Ethik im Gespräch: Evangelische Mission im Postkolonialismus

Von der Erinnerung zur Partnerschaft

31.01.2023 Wie positioniert sich die evangelische Mission in der gegenwärtigen Debatte zur Dekolonisierung? Das war die Leitfrage in der jüngsten Veranstaltung aus der Reihe „Ethik im Gespräch“. PD Dr. Thomas Kück vom Institut für Ethik und Theologie moderierte das öffentliche Podiumsgespräch mit dem Missionsdirektor Michael Thiel und der Studentin Anja Krebs im Raum der Stille im Zentralgebäude der Leuphana.

Ethik im Gespräch: Evangelische Mission im Postkolonialismus ©Thomas Kück
Ethik im Gespräch: Evangelische Mission im Postkolonialismus ©Thomas Kück
Ethik im Gespräch: Evangelische Mission im Postkolonialismus ©Thomas Kück

Die Sache ist nah. Auch von Herrmannsburg, einem kleinen Heidestädtchen unweit von Lüneburg, ging die Mission nach Afrika und in andere Kontinente aus. Die Mission war ein gesamteuropäisches Phänomen, das im Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert von England über die Niederlande auch nach Deutschland kam. Vielerorts wurden Missionsvereine gegründet, die Geld sammelten, um das Christentum weltweit zu verbreiten, Bibeln zu verteilen und Missionare nach Afrika und in andere Kontinente auszusenden. Michael Thiel, Direktor des evangelischen Missionswerk in Niedersachsen beschreibt das damalige Motiv: „Wir wollen etwas für die Menschen tun.“ Missionsstationen seien entstanden, Schulen und Krankenhäuser sowie Ortschaften mit deutschen Namen. Zu der zeitgleichen Kolonisierung Afrikas durch den europäischen Imperialismus habe die Mission zwar eine gewisse Nähe gehabt, sie habe sich aber in Methoden und Zielen markant unterschieden. Der gemeinsame historische Kontext fordert heute dennoch zur selbstkritischen Reflexion heraus.

Heute gehe es um Erinnern und um Partnerschaft auf Augenhöhe. Die evangelische Mission in Niedersachsen beteilige sich momentan in ungefähr 100 Projekten weltweit. Dazu gehöre, dass den traditionell eurozentristischen Blick auf Afrika aufzulösen. Dieser top-down-Blick von Europa nach Afrika sei ein Aspekt der Kolonial- und Missionsgeschichte, der im Kontext der Dekolonisierung überwunden werden sollte: Es sei nicht an Europa zu bestimmen, was Afrika brauche, sondern Afrika formuliere seine Erwartungen an Europa und seine Bedürfnisse eigenständig und vor allem: gleichberechtigt auf Augenhöhe. Hierin wurde Thiel von der auf dem Podium mit diskutierenden Studentin Anja Krebs unterstützt. Sie hat vor ihrem Studium an der Leuphana mit der Organisation „Weltwärts“ eine Freiwilligenzeit in Kamerun absolviert. Es gelte die eigenen Haltungen zu reflektieren. „Nicht wir wissen, was für Menschen aus Afrika gut und nötig sei, sondern die Menschen selbst tragen ihre Bedürfnisse in einen gleichberechtigten Prozess mit ein“, sagte Krebs.

Gibt es heute immer noch eine machtvolle Verbindung zwischen Mission und Politik? Das könne er nicht pauschal beantworten, sagte Michael Thiel, für ihn aber sei deutlich geworden, dass der eigentliche Machtfaktor das Geld sei. Geld sei der größte Treiber in weltweiter Ungerechtigkeit, wie er es aus eigener Erfahrung im globalen Süden berichten konnte.

Aus dem Publikum kam die Frage, ob „post-kolonial“ überhaupt der passende Begriff sei. Wenn der Begriff ausdrücken wolle, dass die Kolonialzeit insofern abgeschlossen sei, dass sie nicht mehr reflektiert werden müsse, dann würde er widersprechen. Dem schloss sich auch Anja Krebs an. Das gleichberechtigte Hören aufeinander und das gegenseitige Wahrnehmen auch in den Unterschieden sei für sie in Kamerun wichtig geworden. Und das wünscht sie sich verstärkt auch für die Zukunft.

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  • PD Dr. Thomas Kück