Völkerrechtler Christian Tams zum Vorsitzenden renommierter Fachgesellschaft gewählt
29.10.2025 Der Professor für Völkerrecht und Recht der Streitbeilegung ist neuer Vorsitzender der European Society of International Law. Im Interview erklärt Prof. Dr. Christian Tams, warum es ohne Völkerrecht keinen Frieden geben kann und wie auch US-Präsident Trump davon profitiert.
                                ©Christian Tams
                            Die Vereinten Nationen werden in diesem Jahr 80 Jahre alt. Doch trotz des Gewaltverbots der UN-Charta überfallen immer noch Länder ihre Nachbarn. Wie wirksam ist das Völkerrecht?
Ich verstehe Ihren Einwand. Die Situation ist sicher nicht befriedigend, aber das Gewaltverbot ist die zentrale Norm des modernen Völkerrechts: Kein Staat darf seinen Nachbarn militärisch überfallen. Diese Regel, seit 1945 in der UN-Charta verankert, war revolutionär. Grenzen sollen nicht länger das Ergebnis von Eroberung sein. Wir dürfen nicht vergessen: Deutschlands Grenzen– wie auch die Frankreichs und vieler anderer Staaten – sind historisch durch Kriege entstanden.
Brechen denn seit in Krafttreten des Gewaltverbots tatsächlich weniger Kriege aus?
Ja, das ist so: Die Zahl der Kriege zwischen Staaten geht seit 1945 merkbar zurück.
Dennoch fehlt dem Völkerrecht eine globale Durchsetzungsinstanz. Wie wird es wirksam?
Zwar gibt es keine Polizei für die ganze Welt, wie wir sie im Nationalstaat kennen. Aber das Völkerrecht regelt, wie internationale Organisationen und Staaten auf Rechtsbrüche reagieren können: Staaten können beispielsweise Sanktionen verhängen. Die Diskussion um die Enteignung russischer Zentralbankvermögen oder der Entzug von Handelsprivilegien zeigt, dass das Völkerrecht durchaus handlungsfähig ist. Auch militärische Hilfe spielt eine Rolle. So darf etwa Deutschland Waffen an die Ukraine liefern, weil die Ukraine Opfer einer völkerrechtswidrigen Aggression ist und das Recht auf Selbstverteidigung hat, wobei sie andere Staaten unterstützen können.
Sollte das Ziel nicht immer der Frieden sein?
Ja, und das ist er auch: Jeder Friedensschluss basiert auf völkerrechtlichen Vereinbarungen – Friedensverträge, Grenzregelungen oder Rückkehrrechte werden immer in der Sprache des Völkerrechts formuliert.
Sind die Vereinten Nationen dabei mehr als eine moralische Autorität?
Die UN übernimmt meist eine vermittelnde und dennoch zentrale Rolle. Sie kann etwa über Friedenstruppen direkt eingreifen, wie die „Blauhelme“ in Krisenregionen zeigen. Und sie bietet den diplomatischen Raum, in dem Staaten Lösungen aushandeln können: Die Grundzüge des Trump-20-Punkte-Plans zur Beendigung des Gaza-Kriegs wurden zwar zwischen Staaten vereinbart, aber verhandelt auf den Korridoren des UN-Gebäudes, während der großen Jahrestagung in New York.
Sie sind selbst am Internationalen Gerichtshof tätig und vertreten unter anderem Deutschland in der Klage Nicaraguas wegen angeblich völkerrechtswidriger Unterstützung Israels im Gaza-Krieg. Wie klagen Staaten eigentlich?
Staaten können sich nicht einfach „vor Gericht treffen“, wie wir es aus dem Alltag nationaler Gerichte kennen. Der Zugang zum Internationalen Gerichtshof ist begrenzt: Nur wenn Staaten seine Zuständigkeit anerkennen, kann der IGH tätig werden. Deshalb sind Gerichtsverfahren im internationalen Kontext eher die Ausnahme als die Regel.
Welche Wirkung haben die Urteile des IGH?
Wenn der Gerichtshof einbezogen wird, kann er eine sehr wichtige und sichtbare Rolle spielen. Verfahren wie die Klage Südafrikas gegen Israel im Gaza-Konflikt oder gegen Myanmar wegen des Völkermords an den Rohingya zeigen: Verfahren vor dem ‘Weltgericht’ haben enorme politische und diplomatische Wirkung. Erkennt der Gerichtshof eine schwere Rechtsverletzung oder einen Völkermord an, entsteht internationaler moralischer und politischer Druck, dem sich Staaten nicht leicht - oder nur um einen erheblichen Preis - entziehen können.
Vielen Dank für das Gespräch!
Prof. Dr. Christian J. Tams, LL.M. (Cambridge) ist Professor für Völkerrecht am King’s College London und Professor für Völkerrecht und Recht der Streitbeilegung an der Leuphana. Der Jurist studierte in Kiel, Lyon und Cambridge und ist international anerkannter Experte für das Völkerrecht, insbesondere für Fragen der Staatenverantwortlichkeit, internationale Gerichte und Streitbeilegung. Neben seiner Forschung berät er regelmäßig Staaten und internationale Organisationen in Verfahren vor dem Internationalen Gerichtshof und in Schiedsverfahren.
Die European Society of International Law (ESIL) die größte europäische Fachgesellschaft auf dem Gebiet des internationalen Rechts. Seit ihrer Gründung im Jahr 2004 bietet sie ein Forum für die wissenschaftliche Diskussion aktueller völkerrechtlicher Fragestellungen und zur Vernetzung von Forschenden und Praktiker*innen auf europäischer Ebene.
An der Leuphana Universität Lüneburg ist die ESIL durch mehrere Mitglieder vertreten, die zugleich das Center for European and International Law (CEIL) mitgestalten: Prof. Dr. Jelena Bäumler, Professorin für Öffentliches Recht und Völkerrecht mit Schwerpunkt Nachhaltigkeit, Prof. Dr. Till Patrik Holterhus, Professor für Staats- und Verwaltungsrecht, Internationales Öffentliches Recht und Rechtsvergleichung sowie Prof. Dr. Valentin Schatz, Juniorprofessur für Öffentliches Recht, Europarecht und Völkerrecht, insbesondere Umwelt- und Seerecht.
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