Neu an der Leuphana: Prof. Dr. Till Patrik Holterhus, MLE., LL.M. (Yale)

„Energie als Waffe“

09.05.2023 Der Experte für Staats- und Verfassungsrecht ist zum Professor für Öffentliches Recht, insbesondere Staatsrecht und Verwaltungsrecht, an der Leuphana Law School ernannt worden. Jetzt hat der Jurist als Sachverständiger den Bundestagsausschuss für Klimaschutz und Energie zur Novellierung des Energiesicherungsgesetzes beraten: „Deutschland darf sich gegen die ausländische Instrumentalisierung von Energieinfrastruktur wehren.“

Neu an der Leuphana: Prof. Dr. Till Patrik Holterhus, MLE., LL.M. (Yale) ©Leuphana / Ciara Burgess
Neu an der Leuphana: Prof. Dr. Till Patrik Holterhus, MLE., LL.M. (Yale) ©Leuphana / Ciara Burgess
Neu an der Leuphana: Prof. Dr. Till Patrik Holterhus, MLE., LL.M. (Yale) ©Leuphana / Ciara Burgess
Herr Professor Holterhus, bei der Anhörung im Bundestag ging es um die Frage der rechtlichen Rahmenbedingungen der Enteignung russischer Energieinfrastruktur in Deutschland. Bei dem Wort Enteignung horchen nicht wenige auf. Was steckt rechtlich dahinter?
Den Hintergrund bildet der russische Angriffskrieg in der Ukraine. Die Bundesrepublik Deutschland ist zwar keine Kriegspartei, unterstützt die Ukraine jedoch in ihrer völkerrechtlich zulässigen Verteidigung gegen den russischen Aggressor. Auf diese Unterstützung hat die Russische Föderation zuletzt mit dem Versuch einer Destabilisierung der deutschen Energieversorgung reagiert. Dabei machte Russland sich den Umstand zunutze, dass einige Teile der in Deutschland gelegenen Energieinfrastruktur rechtlich unter russischer Kontrolle stehen. So wurden etwa – entgegen jeder Marktlogik – der Gasspeicher des russischen Unternehmens Gazprom in Rehden für den vergangenen Winter nicht mehr ausreichend befüllt und der Versuch unternommen, die Funktionsfähigkeit der durch das russische Unternehmen Rosneft kontrollierten Raffinerie in Schwedt zu beeinträchtigen, die für große Teile der ostdeutschen Heizöl- und Kraftstoffversorgung verantwortlich ist. Die russische Energieinfrastruktur wurde auf diese Weise sprichwörtlich „zur Waffe“ gemacht, um nachteilig auf die deutsche Energieversorgung einzuwirken, Unruhe in der deutschen Bevölkerung zu stiften und die Bundesrepublik so letztlich für ihre Unterstützung der Ukraine abzustrafen.
Der Deutsche Bundestag hat hierauf mit einer Reihe von Novellen des Energiesicherungsgesetzes reagiert und dabei unter anderem auch die Möglichkeit geschaffen, ausländisch kontrollierte kritische Energieinfrastruktur zu enteignen, wenn dies für die Aufrechterhaltung einer stabilen Energieversorgung unbedingt erforderlich ist. Aus der Perspektive des Rechtsstaates sind Enteignungen aber natürlich grundsätzlich problematisch – das Eigentum ist im deutschen Recht umfassend geschützt. Gegenstand der Anhörung im Bundestag war daher die Frage: Wie sollte man die Enteignungstatbestände im Energiesicherungsgesetz gestalten, um einerseits die Energieversorgung zu sichern, aber dabei andererseits auf der rechtssicheren Seite zu stehen?
Wie haben Sie den Ausschuss beraten?
Ich habe im Ausschuss darauf hingewiesen, dass die Probleme zwar durchaus auch, aber nicht allein auf der Ebene des Verfassungsrechts liegen. Wichtig ist, dass sich die ganze Frage der Recht- bzw. Verfassungsmäßigkeit solcher Enteignungstatbestände eben auch vor dem Hintergrund der internationalen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland stellt. Es zählt also nicht allein das Verfassungsrecht, sondern auch das Recht der Europäischen Union und das Völkerrecht. Das Eigentum wird nämlich auch in der Europäischen Grundrechtecharta und in den für Deutschland geltenden völkerrechtlichen Verträgen geschützt – etwa im deutsch-russischen Investitionsschutzvertrag von 1989 oder in der Europäischen Menschenrechtskonvention. Dies ist stets zu beachten. Im Ergebnis kann es so zu eigentumsrechtlichen Schutzstandards kommen, die die deutsche Verfassung selbst gar nicht kennt.
Auf welche Weise wehrt sich Deutschland gegenwärtig gegen diese russische Instrumentalisierung von Energieinfrastruktur?
Ganz konkret hat die Bundesrepublik Deutschland mittlerweile zwei deutsche Rosneft-Töchter, die gemeinsam die Raffinerie in Schwedt kontrollieren, unter Treuhand der Bundesnetzagentur gestellt. Das Unternehmen Gazprom Germania und damit auch der Gasspeicher in Rehden wurden sogar vollständig enteignet. Bei der Treuhand verwaltet der Staat die betroffenen Unternehmensanteile lediglich; bei der Enteignung entzieht der Staat sie hingegen vollständig. Beide Maßnahmen ergingen auf der Grundlage des Energiesicherungsgesetzes und unterscheiden sich in der Intensität des Eingriffs, haben aber letztlich gut funktioniert. Eine Notlage in der Energieversorgung konnte jedenfalls verhindert werden.
Muss Deutschland die russischen Unternehmen wegen dieser Übernahmen entschädigen?
Grundsätzlich ist es so, dass intensive Eingriffe in das Eigentum in einem Rechtsstaat eine Irritation darstellen. Gleichzeitig weist das Eigentum – jedenfalls nach der Vorstellung des Grundgesetzes – aber eben immer auch eine Sozialbindung auf. Das Grundgesetz stellt dazu in Artikel 14 Absatz 2 schlicht fest: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“ Alles Eigentum ist also stets auch dem Wohle der Gemeinschaft verpflichtet. Deswegen stellt sich bei diesen Beeinträchtigungen des Eigentums üblicherweise weniger die Frage: Darf man das überhaupt machen? Vielmehr kommt es regelmäßig darauf an: Wie wird das ganze finanziell kompensiert?
Im Fall der jüngsten Eingriffe in das Eigentum von Gazprom und Rosneft liegt der Fall jedoch besonders. Es stellt sich die rechtliche Frage: Wie soll bzw. muss man Unternehmen für die Beeinträchtigung ihres Eigentums entschädigen, wenn diese Unternehmen das betroffene Eigentum vorher genutzt haben, um der Bundesrepublik Deutschland bewusst zu schaden?
Nach meiner Interpretation des geltenden Verfassungs-, Unions- und Völkerrechts kann es in solchen Fällen gerade keinen Anspruch auf Entschädigung geben. Die Frage ist inhaltlich relativ komplex und es würde hier zu weit führen, das Ganze umfassend zu erklären, aber ich sage es einmal einfach: Wenn ein Räuber jemanden mit einer Waffe bedroht, um ihn auszurauben, und die Polizei die Waffe daraufhin einzieht, um weitere Gefahren durch sie zu verhindern, wird der Räuber dafür richtigerweise nicht entschädigt. Anders kann es letztlich auch nicht sein, wenn ein fremder Staat seine Kontrolle über in Deutschland gelegene Energieinfrastruktur ausnutzt, um die deutsche Energieversorgung bewusst zu gefährden.
Vielen Dank für das Gespräch!

Till Patrik Holterhus studierte Rechtswissenschaften und Europäische Rechtsintegration in Göttingen und an der Yale Law School (USA). Von 2015 bis 2023 war er Akademischer Rat a.Z. am Institut für Völkerrecht und Europarecht der Georg-August-Universität Göttingen. Nach einer Lehrstuhlvertretung an der Humboldt-Universität zu Berlin wurde Till Patrik Holterhus im April 2023 nun zum Universitätsprofessor an der Leuphana Universität Lüneburg (Leuphana Law School) ernannt. Er ist Inhaber der Professur für Öffentliches Recht, insbesondere Staatsrecht und Verwaltungsrecht.

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