• Leuphana
  • Kooperationen
  • „Die Infrastruktur ist da – sie muss nur für die Zukunft angepasst werden“ Prof. Dr. Benjamin...

„Die Infrastruktur ist da – sie muss nur für die Zukunft angepasst werden“ Prof. Dr. Benjamin Klusemann im Interview

18.11.2025 Stabile Lieferketten, günstige Rohstoffe und geringe Energiekosten – was utopisch klingt, könnte mithilfe konsequenter Kreislaufwirtschaft schon bald Realität werden. „Die Infrastruktur ist vorhanden“, sagt Benjamin Klusemann, Professor für Werkstoffmechanik und Mitglied der Leuphana Innovation Community Nachhaltige Produktion. „Sie muss nur an die Herausforderungen der Zukunft angepasst werden.“

©Leuphana Universität
„Mit Kreislaufwirtschaft schaffen wir Zugang zu Materialien, die sonst nur schwer oder teuer zu beschaffen wären", sagt Prof. Dr. Benjamin Klusemann.

Gemeinsam erforscht Klusemann mit Kolleg*innen des Instituts für Produktionstechnik und -systeme, wie recycelte Materialien neue Rohstoffquellen eröffnen und somit Kosten deutlich senken können. Beim 2. Leuphana Industriekolloquium am 26. November diskutieren Vertreter*innen aus Wissenschaft und Industrie aktuelle Ansätze von Zirkularität.

Ganz plakativ gefragt: Wie kann sich Kreislaufwirtschaft für Unternehmen rechnen?

Das ist eine Frage der Ressourcen: Wie verfügbar sind sie und was kosten sie? Mit Kreislaufwirtschaft schaffen wir Zugang zu Materialien, die sonst nur schwer oder teuer zu beschaffen wären. Magnesium ist ein gutes Beispiel: Wir sind stark von China abhängig. Das ist teuer, belastet die Umwelt und macht uns abhängig von unsicheren Lieferketten. Wenn wir Magnesium aber aus vorhandenen Bauteilen zurückgewinnen, entsteht eine neue, deutlich energieeffizientere Rohstoffquelle. Das ist ein klarer Wettbewerbsvorteil – gerade bei steigenden CO₂-Preisen. Und nachhaltiger ist es sowieso. Bereits jetzt sind sehr viele Materialien im Umlauf. Gerade im Hinblick auf die nächsten Generationen müssen wir darüber nachdenken, was damit passiert. Deshalb ist Kreislaufwirtschaft entscheidend für Unternehmen, aus wirtschaftlichen Gründen, aber auch aus ethischen und Nachhaltigkeitsgründen.

Wo liegen dabei derzeit die größten Herausforderungen?

Die größte Herausforderung ist, die Prozesskette so zu designen, dass diese mit den veränderten Eigenschaften der recycelten Materialien umgehen kann, und trotzdem die Ansprüche an neue Bauteile zu erfüllen. Legierungen und Verunreinigungen verändern die Materialeigenschaften. Die Frage ist: Wie tolerant können wir unseren Fertigungsprozess oder unsere gesamte Wertschöpfungskette umgestalten, um mit diesen Varianzen umzugehen. Wir müssen umdenken: Nicht jedes recycelte Material muss wieder in der gleichen Anwendung eingesetzt werden. Ein Werkstoff, der dem Flugzeugbau nicht mehr genügt, kann etwa in der Kleinelektronik noch hervorragende Dienste leisten. Das heißt, wir müssen beim Recycling oder Upcycling eines Materials immer im Blick haben, wofür wir es später einsetzen möchten.

Gibt es dafür schon erfolgreiche Beispiele aus der Praxis?

Ja, beim Aluminium gehört Recycling schon zu den Standardprozessen. Ein Großteil des heute genutzten Aluminiums enthält bereits recycelte Anteile. Energetisch lohnt sich das enorm – wir sprechen von bis zu 90 Prozent Energieeinsparung gegenüber der Primärherstellung. In dem Zuge müssen aber auch die Fertigungsprozesse künftig flexibler werden, um mit schwankenden Materialeigenschaften umgehen zu können und eine höhere Sortenreinheit zu gewährleisten. Wir müssen die Wertschöpfungskette ganzheitlich betrachten.

Welche Rolle kann Forschung dabei spielen, die Transformation hin zu einer kreislaufwirtschaftlichen Produktion zu beschleunigen?

Unsere Aufgabe ist es, Prozesse besser zu verstehen, zu simulieren und zu optimieren. Wir arbeiten mit Industriepartnern oftmals an sogenannten Demonstratoren. Das sind reale Bauteile im Labormaßstab, wie Solarpaneele auf recycelten Aluminiumschienen oder kleinskalige Flugzeugbauteile, an denen wir Prozesse nachvollziehen und ausprobieren können. Auch Simulationen spielen dabei eine immer größere Rolle: Wir kombinieren experimentelle Daten mit KI-gestützten Modellen, um Prozesse effizienter zu gestalten, etwa mit digitalen Abbildern, die Rückschlüsse auf optimale Prozessparameter erlauben.

Können Netzwerke und regionale Communities wie die Leuphana Innovation Community Nachhaltige Produktion diese Transformation stärken?

Auf jeden Fall. Der Austausch mit Unternehmen zeigt uns, wo die realen Problemstellungen liegen und welche Probleme aktuell auftreten. Darüber hinaus lernen wir Best-Practice-Beispiele kennen, die uns in unserer Forschung weiterbringen. Einige präsentieren sich zum Beispiel beim 2. Leuphana Industriekolloquium. Solche Aktivitäten stärken das gegenseitige Verständnis. Die Unternehmen sehen, was die Universität macht und andersherum. Das ist ein riesiger Vorteil. So können wir uns das spezifische Problem ansehen und gleichzeitig übertragbare Ergebnisse für verschiedene Branchen schaffen. Gerade kleine und mittlere Unternehmen profitieren davon, weil sie Zugang zu neuem Wissen und Partnern bekommen – das schafft echte Synergieeffekte in der Region.

Welche Chancen könnten darin für den Industriestandort Deutschland liegen?

Deutschland hat im Vergleich zu anderen Ländern eine starke Industrieproduktion. Wenn es gelingt, diese ganzheitlich auf grüne Energie und stabile, regionale Lieferketten umzustellen, können wir nicht nur unabhängiger und energieeffizienter werden, sondern auch kostengünstiger bei entsprechend hoher Qualität. Die Infrastruktur ist vorhanden – sie muss nur konsequent an die Herausforderungen der Zukunft angepasst werden.

  • Prof. Dr.-Ing. Benjamin Klusemann