Schulleitungen sind anders: Wissenschaftler im Porträt - Marcus Pietsch

04.10.2021 Marcus Pietsch, Professor für Bildungswissenschaft, insbesondere Bildungsmanagement und Qualitätsentwicklung kam über die Beschäftigung mit empirischer Bildungsforschung zum Bildungsmonitoring und spezialisierte sich auf das Thema Führung an Schulen. „Wie kann man Schulen führen und dafür sorgen, dass sie sich weiterentwickeln und innovieren?“ beschreibt er seinen Ansatz, „kurz: Wie kann man Schule besser machen?“

Marcus Pietsch, DFG Heisenberg-Professor für Bildungsmanagement und Qualiätsentwicklung ©Brinkhoff-Moegenburg/Leuphana
Marcus Pietsch, DFG Heisenberg-Professor für Bildungsmanagement und Qualitätsentwicklung

In Deutschland gibt es ungefähr 32.000 Schulleiter*innen und man weiß kaum etwas über sie. Beziehungsweise weiß man so viel über sie wie Pietsch und eine handvoll Kolleg*innen herausgefunden hat, denn der Lüneburger Professor ist einer der wenigen Wissenschaftler*innen in Deutschland, der sich im Rahmen großangelegter Studien mit dem Thema beschäftigt: „Was sind das eigentlich für Menschen, die so eine Schule leiten? International ist es ganz groß, in den USA gibt es hunderte Professuren, die das zum Thema haben und in Deutschland gibt es fast nichts. Deshalb habe ich mir diesen Schwerpunkt ausgesucht, weil ich festgestellt habe, dass man zu dieser ‚vergessenen Berufsgruppe‘ dringend etwas machen muss.“

In seiner Forschung konnte er in relativ kurzer Zeit bereits einiges Licht auf das Thema werfen – so fand er zum Beispiel heraus, dass etwa die Hälfte der Schulleiter*innen in Deutschland nie eine systematische Qualifizierung oder Ausbildung für ihren Beruf durchlaufen haben. Gleichzeitig haben Schulleiter*innen einen großen Einfluss auf den Unterricht an der Schule und den Lernerfolg von Schüler*innen. Während der Pandemie wurde besonders deutlich welche Schlüsselrolle in der Bildung diese Gruppe jedoch zugeschrieben wird, für die, wie Pietsch pointiert formuliert, „sich niemand interessiert“. „Die Bildungsministerien veröffentlichten zwar Handreichungen zum schulischen Umgang mit der Pandemie – diese erschöpften sich aber in der Feststellung, dass Direktor*innen sich darum kümmern müssen. Typische Formulierungen der ministerialen Handreichungen waren zum Beispiel: ‚Die Schulleitung ist dafür verantwortlich, dass die Schülerinnen und Schüler erreicht werden. Die Schulleitung koordiniert die Zusammenarbeit der Lehrerinnen im Home Office. Die Schulleitung kontrolliert, ob die Schülerinnen die Aufgaben erhalten und etwas gelernt haben während der Zeit im Home Schooling.‘“

Pietsch berichtet, dass um die Jahrtausendwende herum einen tiefgreifenden Wandel in der Rolle der Schulleitung stattfand. Bis zu diesem Zeitpunkt waren Schulleiter*innen „eher Lehrer*innen mit besonderen Aufgaben“; gegenüber der Lehrendenschaft waren sie in erster Linie Verwaltungsbeamte, die das Funktionieren der schulischen Abläufe garantierten. Das Verhältnis zur Bildungsadministration erschöpfte sich darin, dass sie Geld und andere Ressourcen bekamen und diese dann verwalteten. Seitdem hat sich etwas geändert: „Schulleiter*innen sind nicht mehr Primus inter Pares, sondern vielmehr Anleiter, Feedbackgeber und Entwickler“, erklärt Pietsch, „mittlerweile haben sie richtige Führungsaufgaben, müssen Ideen generieren und festlegen, wo es mit der jeweiligen Schule hingeht. Schulleitung hat sich verlagert vom traditionellen ‚Wir versorgen die alle mit Ressourcen und gucken was passiert‘ hin zu ‚Wir haben Visionen und Ideen, wie wir Schule gut und wirksam gestalten wollen und prüfen, ob das auch gelingt‘.“

Gleichwohl stecke die Forschung in diesem Bereich in Deutschland nach wie vor in den Anfängen, so Pietsch, der daher in den letzten Jahren gemeinsam mit Kolleg*innen der Universität Tübingen und der Schweizer FHNW die für Deutschland repräsentative und von forsa durchgeführte Panel-Studie Leadership in German Schools (Lines) auf den Weg gebracht hat. „So erfahren wir erstmals etwas über Karriereverläufe von Schulleitungen in Deutschland und ihren Einfluss auf das Schulgeschehen im zeitlichen Verlauf.“ Ab 2022 wird die Studie in Zusammenarbeit mit der Wübben Stiftung als Schulleitungsmonitor Deutschland weitergeführt und deutlich ausgebaut. „Wir erhoffen uns repräsentative und langfristige Einblicke in die Einstellungen, Bedarfe und die Professionalisierung von Schulleitungen in Deutschland“, so Pietsch „insbesondere möchten wir auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse einen Beitrag zur systematischen Qualitätsentwicklung an Schulen leisten.“

Marcus Pietsch war wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Hamburg und Referent am Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung Hamburg. Nach Stationen am Hamburger Institut für Bildungsmonitoring und Qualitätsentwicklung sowie am Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen an der Humboldt-Universität zu Berlin promovierte er zum Thema ‚Qualität von Unterrichtsbeobachtungen im Rahmen von Schulinspektion‘ und übernahm anschließend die Vertretung der Professur für Educational Measurement an der Christian-Albrecht-Universität zu Kiel. 2019 wechselte Pietsch als Vertretungsprofessor an die Leuphana, wo er im Juni 2021 die DFG Heisenberg-Professur für Bildungsmanagement und Qualitätsentwicklung erhielt.

Mit den ausgesprochen prestigeträchtigen Heisenberg-Professuren fördert die Deutsche Forschungsgemeinschaft auffallend innovative Wissenschaftler*innen. Die Auszeichnung wird überwiegend an Mediziner*innen und Physiker*innen verliehen. In den rund 45 Jahren des Bestehens des Heisenberg-Programms ging sie an gerade mal drei studierte Erziehungswissenschaftler*innen – einer davon ist Marcus Pietsch.