"Wertvoller Austausch mit neuen Perspektiven für die Forschung"
Lena Knappert forscht als Gastwissenschaftlerin an der Leuphana
Wie kann es gelingen, dass Menschen mit underschiedlichen Geschlechtern, Herkünften und Hintergründen in Organisationen so gleichberechtigt wie möglich arbeiten und partizipieren? Diese Frage beschäftigt Dr. Lena Knappert, Vrije Universiteit (VU) Amsterdam, und die Doktorandin Lillan Lommel, Leuphana Universität Lüneburg. Im Gastwissenschaftsprogramm der Leuphana entwickeln die Forscherinnen mit Prof. Dr. Boukje Cnossen ein Forschungsprojekt in diesem Themenbereich.
Prof. Dr. Lena Knappert hält eine kleine Maschine in der Hand, die mit ihr um die Welt gereist ist. Den digitalen Rekorder hatte sie in China dabei und in den USA, um Interviews aufzuzeichnen. Auch nach Lüneburg hat sie das Gerät mitgebracht, obwohl sie es wegen der veralteten Technik nicht mehr für ihre Forschung nutzt. In jüngster Zeit aber hat der Rekorder in ihrem Privatleben eine besondere Bedeutung gewonnen. Aber dazu später.
Beruflich steht der Rekorder für die Tür, die sich für sie in die Forschung geöffnet hat. Für ihre Doktorarbeit hat sie sich zunächst auf das Thema „Leistungsmanagement bei Mitarbeitenden“ konzentriert. „Ich reiste an verschiedene Orte, in verschiedene Länder, sprach mit verschiedenen Menschen und zeichnete auf, was sie mir über Leistungsmanagement in ihren Organisationen zu sagen hatten.“ Je mehr Interviews sie führte, desto größer wurde ihre Faszination für die unterschiedlichen Erlebnisse von Mitarbeitenden mit ein und demselben Leistungsmanagementsystem. „Einige Interviewpartner*innen erzählten mir, dass sie das Gefühl hatten, ihre Kultur werde in ihrem Leistungsmanagementsystem nicht anerkannt. Und manche Frauen äußerten das Gefühl, dass ihre Bedürfnisse im Leistungssystem nicht gesehen würden“, erinnert sich Lena Knappert, die als Assistant Professor am Department of Management and Organization an der Vrije Universiteit (VU) Amsterdam, in den Niederlanden arbeitet. Mit den Gesprächen für ihre Dissertation fand sie ihr heutiges Forschungsgebiet: Diversity, Equity & Inclusion – oder kurz „DEI“. Also die Auseinandersetzung mit Vielfalt, Gerechtigkeit und Inklusion im Arbeitszusammenhang.
Woraus Lena Knappert ihre Motivation zu forschen zieht? Aus dem Wunsch die auch heute noch bestehenden Ungleichheiten in Gesellschaften und Organisationen zu beleuchten und zu verringern: „Es treibt mich seit je her die Frage um, wie diese Ungleichheit bestehen kann, warum wir damit immer noch konfrontiert sind, nach allem, was wir bereits wissen“, sagt Lena Knappert. Angesichts derzeitiger Entwicklungen in der Politik ergänzt sie: „Das, was in den USA aktuell passiert, diese Rolle rückwärts bezüglich DEI, motiviert mich noch mehr, diese wichtige Arbeit zu tun.“
Ihre Motivation bringt sie in das Projekt ein, an dem sie mit ihren Kolleginnen an der Leuphana forscht: Boukje Cnossen, Professorin für Betriebswirtschaftslehre insbesondere Entrepreneurship, Organisation und Kultur an der Leuphana, sowie Lillan Lommel, Doktorandin am Institut für Management & Organisation (IMO). Lena Knappert erläutert: Aktuell entstünden neue Organisationsformen und Arbeitsweisen, oft mit egalitärem Anspruch, dennoch gebe es immer noch die gleichen Probleme der Ungleichheit innerhalb von Unternehmen und Gesellschaften: „Wir untersuchen, welche Praktiken Organisationen grundlegend prägen – und das insbesondere in Bezug auf DEI.“
Lena Knappert beschreibt ihre Forschung mit einem Beispiel aus dem Bereich Coworking, einem weltweit schnell wachsendem Phänomen: „Während die Coworking-Bewegung Gleichheit und Emanzipation betont, ist wenig darüber bekannt, inwieweit Coworking Spaces als neue Organisationsformen diesem Ideal überhaupt gerecht werden.“ Deshalb hat sie in einer Studie Coworking Spaces in den Niederlanden untersucht. Die Ergebnisse zeigen, dass es auch im Coworking bestimmte Komponenten von Ungleichheit gibt, wie stereotype Annahmen über „ideale Mitglieder”. „Solche Annahmen bilden die Grundlage für Ungleichheit. Zudem haben wir nicht nur Praktiken gefunden, die Ungleichheit erzeugen, sondern auch solche, die Ungleichheit aufrechterhalten, wie z.B. die Leugnung von Ungleichheit“, erläutert Lena Knappert.
„Nicht nur durch ihre Expertise im Bereich Diversität und Inklusion bereichert Lena Knappert die Arbeit hier an der Leuphana. Es ist auch die Art, wie wir interagieren, die die Zusammenarbeit mit ihr so kostbar macht“, sagt Lillan Lommel. Durch den engen Austausch mit Lena Knappert hat sie die Begleitung der Gastwissenschaftlerin während deren Zeit in Lüneburg übernommen. Prof. Dr. Boukje Cnossen, Professorin für BWL, insbesondere Entrepreneurship, Organisation und Kultur, die ursprünglich Lena Knapperts Gastgeberin sein sollte, ist aktuell in Elternzeit.
©Marie-Luise Braun
Als bereichernd empfindet Lillan Lommel auch die Formen der Kommunikation, die Lena Knappert wählt. So hat Lena Knappert während der Ausstellung„Queer, Life, Freedom – Archive of Resilience“ des Künstlers Ashkan Shabani im Kunstraum der Leuphana zu ihrer Forschung zur Arbeitsmarkintegration geflüchteter Menschen gesprochen. „Es war faszinierend zu erleben, wie Lena ihren wissenschaftlichen Vortrag in der durch Kunst geprägten Umgebung gestaltet hat. Zudem war der Raum während des Vortrags sehr dunkel. Das hat eine besondere Stimmung erzeugt und einen vertiefenden Austausch über die Forschung erleichtert“, sagt Lillan Lommel.
Während des Gastaufenthaltes von Lena Knappert im Sommersemester 2025 an der Leuphana entwickeln die beiden Wissenschaftlerinnen mit Boukje Cnossen ein Projekt: „Wir forschen zu Diversität und In/Exklusion in einem Social Impact Hub – also einem Umfeld, das eine neue Form des Organisierens darstellt“, beschreibt es Lillan Lommel. Dabei handele es sich eben nicht um eine formelle Organisation, sondern um eine informelle, losere Form.
Studiert hat Lena Knappert Psychologie in Potsdam. Anschließend wurde sie in am Berliner Standort der École supérieure de commerce de Paris (ESCP) zu Internationalem Personalmanagement promoviert. Sie reiste beruflich weiter, hatte eine Assistenzprofessur an der Özyegin University in Istanbul, Türkei. 2016 ist sie in die Niederlande gezogen um an der Tilburg Universität zu arbeiten. Nach weiteren sechs Jahren an der VU zieht es sie jetzt weiter. Ab Herbst wird sie als Professorin für Diversität und Gender in Organisationen an der Wirtschaftsuniversität (WU) Wien arbeiten.
Für die Forschung nutzt sie den digitalen Rekorder nicht mehr. Inzwischen hat ihr Sohn das Gerät für sich entdeckt. „Er zeichnet alles auf, was er interessant findet: Lieder, Ideen, und Gedanken die er nicht vergessen möchte. Und er bringt uns dazu, es uns anzuhören. So haben wir noch immer tiefe Einsichten mit dem Rekorder“, erläutert Lena Knappert lächelnd.



