Die „Schule der Zukunft“ lehrt und lernt mit KI
17.09.2024 Richtig eingesetzt, könne Künstliche Intelligenz die Unterrichtsqualität verbessern. Politik und Schulen müssten endlich umdenken. Ein Gastkommentar von Dana-Kristin Mah und Marcus Pietsch im 'Handelsblatt'.
Das neue Schuljahr hat in Deutschland begonnen – doch an vielen Schulen kehrt die alte Ungewissheit zurück: Wie soll man mit Künstlicher Intelligenz (KI) umgehen? Wie ist diese Herausforderung zu meistern? Dass die Schulen endlich Lösungen brauchen, ist offensichtlich. KI bietet nämlich ein enormes Potenzial zur Unterstützung von Schülerinnen und Schülern und Lehrkräften – sofern sie sinnvoll, kompetent und reflektiert eingesetzt wird.
Nach dem medialen Hype rund um das veröffentlichte KI-Sprachmodell ChatGPT im November 2022 sind die daraus entstandenen Fragen für den Schulalltag nicht wirklich beantwortet worden: Lassen Schülerinnen und Schüler ihre Hausaufgaben nun nur noch von KI erledigen? Wie sehen die rechtlichen Rahmenbedingungen für den Einsatz von KI im Unterricht aus – zum Beispiel Datenschutz? Welche ethischen Aspekte sind zu beachten? Ist die technische Infrastruktur vorhanden? Wird KI die Lehrkräfte ersetzen? Und das Wichtigste von allen: Lernen Schülerinnen und Schüler am Ende wirklich besser und mehr?
Die Unsicherheit und die Bedenken sind verständlich, ist KI doch sehr komplex und abstrakt. Im weitesten Sinne wird KI als Software bezeichnet. Sie kann von Menschen definierte Ziele erreichen, und zwar mit einem gewissen Grad an Autonomie und Lernfähigkeit. KI-Technologien sind bereits Teil unseres Alltags. Beispiele sind KI-gestützte Navigationssysteme in Echtzeit, personalisierte Empfehlungen beim Online-Shopping, Sprachassistenz und Smart Home. Im Bildungsbereich jedoch ist KI – zumindest gilt das für Deutschland – noch etwas Neues und für viele auch Unerwartetes. Noch Ende 2022 zeigte der Schulleitungsmonitor Deutschland, verantwortet von der Wübben-Stiftung, dass Führungskräfte an Schulen dem Thema keinerlei Relevanz zuschrieben. Das Zukunftsthema, das bewegte, hieß vielmehr Lehrermangel, nicht KI.
Die Einsatzszenarien für KI-Technologien in der Schule sind vielfältig. Lehrkräfte können mit textgenerierender KI neue Unterrichtsmaterialien für unterschiedliche Lern- und Sprachniveaus erstellen, um Schülerinnen und Schüler individueller zu fördern. Der Lernfortschritt wird datenbasiert mittels Learning Analytics abgebildet, geeignete weitere Lerninhalte werden vom KI-System adaptiv und passgenau empfohlen. Dadurch bleibt den Lehrkräften mehr Zeit für individuelle Förderung und Feedback.
Aus der Sicht der Schülerinnen und Schüler können auf digitalen Lernplattformen für sie geeignete Lernmaterialien bereitgehalten werden. Unmittelbare Rückmeldungen zu ihren Lernfortschritten sind möglich. Sehbeeinträchtigte Kinder und Jugendliche lassen sich digitale Übungsaufgaben von KI-Assistenzsystemen vorlesen, für Hörgeschädigte werden Videos untertitelt. In Gruppenarbeiten experimentieren die Schülerinnen und Schüler mit Prompts, den formulierten Aufgaben an die KI, führen Faktenchecks zu den KI-Ergebnissen durch und diskutieren ethische Aspekte. KI wird als Werkzeug und als Lerninhalt in der Schule behandelt. Richtig eingesetzt, kann KI zur Verbesserung der Unterrichtsqualität wirkungsvoll beitragen.
Um die Vorteile von KI-Technologien für das Lehren und Lernen in der Schule angemessen nutzen zu können, müssen dennoch etliche Voraussetzungen erfüllt sein. Insbesondere ist die Entwicklung von KI-Kompetenzen bei allen Beteiligten erforderlich. Dazu gehört ein grundlegendes Verständnis von KI-Systemen, einschließlich ihrer Grenzen wie Datenverzerrung und möglicher Halluzinationen – also falscher oder irreführender Ergebnisse, die von KI-Modellen generiert werden.
Personenbezogene Daten sollten nicht mit KI-Systemen geteilt und nur datenschutzfreundliche KI-Anwendungen verwendet werden. Darüber hinaus muss gesichert sein, dass KI das Lernen unterstützt – und nicht für Kontrollzwecke oder gar die Selektion missbraucht wird.
Verbindliche und verlässliche Rahmenbedingungen, die dies ermöglichen und sichern, fehlen allerdings noch. Daher müssen bundesweit schnellstmöglich rechtliche, strukturelle und politische Klärungen erreicht werden, die ein sicheres und zielgerichtetes Arbeiten mit KI an Schulen ermöglichen. Dies erfordert vor allem eine politische Vision für die „Schule der Zukunft“.
Dazu gehört auch ein Umdenken an Schulen: Es müssen eine positive Fehlerkultur, Mut und Freiraum zum Experimentieren, ein professionelles Wissensmanagement sowie eine enge Kooperation mit einer Vielzahl von Stakeholdern wie Unternehmen und gesellschaftlichen Organisationen möglich sein. Nur dann verliert das Lernen und Lehren an Schulen in Deutschland nicht den Anschluss an die technologische Entwicklung.
Dieser Beitrag erschien zuerst im Handelsblatt vom 16. September 2024. Hier finden Sie die digitale Ausgabe.
Dana-Kristin Mah ist Juniorprofessorin für Digitales Lehren und Lernen. Marcus Pietsch ist DFG-Heisenberg-Professor für Bildungsmanagement.