denke aber nicht nur an Maßnahmen im Bereich Social Entrepreneurship. Wir brauchen genauso Unternehmen, die schnell skalieren. Um unternehmerische Vielfalt zu erreichen, sind gleiche Verwirklichungschancen für verschiedene Konzepte nötig.

Wie bringen Sie dieses Denken Ihren Studierenden näher?

Im vergangenen Semester habe ich unter anderem ein Seminar zu „Female Entrepreneurship“ angeboten. Student*innen haben dort qualitative Interviews mit Unternehmerinnen geführt, die unter anderem aus digitalen Start-ups kamen, aber auch andere Unternehmensformen aufgebaut hatten. Gerade zurren wir das Forschungspaper zusammen.

Trotz des Digitalisierungsschubs durch Corona werden gerade die Menschen besonders wertgeschätzt, die ganz analog unsere grundsätzliche Versorgung gewährleisten.

Eine gute Freundin von mir hat in Wien eine Facebook-Initiative gestartet: Verkäufer*innen wertschätzen. Sie fragte: Warum darf ich dem Supermarkt-Personal kein Trinkgeld geben? Ich habe daraufhin in Deutschland zwei großen Ketten angeschrieben, einmal Bio, einmal konventionell. Die Bio-Kette hat sofort abgesagt. Da sieht man: Nur weil Bio drauf steht, ist nicht Social Responsibility drin. Beim konventionellen Händler wären nur Absprachen mit den einzelnen Marktbetreiber*innen möglich gewesen. Ein vernünftiges, nachhaltiges unternehmerisches Handeln sieht meiner Ansicht nach anders aus: Die Kund*innen müssten an der Kasse aufrunden dürfen. Dieses Geld könnte unter dem Supermarktpersonal aufgeteilt werde. Viele Kund*innen wollen die Arbeit auch monetär wertschätzen, dennoch wurde diese Debatte viel zu wenig geführt.Insgesamt haben Krisen die Effekte, dass Reiche reicher werden und Arme ärmer. Da kann man natürlich gegensteuern, wenn der Staat auch die Mittel dazu hat. Zum Beispiel werden in Dänemark in Zeiten der Pandemie nur Unternehmen unterstützt, die nicht in Steueroasen ansässig sind. So eine Politik sollte in ganz Europa verfolgt werden.

 

 

Der Dritte Gleichstellungsbericht der Bundesregierung fragt, welche Weichenstellungen erforderlich sind, um die Entwicklungen in der digitalen Wirtschaft so zu gestalten, dass Frauen und Männer gleiche Verwirklichungschancen haben. 2019 hat die Bundesministerin Dr. Franziska Giffey die Sachverständigenkommission für den Dritten Gleichstellungsbericht berufen. Die Sachverständigenkommission besteht aus elf Fachleuten aus Volkswirtschaft, Rechtswissenschaft, Informatik, Soziologie, Betriebswirtschaft, Pädagogik und Wirtschaftsingenieurwesen. Thomas Gegenhuber ist Experte für betriebswirtschaftliche Fragen. Er wird seine Forschungsergebnisse publizieren.

©Leuphana
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