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Netzwerkworkshop "Resilienz in Krisenzeiten?!"
In dem neuen Format des Netzwerkworkshops „6 x 10 Minuten – die den Unterschied machen“ am 26.05.2021 diskutierten Netzwerkmitglieder*innen das Thema „Resilienz in Krisenzeiten?“ auf Basis von vier Vorträgen aus  unterschiedlichen fachlichen Perspektiven.

Zum Thema:

Retraditionalisierungstendenzen in den Geschlechterverhältnissen, Zunahme von Gewalt im familiären Bereich, Steigerung von Intoleranz gegenüber anderen, Verschiebungen von Umweltbelastungen u.v.m. konnten im Rahmen der Corona-Pandemie vermehrt beobachtet werden. Die Geschlechter- und Diversitätsforschung liefert hierfür zahlreiche Forschungsergebnisse und kann darüber hinaus auf eine Tradition gesellschaftsanalytischer und machtkritischer Studien zurückgreifen. In den Vorträgen und der anschließenden Diskussion wurde der Begriff der „Resilienz“ kritisch hinterfragt, inwieweit er in Zeiten von Krisen und Pandemien geeignet scheint oder gedeutet werden kann.

Zunächst wurde von Referentin Prof. Dr. Sarah Martiny (UiT The Arctic University of Norway)das Forschungsthema „Gender equality norms and well-being of parents during the Covid-19 pandemic” vorgestellt. Um zu ermitteln, ob die Covid-19 Pandemie zu einer Veränderung von Gleichstellungsnormen (deskriptiv und präskriptiv) geführt hat, wurden Daten aus 15 Ländern aus der Zeit vor und während der Covid-19 Pandemie genutzt und verglichen. Die Ergebnisse zeigen, dass über die 15 Länder hinweg sich deskriptive Normen dahingehend änderten, dass die Kinderbetreuung vermehrt Frauen zugeschrieben wurde. Weitere Studienserien zeigten, dass Eltern sich in ihrem Wohlbefinden während der Pandemie unterschieden, wobei über vier europäische Länder hinweg Mütter niedriges Wohlbefinden berichteten als Väter.

Prof. Dr. Jan Müggenburg sprach anschließend über „Resilienz und digitale Barrierefreiheit – Widerständigkeit bei Mensch und Maschine?“. Die Pandemie verdeutliche, dass die Veränderungen im Denken und Sprechen über das Verhältnis von Technik und Behinderung eine große Rolle spielen, insbesondere bei denjenigen, die ,assistive Technologien‘ für Menschen mit Behinderungen entwickeln. In diesem Zusammenhang befasste er sich mit der Geschichte des Begriffs ‚Resilienz‘ und kritisierte, dass dieser ein im Kern technologischer Begriff sei, der ein bestimmtes Umwelt-Systemdenken impliziert. Wenn Resilienz eingefordert bzw. als positives Persönlichkeitsmerkmal betrachtet wird, werde ein antagonistischer Denkstil unterstützt, der Systeme im Konflikt mit ihrer Umwelt sieht und der Mensch-Maschine-Interaktion vor allem als Quelle potenzieller Störungen sieht.

Katharina Kapitza, M.Sc. setzte sich aus einer kritischen Perspektive mit dem Thema „Resilienz vs. Transformation? Geschlechterperspektiven auf Resilienzverständnisse in der sozial-ökologischen Nachhaltigkeitsforschung“ auseinander. „The capacity of a system to experience shocks, while retaining essentially the same functions, structure, feedbacks, and therefore identity” – So wird Resilienz von dem Netzwerk Resilience Alliance, das die Dynamiken von sozial-ökologischen Systemen zu analysieren versucht, definiert. Kapitza kritisiert jedoch, dass ein Fokus auf Resilienz Macht- und Herrschaftsverhältnisse ignorieren und einen Krisenzustand normalisieren könnte, wodurch Ursachen von nicht-nachhaltigen Systemkonfigurationen vernachlässigt würden. Sie schloss mit der Einschätzung, dass weiterer Forschungsbedarf bestehe, um zu klären, inwiefern ‚Resilienz‘ als kritische Analysekategorie genutzt werden könne, um gesellschaftliche Naturverhältnisse zu bewerten und eine Transformation in Richtung nachhaltiger Entwicklung voranzubringen.

Prof. Dr. Lars Alberth kritisierte in „Kindheit und die Coronakrise: Resilienz oder Stimme?“ den Adultozentrismus klassischer Sozialisationsperspektiven, die dem erziehungswissenschaftlichen Resilienzbegriff zugrunde liegt, sowie die Tatsache, dass Kinder lediglich als „becomings“ und nicht als „beings“ anerkannt werden. Dafür analysierte er u.a. normative und nicht-normative Entwicklungsrisiken und personale und soziale Schutzfaktoren. Um zu erforschen, worunter Kinder in der Corona-Krise konkret leiden und was aus ihrer eigenen Perspektive Abhilfe verschaffen würde, sollte laut Alberth ein kind-zentrierter Blick erfassen, wie Kinder ihre eigene Lebenslage deuten, bewerten und handhaben.