Digitale Kulturen

Der Forschungsschwerpunkt »Digitale Kulturen« hat zur Aufgabe, jene kulturellen Veränderungen intellektuell und begrifflich zu durchdringen, die seit mehr als einem halben Jahrhundert mit digitalen Technologien einhergehen. Er leistet damit kulturwissenschaftliche Grundlagenforschung für eine inhaltlich präzise, methodisch reflektierte sowie vorurteilsfrei geführte Auseinandersetzung mit den vielfältigen Phänomenen und Herausforderungen digitaler Kulturen.

Forschungsprogrammatik

Der Begriff der Digitalität bezeichnet im Verständnis des Forschungsschwerpunktes die Art und Weise, in der digitale Technologien eine kulturerzeugende Kraft entfalten: Sie sind nicht bloße Werkzeuge des Handelns, Wahrnehmens, Erkennens oder Kommunizierens, sondern greifen konstitutiv dort in Sinnzusammenhänge und Wissensordnungen, in Reflexionsvorgänge und Praktiken ein, wo die europäische Denktradition das menschliche Subjekt als selbstbestimmt und handlungsmächtig angesetzt hatte. Dieser Prozess steht nicht erst durch eine sogenannte ›Digitalisierung‹ noch bevor, sondern hat sich bereits (mit oft gravierenden Konsequenzen) in allen Bereichen der Lebenswelt verwirklicht.

Anders als die unter dem Schlagwort der ›Digitalisierung‹ zusammengefassten Forschungen zum ökonomischen, politischen und technischen Wandel, setzt der Forschungsschwerpunkt daher weder eine vorhandene und bloß zu digitalisierende ›Kultur‹ voraus, noch definiert er sich von einem anwendungs- oder innovationsgetriebenen Problemlösungsdruck her. Vielmehr begreifen wir die seit gut 70 Jahren sich vollziehende Durchdringung der Welt mit digitalen Medientechnologien als Reflexionsanlass einer einschneidenden Ver-änderung des Verständnisses von Kultur, die auch Vorstellungen von Geschichte und Geschichtlichkeit und somit von kulturwissenschaftlichen Forschungsgegenständen, -methoden und -perspektiven erfasst. Als Antwort auf die Destabilisierung gesellschaftlicher Routinen, kultureller Praktiken und wissenschaftlicher Standards durch digitale Medientechnologien verortet sich die Forschung des Schwerpunkts in der Tradition einer Kulturwissenschaft als »Krisenwissenschaft« und bezieht sich dabei auf eine (in globaler Perspektive informierte und für die Gegenwart zu erneuernde) Tradition der ›Ersten Kulturwissenschaft‹.

Mit Begriff und Konzept der »Digitalen Kulturen« ist somit kein Primat oder Apriori der Kultur oder der Medientechnik bezeichnet, sondern das genuin kulturwissenschaftliche Forschungsinteresse an den komplexen Wechselspielen zwischen Medien und Kultur. Der Forschungsschwerpunkt »Digitale Kulturen« ist daher dezidiert interdisziplinär eingerichtet, indem sich Geistes- und Sozialwissenschaften in engem Austausch mit jenen spezifischen Phänomenen befassen, anhand derer die Dynamiken und Konsequenzen digitaler Kulturen manifest geworden und in ihren Genealogien rekonstruierbar sind. Als beteiligte Disziplinen prägen insbesondere die Medienwissenschaft, die Kulturtheorie sowie die sozialwissenschaftlichen Zugänge der Soziologie, der Organization Studies und der Kulturanthropologie die Arbeit des Schwerpunkts. Ihr gemeinsames Ziel besteht in der Entwicklung und Etablierung einer Kulturwissenschaft der Digitalität.

 

Institutionen

Die internationale Vernetzung inkl. Kooperationen und Auslandsaufenthalten spielen eine wesentliche Rolle für den Forschungsschwerpunkt. Institutionelles Gefäß dafür ist das »Centre for Digital Cultures – CDC«, das sich als ein international sichtbares kulturwissenschaftliches Forschungszentrum zum digitalen Wandel etabliert hat.

Beteiligte Professuren

  • Prof. Dr. Armin Beverungen
  • Prof. Dr. Timon Beyes
  • Prof. Dr. Erich Hörl
  • Prof. Dr. Jan Müggenburg
  • Prof. Dr. Claus Pias
  • Prof. Dr. Stephan Scheel

Drittmittelprojekte seit 2018

Doing Digital Identities (DigID), Prof. Dr. Stephan Scheel, Institut für Soziologie und Kulturorganisation (ISKO), seit 2023, Förderung durch einen ERC-Starting Grant

Zukunftslabor »Gesellschaft und Arbeit, Prof. Dr. Andreas Bernard, Institut für Kultur und Ästhetik digitaler Medien, seit 2019, Förderung durch das MWK

Automating the Logistical City: Space, Algorithms, Speculation, Prof. Dr. Armin Beverungen, Institut für Soziologie und Kulturorganisation (ISKO), seit 2021, Förderung durch das MWK/VolkswagenStiftung

Scoring - Analyse des Sozialkreditsystems in der VR China und des Scorings im Westen, Teilprojekt: Daten-Infrastruktur in Ost und West, Prof. Dr. Claus Pias, Prof. (apl.) Dr. Martin Warnke, Institut für Kultur und Ästhetik digitaler Medien, seit 2021, Förderung durch das BMBF

code/verstehen: Philologie und Theorie algorithmischer Quelltexte, Dr. Simon Roloff, Institut für Kultur und Ästhetik digitaler Medien, seit 2023, Förderung durch die VolkswagenStiftung

Medien der Assistenz, Prof. Dr. Jan Müggenburg, Prof. Dr. Wolfgang Hagen, Institut für Kultur und Ästhetik digitaler Medien, 2018-22, Förderung durch die DFG

Digital Cultures Research Lab, Prof. Dr. Timon Beyes et al., 2013-22, Förderung durch MWK/VolkswagenStiftung

Entnetzung. Imaginäre, Medientechnologien, Politiken, Prof. Dr. Timon Beyes, Institut für Soziologie und Kulturorganisation, 2018-22, Förderung durch die DFG

Gamification. Grenzverschiebungen zwischen Spielerischem und Nicht-Spielerischem, Dr. Mathias Fuchs, Institut für Kultur und Ästhetik digitaler Medien, 2018-21, Förderung durch die DFG

Technoökologien der Partizipation: Eine medien-philosophisch-ethnologische Neuperspektivierung, Prof. Dr. Erich Hörl, Institut für Kultur und Ästhetik digitaler Medien 2015-18, Förderung durch die DFG