Transformational Entrepreneurship Days

Unternehmertum von morgen

13.09.2021 Wie kann Unternehmertum positiven Impact auf die Gesellschaft haben? Bei den Transformational Entrepreneurship Days vom 21. bis zum 23.9. sind Wissenschaftler*innen, Unternehmer*innen und Engagierte eingeladen, sich auszutauschen und in Workshops im Rahmen einer interaktiven Veranstaltung Ideen für die Ökonomie von morgen zu entwickeln. Im Interview schildert die Initiatorin und Organisatorin, Verena Meyer, die Hintergründe des Events und gibt einen Einblick in die transformationalen Perspektiven im Entrepreneurship-Bereich.

Initiatorin und Organisatorin Verena Meyer im Interview ©Verena Meyer
Initiatorin und Organisatorin Verena Meyer im Interview
Was bedeutet das „Transformational“ in „Transformational Entrepreneurship“?
Dahinter steht die Idee, dass Entrepreneurship Teil eines gesellschaftlichen Systems ist und der Anspruch, durch Entrepreneurship Gesellschaft zu gestalten und zu einer wünschenswerten gesellschaftlichen Veränderung beizutragen. Wir verwenden Transformational Entrepreneurship oft auch als Oberbegriff. Es gibt ja viele verschiedene Varianten von Entrepreneurship, wie Social, Sustainable oder Cultural Entrepreneurship. Bei allen stehen soziale, nachhaltige oder ökologische Themen im Vordergrund – und damit immer der Wunsch nach gesellschaftlicher Gestaltung und einem positiven nachhaltigen Beitrag. Der Wunsch nach der bewussten Gestaltung und Umgestaltung eines Systems und zugleich der Anspruch auf Nachhaltigkeit, bei dem soziale, ökologische und ökonomische Dimensionen zusammengeführt werden – das sind die zwei Aspekte, die „transformational“ am besten zusammenfassen.
Stehen Nachhaltigkeit und Entrepreneurship nicht im Widerspruch zueinander?
Das wird oft so dargestellt, aber die Frage ist ja: muss das so sein? Wir leben in einer Welt, in der sich das Thema Nachhaltigkeit nicht ignorieren lässt und auch nicht ignoriert werden sollte. Wenn wir durch die Klimakrise unseren Lebensraum zerstören, dann bleibt schließlich auch kein Raum mehr für Wirtschaft oder Entrepreneurship. Das „entweder es ist wirtschaftlich oder es ist nachhaltig“ ist eine irreführende Dualität. Es könnte auch durchaus beides sein – selbst wenn es immer auch eine Herausforderung ist, wie sich das tatsächlich umsetzen lässt. Das geht aber nur, wenn wir Entrepreneurship als Teil eines sozialen und politischen Systems verstehen und damit breiter als nur als Gründung von Unternehmen.
Wie meinen Sie das?
Der englische Begriff „Entrepreneurship“ meint allgemeiner Aktivitäten, die Innovation begünstigen und wo es um das Gestalten von Chancen geht. Und damit einher geht immer auch das Engagement, aktiv Gesellschaft zu gestalten und Verantwortung zu übernehmen, eine Handlungsorientierung, wie sie auch im Leitbild der Leuphana steht. Das meint also viel mehr als die klassische Gründung. Wenn wir im deutschen von Unternehmertum sprechen, denken wir doch oftmals an junge Gründer die in der Höhle der Löwen pitchen, mit tollen Ideen, die sich heldenhaft gegen andere durchsetzen und gerade einen Batzen Geld für ihre neue Idee bekommen haben. Und das ist das Bild, was so oft von Unternehmertum vermittelt wird, aber sehr eindimensional ist. Dabei kann Entrepreneurship auch viel allgemeiner eine Haltung sein, die Möglichkeiten schafft.
Was ist denn das Problem an diesem Bild der jungen Gründer?
Das ist insofern problematisch als dass viele Menschen, die eigentlich auch unternehmerisch tätig sein könnten, sich von Entrepreneurship gar nicht angesprochen fühlen. Also nicht fragen: Was habe ich für Möglichkeiten? Kann das auch für mich ein Weg sein? Sondern sich selbst von vornherein herausselektieren, weil sie sagen: So sehe ich nicht aus, so spreche ich nicht, da passe ich nicht rein. Die Option dazu besteht also durch diesen Stereotyp kaum. Und es ist erstaunlich, wie einflussreich diese Stereotypen immer noch sind, was auch meine eigene Forschung zeigt. Ich habe kürzlich mit zwei Kolleginnen einen Artikel veröffentlicht, wie sich Diversität im Entrepreneurship-Bereich besser erforschen und verstehen lässt. Nämlich durch einen intersektionalen Ansatz, bei dem verschiedene Kategorien, wie Geschlecht, Alter, sexuelle Orientierung und ihr Zusammenwirken berücksichtigt werden. Erst dann verstehen wir die Lebenswirklichkeit vieler Menschen und Unternehmer*innen. Und dieses Verständnis ist die wichtigste Grundlage für Veränderung, also für einen transformationalen Ansatz. Und der ist wichtig, sonst tragen auch wir als Forscher*innen dazu bei, dass Strukturen fortgeschrieben werden, die dazu führen, dass oft nur die gleichen Vorbilder sichtbar werden. Das System erhält sich ansonsten selbst und die Strukturen sind dabei oft diskriminierend – gerade wenn man sich anschaut, wie genau Gelder für Gründungsförderung vergeben oder Investitionsentscheidungen getroffen werden.
À propos „Geld“: Damit man überhaupt etwas machen kann, braucht man Geld. Kein Geld – keine Möglichkeit, irgendwas zu verbessern. Daher sollten doch beim Entrepreneurship Gewinne im Fokus stehen oder?
Muss das so sein? Lässt sich das nicht anders denken? Gerade bei dem Thema Transformational Entrepreneurship ist eine Grundannahme, dass sich wirtschaftliches Wachstum und gesellschaftlicher Mehrwert nicht ausschließen. Und damit finanzieller Gewinn und Gewinnmaximierung auch nicht der alleinige Fokus sein muss. Sondern vielleicht auch der soziale Gewinn einer Unternehmung. Unternehmen können ja auch eine gesellschaftliche Verantwortung eingehen, bei der sie gleichzeitig Gewinn machen und Arbeitsplätze erhalten und trotzdem einen Mehrwert liefern. Also Arbeitsplätze im Sinne von Jobs, von denen Menschen tatsächlich gut leben können. Dafür braucht es aber die passenden politischen Rahmenbedingungen.
Können Sie dafür ein Beispiel geben?
Gerade Corona hat das sehr gut gezeigt. Als etwa mein Lieblingscafé im Lockdown schließen musste, haben sie angefangen stattdessen richtig gute Frühstücksboxen zu liefern. Das ist ja der Kernpunkt unternehmerischen Handelns: Die Gegebenheiten zu nutzen und zu versuchen, das Beste draus zu machen. Das war eine sehr kreative Möglichkeit, um Einnahmen zu schaffen und das Café und die Mitarbeitenden zu erhalten. Gleichzeitig hat die Pandemie aber auch gezeigt, dass unternehmerisches Handeln zwar ein guter Schritt ist, aber oft nicht ausreicht und dass dazu noch ein politischer Rahmen benötigt wird. Zum Beispiel in der Gastronomie oder auch bei Kultur- und Kreativschaffenden, bei denen die Lebensgrundlage weitestgehend weggefallen ist. Hier braucht es mehr als nur die kreativen Ideen von Einzelnen, sondern auch konkrete Unterstützung. Also ein Zusammenspiel von unternehmerischem Handeln und politischen Rahmenbedingungen. Und umgekehrt wiederum auch eine verstärkte gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen, der bisher viele noch nicht gerecht werden.
Das klingt ziemlich weit weg von einer neoliberalen oder kapitalistischen Idee von Unternehmertum.
In meiner Wunschvorstellung definitiv. Wir sehen doch gerade überall die Grenzen des aktuellen Wirtschaftssystems und brauchen neue Ansätze. Und je mehr ich dazu forsche, je mehr ich das aktuelle Verständnis von Entrepreneurship hinterfrage, desto mehr komme ich zu dem Schluss: es muss auch anders gehen. Und zwar besser. Besser für Gesellschaft, Umwelt, uns alle. Das ist es auch, was mich bei der Konzeption der Leuphana Transformational Entrepreneurship Days angetrieben hat: der Wunsch, etwas zu verändern und Menschen zusammen zu bringen, die diese Vision im Kontext Entrepreneurship teilen. Die Leuphana ist dafür der perfekte Ort: Handlungsorientierung, Humanismus und die Freiheit zur Selbstbestimmung, aber auch Nachhaltigkeit, sind Teil des Leitbildes und wir sind mehrfach für unsere Gründungsfreundlichkeit ausgezeichnet worden. Wenn wir diese Themen verbinden und das unserer Anspruch ist, in Forschung, Lehre oder im Transfer, dann sind wir bei einem transformationalen Ansatz von Entrepreneurship. Und dann klappt das auch mit dem positiven Impact von Unternehmertum auf die Gesellschaft.
Vielen Dank!

Weitere Infos

Die Transformational Entrepreneurship Days finden online vom 21. September bis zum 23. September (jeweils 9 Uhr bis 12:30 Uhr) statt. Die Veranstaltung wird von der Leuphana zusammen mit dem European Council for Small Business and Entrepreneurship (ECSB), mit Unterstützung durch das wissenschaftliche Komitee aus Prof. Dr. Silke Tegtmeier sowie Prof. Dr. Paul Drews und Prof. Dr. Markus Reihlen ausgerichtet und im Rahmen des Projekts MultiScout vom Europäischen Fond für regionale Entwicklung (EFRE) sowie dem Land Niedersachsen gefördert. Die Organisation der Veranstaltung liegt im Kooperations-Service und wird gemeinsam durch Verena Meyer und Annette Schöneck, Referentin des Entrepreneurship Hubs, verantwortet. Die Teilnahme ist kostenlos, um Anmeldung bis zum 20. September wird gebeten.