Projektseminar Wiederherstellung der biologischen Vielfalt auf dem Campus

Wissenschaft und Praxis der Wiederherstellung der biologischen Vielfalt gehen Hand in Hand

10.09.2023 Im Seminar „Restoration of Biodiversity in Urban Settings - The Leuphana Campus" können Studierende praktische und wissenschaftliche Erfahrungen in der Wiederherstellung städtischer Ökosysteme sammeln, indem sie die Biodiversität von artenreichen Wiesen wiederherstellen und messen.

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Studenten entnehmen im April 2023 Bodenkerne zur Messung von Kohlenstoff und Stickstoff im Boden, sowie zur Messung der Bodendichte, damit sie im Laufe der Zeit die Kohlenstoffbindung in den Wiesen und Rasenflächen bewerten können. Foto: Vicky Temperton
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Natternkopf-Mauerbiene (Hoplitis adunca) beim Besuch des Natternkopfes (Echium vulgare). Foto: Luisa Schubert.

Beifuß, Weiße Lichtnelke und Schafgarbe blühen auf der Mini-Insektenwiese. Eine Hummel trinkt Nektar aus den Blüten des Natternkopfes. Nicht weit entfernt landet eine Schwebfliege auf einem Fingerhut. Trotz der geringen Größe des blühenden Rasenstücks vor Gebäude 4 summt und brummt es. „Urbane Räume sind ein wichtiger Schauplatz des sozial-ökologischen Umbaus. Der Leuphana Campus birgt ein großes Potenzial für die Wiederherstellung der biologischen Vielfalt und für eine engere Verbindung der Menschen mit der Natur", erklärt Dr. Manuel Pacheco Romero. Gemeinsam mit Prof. Dr. Vicky Temperton, Professorin für Ökosystemfunktionen und -dienstleistungen, leitet der Umweltwissenschaftler das Seminar ‚Restoration of Biodiversity in Urban Settings - The Leuphana Campus‘.

Die Arbeit in diesem Seminar ist projektorientiert und befasst sich mit spezifischen Aspekten der Nachhaltigkeitsherausforderung in der Wiederherstellung der biologischen Vielfalt auf dem Campus. Zu diesen Herausforderungen gehört die Prüfung von Optionen für die Landschaftsgestaltung, die auch eine Erhöhung des Anteils einheimischer und biodiverser Pflanzengemeinschaften einschließen. Jüngste ökologische Forschungen (Jandt et al. 2022) haben gezeigt, dass beispielsweise in Deutschland die Pflanzenarten, die in den letzten 100 Jahren selten geworden sind, hauptsächlich auf artenreichen Wiesen und Weiden zu finden sind, während die Arten, die an Häufigkeit zugenommen haben, in Wäldern leben. Mit der Industrialisierung der Landwirtschaft und der Aufgabe von Flächen haben wir einen enormen Teil unseres offenen Grünlands (artenreiche Wiesen und Weiden) verloren, und das verbleibende Grünland ist oft degradiert und ökologisch nicht in gutem Zustand. Ein Schwerpunkt dieses Seminars ist daher die Wiederherstellung artenreicher Wiesen (siehe Argumente in Staude et al. 2023), indem sie entweder neu angelegt werden, oder indem die Mahd auf bereits bestehenden Rasenflächen reduziert wird, da dies bekanntermaßen ebenfalls die Pflanzenvielfalt fördert, wenn auch in geringerem Maße als die Anlage neuer Wiesen. Sobald eine Wiese wiederhergestellt ist, kommen die Insekten in der Regel zurück, insbesondere wenn die Saatgutmischung gut ist - obwohl die derzeitigen Wetterextreme diese Erholung behindern.

Im Rahmen des Seminars werden daher auf dem Campus sukzessive verschiedene Wiesenversuchsflächen angelegt, bei denen es sich entweder um wiederhergestellte Wiesen (mit Bodenvorbereitung und Aussaat von ökologisch anspruchsvollen Artenmischungen) oder um Flächen mit reduzierter Mahd (wir müssen trotzdem manchmal mähen, da sonst Büsche und Bäume überhandnehmen würden) und Kontrollflächen handelt, die sehr regelmäßig gemäht werden. Bislang gibt es neben der Mini-Blumenwiese, auf der eine Saatgutmischung mit einheimischen Pflanzen ausgebracht wurde, zwei Flächen, die weniger häufig gemäht werden als die allgemeinen Grünflächen des Campus. Im Laufe der Zeit werden weitere Flächen hinzukommen, wenn aufeinanderfolgende Studentenkohorten das Seminar absolvieren und an der Bewertung der Veränderungen der biologischen Vielfalt durch die Restaurierungsmaßnahmen arbeiten. Das Ziel von Prof. Vicky Temperton, einer experimentellen Ökologin, ist es, dass diese wiederhergestellten Flächen am Ende ein repliziertes Experiment auf dem gesamten Campus bilden. Auf diese Weise können Studierende und Wissenschaftler nicht nur die biologische Vielfalt und die Verbundenheit des Menschen mit der Natur wiederherstellen, sondern auch im transdisziplinären Rahmen des Universitätscampus erforschen, wie gut die Maßnahmen tatsächlich zu mehr biologischer Vielfalt führen und widerstandsfähige Flächen für den Klimawandel bereitstellen, die unterirdisch Kohlenstoff speichern.

Vier Schülergruppen arbeiten jeweils an einem Schwerpunktthema: Vegetation, Boden, Insekten und Öffentlichkeitsarbeit. „Wir sind daran interessiert, welche Pflanzen und Tiere wir finden und wie die Bodenverhältnisse sind. In den kommenden Jahren werden das Seminar und die Experimente fortgesetzt. Dann werden wir mehr Daten sammeln", sagt Manuel Pacheco Romero. Das wiederkehrende Seminar ermöglicht es, die langfristigen Auswirkungen der sozio-ökologischen Wiederherstellung und der Wiederherstellung der biologischen Vielfalt im Laufe der Zeit zu bewerten, da sich der Campus mit den Aktivitäten dynamisch verändert.

Die Ergebnisse sollen aber nicht allein im Seminar verbleiben: „Die erfolgreiche Umsetzung von Wiederherstellungsmaßnahmen hängt weitgehend von der öffentlichen Akzeptanz und Kommunikation ab. Deshalb führen wir eine Informationskampagne über die Werte der biologischen Vielfalt durch", erklärt Manuel Pacheco Romero. Die Ergebnisse werden unter anderem auf Instagram und INaturalist, einem sozialen Netzwerk und Citizen-Science-Projekt, veröffentlicht. Vicky Temperton fügt hinzu: „Wiesen verändern ihr Aussehen das ganze Jahr über und können in der kalten oder heißen Jahreszeit wunderschön blühen, oder gelb und passiv sein, und für manche mögen sie ‚unordentlich‘ oder weniger attraktiv als eine Gartenlandschaft erscheinen - doch sie sind Meister der Widerstandsfähigkeit, bieten Lebensraum für viele Arten und speichern Kohlenstoff unter der Erde, wo er nicht verbrannt werden kann."

Die Öffentlichkeitsarbeit zielt auch darauf ab, die Aufmerksamkeit auf den Wert der biologischen Vielfalt zu lenken, insbesondere auf die Schlüsselrolle, die Grünlandarten in Landschaften mit hoher Artenvielfalt spielen: „Wir Menschen fühlen uns nicht mehr sehr abhängig von der Natur. Wir müssen Pflanzen wieder mehr wertschätzen", sagt Lea Möller, studentische Hilfskraft und Tutorin im Seminar 2023. Eine neue Zusammenarbeit mit dem externen Gärtner Gunther Böke (http://ladanum.info/) ermöglicht es in diesem Jahr, die Wiesen und Rasenflächen mit einem insekten- und säugetierfreundlichen Brielmeier-Mäher zu mähen, der zudem den Boden deutlich weniger verdichtet als herkömmliche Mähwerke.

Während des Seminars tauschen sich verschiedene an der Gestaltung des Campus beteiligte Akteure aus, darunter die Leuphana Biodiversitätsinitiative (AG) mit Irmhild Brüggen (Nachhaltigkeitsbeauftragte der Leuphana), Mitglieder der Initiativen Essbarer Campus und Waldgarten, Mitglieder des Präsidiums, Gärtner und andere Akteure auf dem Campus. Für Studierende, die an dieser fortlaufenden Romanze mit der Natur interessiert sind, ist das Seminar ein Modul ‚Räumliche Planung in der Praxis‘ im Nebenfach Raumwissenschaften und trägt den Titel ‚Restoration of Biodiversity in Urban Settings - The Leuphana Campus‘ und wird jedes Sommersemester angeboten. Kommen Sie zu uns!

Referenzen

Staude, Segar, Temperton et al. (2023) Prioritize grassland restoration to bend the curve of biodiversity loss. Restoration Ecology.

doi: 10.1111/rec.13931

Jandt [... ] Haider [... ] et al. (2022) More losses than gains during one century of plant biodiversity change in Germany.

Nature doi.org/10.1038/s41586-022-05320-w