Eklat im Bundestag: „Die Brandmauer ist noch nicht gefallen“
10.02.2025 Können konservative Parteien Stimmen von Rechtspopulisten zurückgewinnen, wenn sie deren Positionen übernehmen? Prof. Dr. Sarah Engler, Professorin für Vergleichende Politikwissenschaft, erklärt im Interview, warum Friedrich Merz‘ Taktik vor allem der AfD hilft.
Frau Professorin Engler, hat Friedrich Merz mit seinem Manöver die AfD gestärkt?
Eine Studie der Universität Mannheim hat alle Wahlen seit Ende der 70er Jahre analysiert und zeigt: Wenn Parteien der Mitte – links oder rechts – Positionen rechtspopulistischer Parteien übernehmen, gewinnen sie keine Wählerstimmen zurück. Die Wähler bleiben beim ,Original‘. Im Gegenteil, sie riskieren sogar, dass mehr Leute die Rechtspopulisten wählen. Auch viele weitere Studien deuten in diese Richtung.
So zeigt eine aktuelle experimentelle Untersuchung: Wenn konservative Parteien rechtpopulistische Aussagen tätigen, stimmen wir ihnen eher zu, als wenn Rechtspopulisten diese Meinung äußern. Die Debatte der vergangenen Wochen führt deshalb eher zu einer weiteren Normalisierung der AfD. Gerade konservative Parteien sind zentral, wenn Diskurse um Migration legitimiert werden.
Glaubte Friedrich Merz vielleicht, er könne kurz vor der Bundestagswahl Wählerstimmen von der AfD zurückholen?
Es kann gut sein, dass Herr Merz das glaubte. Wir haben dieses Verhalten auch bei Olaf Scholz beobachtet. Er hat sich in der Migrationsdebatte ebenfalls nach rechts bewegt. In einem Podcast hatte er gar angesprochen, dass er sich der Studienlage bewusst ist, ihr aber nicht glaube. Mir scheint, als hören zurzeit viele Politiker eher auf ihr Bauchgefühl, das ihnen bei anderen Themen und Politikfeldern durchaus auch recht gibt. Sie unterschätzen damit aber den Prozess der Normalisierung. Es geht bei Rechtspopulisten anders als beim Wettbewerb mit anderen Parteien nicht nur darum, ideologisch näher zu rücken und zu hoffen: Dann kommen vielleicht ein paar Wähler zu uns. Was die Politiker der Mitte nicht sehen: Viele Bürger wählen sie gerade deshalb noch, weil die AfD zu radikal wirkt – als Gefahr für die Zukunft des Landes. Eine Anpassung an die Positionen der AfD, und die Zusammenarbeit mit ihr, kann diese Wahrnehmung aber ändern.
Wie hat sich der Diskurs im Laufe der Geschichte verändert?
Minderheitenfeindliche Rhetorik, wie wir sie heute von rechtspopulistischen Akteuren hören, wurde lange nicht toleriert, weder in der Politik noch von der Gesellschaft. Dadurch wurden rechtsradikale Parteien marginalisiert. Es haftete ein Stigma an ihnen. Auch Menschen mit ausländerfeindlicher Einstellung – die es im Übrigen immer schon gab, und dessen Anteil auch heute nicht größer ist als früher – wählten sie deshalb häufig nicht. Heute hat sich der Diskurs allgemein nach rechts verschoben. Konservative als auch Sozialdemokraten nehmen Positionen zu Migration ein, die vor 20 Jahren allein von Rechten skandiert wurden. Die Scham fällt weg, rechtsradikale Parteien zu wählen.
Seit wann können Sie diesen Trend in Deutschland beobachten?
Seit Ende der 80er Jahre sind rechtspopulistische Parteien in Europa wieder auf dem Vormarsch und erstarkten seitdem, zum Beispiel in der Schweiz oder Österreich. In Deutschland konnten wir diese Veränderung erst nach 2015 beobachten. Mit Pegida gab es offene Proteste, die rechten Eliten zeigten: ,Dort können wir Stimmen gewinnen.‘ Lange Zeit diskutierte man, ob in Deutschland überhaupt eine rechtspopulistische Partei möglich sei aufgrund der Geschichte des Landes. Ich behaupte aber, dass die Normalisierung in Deutschland noch nicht so weit fortgeschritten ist, wie das in vielen anderen Ländern der Fall ist – das zeigen gerade wieder die zahlreichen und großen Proteste der letzten Tage und Wochen.
Trotz Zustimmung der AfD ist Friedrich Merz mit der zweiten Abstimmung gescheitert. Steht die Brandmauer also noch?
Nicht alle CDUler sind von Merz‘ Taktik überzeugt. Das zeigen die Enthaltungen in den eigenen Reihen. Auch die Aussage von Angela Merkel zeigt: Diese Politik von Friedrich Merz könnte die CDU langfristig vor einer Zerreisprobe stellen. Auch in Österreich, innerhalb der ÖVP, herrschen zwei Meinungen zur Koalition mit der FPÖ – und das gerade auch, weil frühere Koalitionen mit der FPÖ an zweifelhaften Aussagen und Taten ihrer Minister scheiterten. Aber so weit wie Österreich ist Deutschland nicht. Die Brandmauer steht zumindest noch in Teilen.
Kurz nach den beiden Abstimmungen im Bundestag sind hunderttausende Menschen auf die Straße gegangen. Kann eine aktive Zivilgesellschaft die Normalisierung der Rechten verhindern?
Wir können in der Forschung einen Effekt messen, aber er ist nicht sehr groß. Dennoch setzen diese Menschen ein klares Signal gegen die Normalisierung. Sie zeigen: Die AfD ist nicht wie jede andere Partei. Die Normen aus der Nachkriegszeit gelten noch.
Vielen Dank für das Gespräch!
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- Prof. Dr. Sarah Engler