„Die Leuphana ist eine tolle Möglichkeit für die Weiterentwicklung meiner Forschung“
Agnieszka Turska-Kawa ist Teilnehmerin des Gastwissenschaftsprogramms
Eigentlich gilt Forschung als distanziert und wichtige Erkenntnisse werden von anderen in die Praxis umgesetzt. Manchmal aber führen Forschungsergebnisse dazu, dass Wissenschaftler*innen ihre Arbeit in eine neue Richtung lenken und damit zugleich ihren Proband*innen helfen.
So war das auch bei Prof. Dr. Agnieszka Turska-Kawa. Die Politik- und Sozialwissenschaftlerin hatte ((Jahr einfügen)) in einem Forschungsprojekt 500 Senior*innen in Polen zu ihrer Motivation befragt, sich politisch-gesellschaftlich zu engagieren. Die Antworten waren ernüchternd: „Die meisten haben Probleme mit ihrem Selbstvertrauen und dem Gefühl ihrer Selbstwirksamkeit. Sie engagieren sich nicht öffentlich, sondern ziehen sich ins Privatleben zurück“, erläutert Turska-Kawa das Verhalten vieler Pol*innen über 65 Jahren.
Um zu den Hintergründen zu forschen und Senior*innen aus ihrer Komfortzone zu holen, gründete die Professorin für Politikwissenschaften der Schlesischen Universität Kattowitz (Polen) das Forschungszentrum für soziale Aktivierung von Senior*innen (Research Center of social activation of seniors): „Wir versuchen Seniorinnen zu zeigen, dass es sich lohnt, sich zu engagieren und mit anderen zu kooperieren“, erläutert Turska-Kawa. Dazu bietet sie über ihr Forschungszentrum Workshops an. Erkenntnisse aus diesen Veranstaltungen bereichern wiederum ihre wissenschaftliche Arbeit.
Turska-Kawa ist nicht nur Politikwissenschaftlerin. Sie hat auch das Studium der Psychologie abgeschlossen. Beide Fächer verbindet sie in ihrer Forschung und arbeitet damit ähnlich interdisziplinär, wie Prof. Dr. Christian Welzel von der Leuphana. Im März 2023 lernten sich die beiden in Bratislava (Slowakei) bei der Kick-Off-Veranstaltung zum Projekt „TrueDem“ kennen: „Wir entdeckten sofort Überschneidungen und sich ergänzende Interessen in verschiedenen wissenschaftlichen Fragen“, erinnert sich Welzel. Der Professor für Politische Kulturforschung ergänzt: „Agnieszka kommt von der politischen Psychologie. Ich selbst forsche zu Werten, wo viele Konzepte der Sozialwissenschaften und der politischen Psychologie täglich angewendet werden. Wir hatten sofort einen gemeinsamen Ansatz.“

Seither sind die beiden im wissenschaftlichen Austausch. Der läuft noch besser, wenn zwei Forschende vor Ort gemeinsam an Projekten arbeiten können. Christian Welzel schlug Agnieszka Turska-Kawa vor, sich für das Gastwissenschaftsprogramm des Leuphana-Gleichstellungsbüros zu bewerben. Gestartet hat Turska-Kawa im Dezember 2024: „Und jetzt haben wir verschiedene wissenschaftliche Veröffentlichungen in der Pipeline“, sagt Welzel, der das Institut für Politikwissenschaft und Zentrum für Demokratieforschung der Leuphana leitet. Seit 2015 ist er Mitglied der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina.
Passend zum Ziel des Gastwissenschaftsprogramms, Impulse für interdisziplinäre Geschlechterforschung und intersektionale Perspektiven zu geben, widmet sich Agnieszka Turska-Kawa folgendem Thema: Sie erforscht wie bei Seniorinnen öffentliches Engagement initiiert und unterstützt werden kann. Bislang hätten sich Forschende weltweit zumeist darauf konzentriert, was Frauen in ihrer beruflichen und privaten Entwicklung behindert, sagt sie: „Das ist alles bestätigt. Jetzt fokussieren wir uns darauf, wie wir sie bestärken können.“ Frauen sind die größere Zielgruppe unter Senior*innen. „Sie sind stärker in ihrem Umfeld gefangen, ihren Familien, Freunden, der Nachbarschaft.“ Es sei wichtig, sie ins gesellschaftliche Leben „zu schubsen“, da sie viel besser wissen, welche Bedürfnisse sie haben und wie sie etwas mit ihrer Kraft und ihrem Wissen tun können, erläutert Turska-Kawa.
Zum Gastwissenschaftsprogramm sagt sie: „Lüneburg ist eine tolle Möglichkeit für die Entwicklung meiner Forschung. In der Lehre und im Austausch mit den Wissenschaftler*innen hier präsentiere und diskutiere ich meine Ideen und Pläne. Dazu bekomme ich aus unterschiedlichen Perspektiven Rückmeldung.“ Zurück in ihrer Forschungs-Community in Polen bringe sie diese Perspektiven zu anderen Wissenschaftler*innen. Auch die Unterschiede in der Wissenschaftskultur findet sie bereichernd, beispielsweise in der Evaluation und der Lehre.
„Christian Welzel ist ein inspirierender, herausfordernder Wissenschaftler. Wir diskutieren sehr viel, weil wir gerade auch ein neues Forschungsprojekt entwickeln. Für all die Ideen, die wir entwickeln, bräuchte der Tag mehr als 24 Stunden“, sagt Turska-Kawa.

„Es ist einfach ein glücklicher Zufall, dass wir so viele Überschneidungen haben, die sich gegenseitig ergänzen. Wir machen also nicht nur dasselbe, sondern haben auch eine ähnliche Sicht auf die Dinge“, sagt Welzel über die gemeinsame Arbeit. Ihre unterschiedlichen Hintergründe in der Forschung würden ihre Diskussionen bereichern, so dass etwas Größeres entstehe, sagt Welzel. Er hebt auch hervor, dass die Forschung von Agnieszka Turska-Kawa ein gutes Beispiel für die Idee von Intersektionalität sei, wenn verschiedene Benachteiligungen zusammenkommen – in diesem Fall höheres Alter und weiblich sein: „Das ist etwas, was uns bisher gefehlt hat, denn Agnieszka und ihr Team aktivieren Menschen und regen sie an, ganz praktisch etwas zu tun, also die Forschung in die Realität umzusetzen. Das ist eine sehr wichtige Ergänzung für unser Institut, denn bisher hat niemand von uns etwas in dieser Richtung getan“, betont Christian Welzel.
Zum Gespräch mitgebracht hat Agnieszka Turska-Kawa ein Foto ihrer beiden Söhne. Dies hat sie vor mehr als zehn Jahren geschenkt bekommen, als sie Vize-Direktorin des Instituts für Politikwissenschaften an der Universität Schlesien wurde. Seither begleitet es sie auf allen beruflichen Wegen: „Der Anblick bringt mich auch in der größten Arbeit dazu, eine Pause zu machen und zu lächeln.“