Chemie und KI: Gute Daten sind Gold wert

10.11.2025 Ein Gespräch mit Prof. Dr. Dr. Vania Zuin Zeidler über Laborarbeit, künstliche Intelligenz und die Verantwortung der Wissenschaft. Gerade kommentierte sie zu dem Thema in Nature Reviews Chemistry.

©Leuphana / Ciara Charlotte Burgess
"Nur wer in der Chemie selbst im Labor gearbeitet hat, begreift, wie Daten entstehen und was sie wirklich bedeuten. Das ist essenziell, um wissenschaftliche Ergebnisse kritisch einordnen zu können", sagt Prof. Dr. Dr. Vania Zuin Zeidler.

Trotz KI und digitaler Werkzeuge stehen Studierende noch immer im Labor mit Bunsenbrenner, Schutzbrille und Erlenmeyer-Kolben. Warum ist klassische Laborarbeit in der Lehre heute noch wichtig?

Modelle werden von Menschen geschaffen, aber sie haben Grenzen – und diese Grenzen müssen verstanden werden. Nur wer in der Chemie selbst im Labor gearbeitet hat, begreift, wie Daten entstehen und was sie wirklich bedeuten. Das ist essenziell, um wissenschaftliche Ergebnisse kritisch einordnen zu können.

Aber KI-Modelle werden doch immer besser. Könnten sie nicht irgendwann die Laborarbeit ersetzen?

Das Experiment ist unverzichtbar. Chemische Erkenntnisse entstehen durch Beobachtung. Theorien, Modelle und Formeln können validiert werden, wenn sie experimentell bestätigt wurden. Ohne Versuche bleibt Chemie zu spekulativ.

Aber könnte die KI nicht Molekülstrukturen voraussagen?

Wir arbeiten an der Leuphana bereits länger mit Methoden der Chemieinformatik. Sie helfen Ressourcen zu schonen, in dem sie unnötige Experimente vermeiden. Aber wir können uns nicht allein darauf verlassen. Wir haben Fälle gesehen, in denen generative KI-Modelle Moleküle „entworfen“ haben, die chemisch gar nicht existieren können. Die Abbildungen sehen attraktiv und auf den ersten Blick überzeugend aus – sie können aber schlicht falsch sein und damit auch gefährlich. Gerade Studierende können solche Fehler oft nicht erkennen. Die KI gibt immer eine Antwort – aber nicht immer eine richtige.

Das heißt, Sie sehen generative KI in der Lehre eher kritisch?

Mehr differenziert. Studierende sind heute digital sehr versiert. Sie sollen diese Werkzeuge auch kennen. Aber sie müssen verstehen, wie Wissen entsteht – von der Fragestellung über den Prozess bis zur überprüfbaren Antwort. Wir wollen, dass sie lernen, kritisch zu prüfen. Das ist die Grundlage wissenschaftlichen Denkens – und letztlich auch ein Beitrag zur Demokratie.

Als Chemikerin gehören Sie der Fakultät Nachhaltigkeit an. Welche gesellschaftlichen und ökologischen Kosten zahlen wir für die generative KI? 

Die schönen Bilder und schnellen Antworten haben ihren Preis. Große Datenzentren verbrauchen enorme Mengen Strom und Wasser. Wir müssen über Datenschutz sprechen und sozial-ökologische Gerechtigkeit: Viele Menschen verlieren ihren Arbeitsplatz. Wir müssen lernen, diese Kosten mitzudenken. Es geht nicht nur darum, was generative KI kann – sondern auch, was sie anrichtet, wie sie dies tut, warum und für wen. Eine Anzahl großer Konzerne verwendet die Daten oft ohne Zustimmung der Urheberinnen und Urheber. 

Und wie sieht es mit dem Schutz wissenschaftlicher Daten aus?

Gute Daten sind Gold wert. Deshalb arbeiten viele Forscher mit der Industrie zusammen, um sie zu schützen – aber das ist teuer. Gerade im globalen Süden fehlen solche Ressourcen. Wir müssen also auch über faire Zugänge zu Wissen sprechen.

Europa arbeitet derzeit an einer Regulierung der KI, dem AI Act. Reicht das aus?

Das ist ein wichtiger Schritt, aber Regulierung allein genügt nicht. Wir brauchen eine wissenschaftliche und gesellschaftliche Kultur, die Verantwortung ernst nimmt. Wissenschaft darf nicht zum bloßen Konsumprodukt werden. Es geht um Werte – um Transparenz und unsere Menschlichkeit.

Vielen Dank für das Gespräch.

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  • Prof. Dr. Dr. Vânia Zuin Zeidler