Deutscher Nachhaltigkeitspreis: Prof. Dr. Michael Braungart erhält Ehrenpreis

28.11.2022 Der Professor für Öko-Design an der Fakultät Nachhaltigkeit wird mit Europas größter Auszeichnung für seine bahnbrechenden wissenschaftlichen Beiträge als Mitentwickler des „Cradle-to-Cradle“-Prinzips geehrt. Er schuf vor gut 20 Jahren einen Ansatz, der den Menschen als potenzielle Chance bei der Bewältigung der Klimakrise begreift. Das Konzept zielt auf ein perfektes Kreislaufsystem, das keinen Abfall zurücklässt und damit auf positive Beiträge zur Ökologie anstatt auf reine Schadensbegrenzung. Die Auszeichnung wird jährlich von der Stiftung Deutscher Nachhaltigkeitspreis verliehen und findet dieses Jahr am 1. und 2. Dezember in Düsseldorf statt.

Prof. Dr. Michael Braungart ©Audi AG 2018
„Wir können lernen, jetzt nützlich für den Planeten zu sein und nicht nur weniger schädlich", sagt Michael Braungart.

„Die traditionelle Definition der Nachhaltigkeit ist eigentlich eine ziemlich traurige“, sagt Michael Braungart, „nämlich die Bedürfnisse der jetzigen Generation zu erfüllen, ohne der Zukünftigen zu schaden.“ Eigentlich sei das doch eine Absurdität, findet der Chemiker: „Wir müssen verstehen, dass weniger schlecht nicht gleich gut ist.“

Das ist der Grundgedanke des Cradle-to-Cradle-Konzepts, das Michael Braungart in den 1990er Jahren gemeinsam mit dem US-amerikanischen Architekten William McDonough entwarf. Wer versucht seine Fehler zu reduzieren, macht vielleicht weniger falsch – aber deswegen eben noch lange nichts richtig, findet der ehemalige Greenpeace-Aktivist. Stattdessen setzt Cradle-to-Cradle auf eine ganzheitliche Lösung: Positive Ziele setzen und damit einen Mehrwert schaffen; technologische und biologische Kreislaufsysteme entwickeln, die in sich geschlossen sind und einen positiven Beitrag zum Klima leisten.

„Die Idee war ursprünglich zu begreifen, dass kein Problem durch dieselbe Denkweise gelöst werden kann, die es verursacht hat“, erklärt Braungart. Cradle-to-Cradle, zu Deutsch „von der Wiege in die Wiege“, bedeutet, in Kreisläufen zu denken – also: Ressourcen sinnvoll wiederverwenden, sodass Abfallprodukte überhaupt nicht mehr entstehen. Das Ergebnis bei radikaler Umsetzung des Prinzips? Eine Welt ohne Müll. Seitdem er vor über 20 Jahren mit seinem US-Kollegen das Konzept entwickelte, hat sich einiges getan: „Es sind viele Unternehmen aus Cradle-to-Cradle entstanden, schon bei Erstsemestern, die davon zum ersten Mal erfahren.“ Ein Beispiel dafür ist das von Leuphana-Studierenden gegründete Modellabel „MANGONUMBERFIVE“. Die Materialien, aus dem die Kleidung des nachhaltigen Labels besteht, setzen sich ausschließlich aus umweltverträglichen Nährstoffen zusammen. Das bedeutet: Nach der Nutzung kehrt das T-Shirt in das biologische System der Natur zurück und wird zum Beispiel zu natürlichem Futter für Tiere.

Weltweit orientieren sich Unternehmen mittlerweile an Braungarts Konzept: „Es gibt inzwischen über sechzehntausend Cradle-to-Cradle-zertifizierte Produkte. Es ist erstaunlich wie schnell sich das umsetzt, das hätte ich nicht zu meinen Lebzeiten erwartet“, sagt Braungart, „der Nachhaltigkeitsbegriff erfindet sich gerade neu und anders, und das ist schön.“

Als „Vater“ des Cradle-to-Cradle-Prinzips erhält Michael Braungart im Dezember den Ehrenpreis des Deutschen Nachhaltigkeitspreises. „Diese Auszeichnung ist eine große Ehre“, sagt Braungart, „der Deutsche Nachhaltigkeitspreis bringt die Politik, die Wissenschaft und die Unternehmen zusammen. Wir brauchen endlich gemeinsame Lösungen, die Zeit des einseitigen Rechthabens ist vorbei.“

An der Leuphana lehrt Braungart bereits seit 1994 im Bereich Öko-Design. Eigentlich sei der Begriff etwas irreführend, findet Braungart: „Es gibt entweder gutes Design oder schlechtes Design. Design, was zu Abfall führt, hat einen Mangel. Praktisch alle wichtigen Designschulen auf der Welt lehren mittlerweile auch Cradle-to-Cradle. Es macht die Designer wichtiger, sie waren vorher Behübscher, jetzt sind sie wirklich gestaltend.“ Die jetzige Generation stimmt ihn optimistisch: „Was bei der Umsetzung hilft, ist, dass es eine junge Generation gibt, die auf sich stolz sein will. Die Leute wollen das Richtige tun, wenn man ihn die Chance dazu gibt.“ Das schätze er auch an Universitäten: „Wir können lernen, jetzt nützlich für den Planeten zu sein und nicht nur weniger schädlich. Natürlich bedeutet das auch, Öl, Kohle und Gas einzusparen und zu ersetzen. Aber es bedeutet vor allem, die Menschen als Chance zu verstehen. Und die Universität ist ein Platz, an dem Menschen, an dem Studierende als Chance begriffen werden.“

Der Deutsche Nachhaltigkeitspreis

Am 1. und 2. Dezember 2022 findet in Düsseldorf die 15. Verleihung des Deutschen Nachhaltigspreises statt. Der Preis ehrt Akteur*innen, die wegweisende Beiträge zum Fortschritt in eine nachhaltige Zukunft leisten. Zu den bisherigen Ehrenpreisträger*innen zählen unter anderem Joachim Gauck, Jane Goodall, Richard Gere oder Ursula von der Leyen.