Leadership Garage – Sabine Remdisch im Interview

19.10.2020 Im Projekt „Leadership Garage“ kommen Expert*innen aus Wissenschaft und Wirtschaft regelmäßig zusammen, um Lösungen für die Herausforderungen der modernen Führung in der digitalen Arbeitswelt zu entwickeln. Geleitet wird die LeadershipGarage von Prof. Dr. Sabine Remdisch, Professorin für Personal- und Organisationspsychologie und Leiterin des Instituts für Performance Management an der Leuphana. Wie die LeadershipGarage ihre Praxispartner durch die aktuelle Situation führt und gezielt die Herausforderungen angeht, erzählt Prof. Dr. Sabine Remdisch im Interview.

©Prof. Dr. Sabine Remdisch
©Prof. Dr. Sabine Remdisch
©Prof. Dr. Sabine Remdisch
Sind Mitarbeiter*innen im Home Office zufriedener – oder wirkt es nur so, z.B. weil sie entspannter sind?

Wie es Menschen im Home Office wirklich geht, haben wir aktualitätsbezogen und stichprobenartig mit unserer Pilotstudie zum „Digital Logbook“ beleuchtet. Wir wollten Aufschlüsse darüber bekommen, was es für Menschen bedeutet, wenn Arbeit plötzlich online von zuhause aus stattfindet. Um das zu erfahren, baten wir Probanden um eine Einschätzung ihrer aktuellen Arbeitssituation im Home Office – wir fragten beispielsweise, wie zufrieden oder auch gestresst sie sind, wie gut sie sich informiert fühlen, wie die virtuelle Zusammenarbeit funktioniert, wie sie sich organisieren oder auch, wie es mit ihren Handlungsspielräumen aussieht. Zudem baten wir die Probanden um eine retrospektive Einschätzung ihrer vorherigen Arbeitssituation im normalen Büroalltag.

Was kam dabei heraus?

Das Ergebnis in drei zentralen Punkten: Der Handlungsspielraum im Home Office ist gestiegen, die Zusammenarbeit ist in der Wahrnehmung der Befragten zurückgegangen und die Transparenz hat deutlich abgenommen und weist zudem einen starken Zusammenhang mit der im Home Office erlebten Arbeitszufriedenheit auf. Die Befragten meldeten zurück, dass sie im Homeoffice weniger Transparenz erleben, also die Priorisierung von Aufgaben und die Verantwortlichkeiten unklarer sind und es ebenfalls an den Bewertungskriterien für Arbeitsleistungen sowie dem Feedback von Kollegen und Vorgesetzten krankt. Für die Führungskräfte bedeutet dies: Die Transparenz stellt einen vielversprechenden Ansatzpunkt in Bezug auf die Arbeitszufriedenheit im Home Office dar und sollte beispielsweise durch tägliche Teammeetings, gemeinsame virtuelle Kaffeepausen und digitale Tools, die Aufgaben und Verantwortlichkeiten sichtbar machen, gefördert werden.

Möchten Chef*innen eine Rückkehr zur Büroarbeit oder profitieren sie vom „remote work“ ihrer Mitarbeiter*innen?

Führung auf Distanz lässt altbewährte Führungsprinzipien keineswegs völlig obsolet werden, im Gegenteil – bisherige Kernaufgaben einer Führungskraft wie etwa die Mitarbeitermotivation, die zentrale Aufgabe der Personalentwicklung oder auch die klassische Zielvereinbarung bleiben wichtige Bausteine guter Führung. Sie werden jedoch überlagert durch die Faktoren Distanz und Virtualität. Die Entfernung im Führungsprozess zu überwinden ist eine Herausforderung und lässt sich treffend mit „being there when you are not there“ umschreiben. Die zentrale Variable hierbei ist der Aufbau von Vertrauen. Gelingen kann dies dadurch, Mitarbeitende bei Entscheidungen zu beteiligen, ihnen die relevanten Informationen zu liefern, eine klare Orientierung zu geben und sensibel zu sein für deren Bedürfnisse. Führung bleibt immer soziale Interaktion und hat nun die zusätzliche Aufgabe, diese soziale Interaktion auch ins Digitale zu übertragen. An diesem Punkt kommt die „digitale Empathie“ ins Spiel, ein neues Forschungsfeld, das wir aktuell in der LeadershipGarage angehen.

Wie lassen sich mögliche Überforderungen durch digitale Arbeit oder auch Phänomene wie „Zoom-Müdigkeit“ bewältigen?

In der augenblicklichen Situation entsteht schnell ein Gefühl der Isolation, Mitarbeitende haben den Eindruck, nicht einbezogen zu sein, nichts mehr mitzubekommen oder auch mit technischen Problemen allein dazustehen. Hier müssen Führungskräfte frühzeitig eingreifen und sind als Coach und Netzwerker gefragt. Ein kleines 7x7 Workbook rund um das Thema Gesundes Arbeiten im Home Office habe ich gerade in einem gemeinsamen Projekt mit Studierenden zusammengestellt. Darin finden sich sieben Übungen, die auf gesundheitsrelevanten, psychologischen Modellen basieren und an sieben aufeinanderfolgenden Tagen zur nachhaltigen Gesundheit am digitalen Arbeitsplatz beitragen können. Wichtig ist in jedem Fall, dass die aktuelle Situation bewusst wahrgenommen und als ein Lernprozess begriffen wird, um aus der geforderten Ad-hoc-Umstellung ein langfristig erfolgreiches Arbeiten und Führen auf Distanz reifen zu lassen.

Welche Impulse gibt die Leadership Garage?

In der LeadershipGarage entwickeln wir wissenschaftlich fundierte Hilfestellungen für Großunternehmen und Mittelstand auf ihrem Weg in die digitale Zukunft. Wie gut das eigene Unternehmen auf diese Zukunft vorbereitet ist, können die Führungskräfte der LeadershipGarage beispielsweise anhand des von uns im Rahmen unserer Benchmark-Studie entwickelten „Digital Culture Fit“ prüfen: Mithilfe dieses Tools können sie durch den Vergleich mit der großen, bereits zur Verfügung stehenden Datenbasis sehr genau identifizieren, an welchen Stellschrauben in Richtung Innovation und Digital Mindset in ihrem Unternehmen noch zu drehen ist, um Digitalisierung voranzutreiben.

Die LeadershipGarage ist zudem eng verzahnt mit dem Digital Leadership Lab – wie sieht diese Kollaboration konkret aus?

Ziel des Digital Leadership Labs ist es, Unternehmen und deren Führungskräfte mit den für sie relevanten Tools und Arbeitsweisen der digitalen Zukunft zusammenzubringen. Dafür hält das Lab innovative Anwendungen bereit, die unter wissenschaftlicher Leitung praktisch ausprobiert und im weiteren Verlauf zu erfolgreichen Digital- und Innovationskulturen ausgebaut werden. Zu diesen Anwendungen zählen Telepräsenz-Roboter, interaktive Whiteboards, Webkonferenzsysteme oder auch Datenbrillen für Mixed Reality Szenarien. Hinzu kommen Lösungen künstlicher Intelligenz für die künftig immer relevanter werdenden datengestützten Führungsentscheidungen. Bei alldem greift das Digital Leadership Lab auf die Forschungsergebnisse der LeadershipGarage zurück. Man könnte sagen: Die LeadershipGarage untersucht, wie Führungserfolg in der digitalen Arbeitswelt entsteht – und das Digital Leadership Lab setzt diese Erkenntnisse in innovative Praxis um. Das Lab ist ein wichtiges Instrument, um das Forschungswissen der LeadershipGarage praktisch nutzbar zu machen.

Welches Highlight gibt es im nächsten halben Jahr?

Aktuell arbeiten wir mit Hochdruck auf den zusammen mit der Leuphana und namhaften Partnern aus der Praxis für den kommenden 5. November terminierten „Leuphana Digital Leadership Campus“ hin. Dafür richten wir eine virtuelle Konferenzumgebung ein, innerhalb derer die Teilnehmenden im Stil eines Zirkeltrainings ihre digitale Performance gezielt trainieren und nachhaltig stärken können. Zielgruppe für unseren Digital Leadership Campus sind Führungskräfte und HR-Entscheider*innen, darüber hinaus natürlich alle Interessierten aus Wissenschaft und Praxis, und auch Studierende sind willkommen. Eine Veranstaltung dieses Formats online umzusetzen stellt eine besondere Herausforderung dar, eröffnet uns aber auch enorme Optionen: So wird es beispielsweise eine Live-Schaltung direkt ins Silicon Valley geben, was die Möglichkeit, Einblicke in Digitalkonzerne zu bekommen und gewinnbringende Netzwerke zu knüpfen, noch einmal erweitert. Darüber hinaus werden wir Anfang 2021 eine LeadershipGarage-Gruppe speziell für HR-Entscheider*innen starten.