„Der Druck des Marktes war nicht groß genug“
08.12.2020 Im November hat sich die Große Koalition auf eine künftige feste Frauenquote in Vorständen börsennotierter und paritätisch mitbestimmter Unternehmen mit mehr als drei Vorstandsmitgliedern verständigt. Patrick Velte, Professor für Accounting, Auditing & Corporate Governance, und Kathrin van Riesen, zentrale Gleichstellungsbeauftragte der Leuphana, sprechen über die neue Regelung und erklären, warum die neue Quote nötig ist.
- Warum plant die Koalition ein solches Gesetz genau jetzt, obwohl sich die CDU lange dagegenstellte?
- van Riesen: Die Bundestagswahl steht bald wieder an. Für die im Koalitionsvertrag vereinbarte Verbesserung für Frauen in Unternehmensvorständen musste noch etwas erarbeitet werden. In den letzten zehn Jahren hat sich aber auch in der gesellschaftlichen Debatte etwas verändert. Lange wollte niemand das Quotenthema anfassen, weil die Diskussion davon dominiert war, dass Personen schlicht qua Geschlecht und nicht qua Kompetenz in bestimmte Ämter und Positionen gehoben werden. So darf man die Quote nicht diskutieren, das ist fatal. Leistung und Kompetenz zählen auch bei dieser sogenannten „harten“ Quote. Vermutlich hat es diese zehn Jahre Diskussion gebraucht, um festzustellen, dass die harten Quoten ihre Berechtigung haben. Es gibt viele qualifizierte Frauen, die ohne die Quote den letzten Schritt durch die gläserne Decke nicht schaffen.
- Warum ist eine gesetzliche Frauenquote in Vorständen ein wichtiges Signal?
- Velte: Bereits seit zehn Jahren gibt es eine freiwillige Selbstverpflichtung in Form eines Kodex, um die Frauenquote in den Aufsichtsräten und Vorständen von börsennotierten Aktiengesellschaften zu erhöhen. Die Selbstverpflichtung hatte allerdings nicht gut funktioniert, deshalb wurde bereits 2015 ein „Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst (FüPoG I)“ verabschiedet. Dieses Gesetz sah erstmals eine gesetzliche Frauenquote im Aufsichtsrat in Höhe von 30% in börsennotierten und paritätisch mitbestimmten Unternehmen vor. Ein wichtiger Meilenstein zur Stärkung der nachhaltigen Corporate Governance! Mit dem neuen geplanten Gesetz, dem FüPoG II, soll nun folgerichtig auch der Vorstand in die Quotenregelungen einbezogen werden. Geplant ist allerdings lediglich eine „Mikroversion“ bzw. „Ein-Frauen-Quote“. Wenn es in den genannten Gesellschaften mehr als drei Vorstandsmitglieder geben sollte, muss künftig bei Neuberufungen mindestens eine Frau vertreten sein. Diese Ausweitung soll schätzungsweise lediglich 30 Unternehmen in Deutschland konkret betreffen. Vor diesem Hintergrund also nur ein zahlenmäßig kleiner Vorstoß, aber aus meiner Sicht eine äußerst große Signalwirkung für die Wirtschaft.
van Riesen: Insbesondere die Pflicht der Einbeziehung von Frauen in Vorständen zeigt sich durchaus positiv, wenn wir in den internationalen Vergleich gehen. In anderen Ländern, die schon viel früher als Deutschland diese Quoten eingeführt haben – Norwegen zum Beispiel schon 2003 – zeigt sich, dass der Frauenanteil viel deutlicher und stetig angestiegen ist. Die genannte Selbstverpflichtung hier in Deutschland verzeichnete eher Stagnation, während es in anderen Ländern immer voran ging. - Gibt es wissenschaftliche Studien, die zeigen, dass ein Unternehmen mit einem diverseren Top Management besser performt?
- Velte: Ja, in den letzten Jahren wurde schon sehr viel empirische betriebswirtschaftliche Forschung zu diesem Thema betrieben. Neben Meta-Studien zum Einfluss von weiblicher Repräsentanz in der Führungsebene auf die Finanzperformance liegen auch Analysen zu den Auswirkungen auf die Nachhaltigkeitsleistung von Unternehmen vor. Tendenziell zeigt sich, dass die CSR-Performance von Unternehmen durch eine angemessene Berücksichtigung von Gender Diversity im Verwaltungsrat erhöht wird. Wichtig ist in diesem Kontext, dass man sich nicht länger nur auf die finanzielle Leistung des Unternehmens konzentriert, sondern auch die Umwelt-, Sozial- und Governance-Merkmale berücksichtigt. Da es jedoch hierzu vergleichsweise wenig Studien zum deutschen Kapitalmarkt gibt, sind wir als Forschende aufgerufen, diese Lücke zu schließen. In einem kürzlich gehaltenen Impulsvortrag in den „10-Minuten-Gesprächen“ des Gender & Diversity-Netzwerks hatte ich in ZOOM berichtet, dass auch erste internationale Studien den Einfluss von Gender Diversity auf Managementebene auf die Klimaberichterstattung und die CO2-Emissionen untersuchen. Dieses Forschungsfeld ist mit einer steigenden Brisanz verbunden, gerade vor dem Hintergrund des EU-Green-Deal-Projekts und der Klimaschutzpolitik der deutschen Bundesregierung.
- Herr Velte, Ihre Meinung dazu scheint jedoch nicht die vorherrschende Meinung in der Wirtschaft zu sein. Kritische Stimmen über den Eingriff des Staates in die Wirtschaft sind auch jetzt laut geworden.
- Velte: Wir Ökonom*innen tragen seit Jahrzehnten einen Konflikt aus zu der Frage: Wollen wir die Corporate Governance durch Kodizes weitgehend dem Markt überlassen oder gesetzlich stärker regulieren? Ich sage aus ökonomischer Sicht: So viel Markt wie möglich, aber auch so viel Regulierung wie nötig. In der Diversitätsfrage in den Führungsetagen besteht meines Erachtens ein Marktversagen in Deutschland. Die börsennotierten Unternehmen haben sich bislang nicht freiwillig dazu entschieden, eine ausreichende Anzahl von Frauen in den Vorstand zu berufen, aktuelle Studien weisen auf eine durchschnittliche Quote von ca. 10% hin. Teilweise sind auch aktuell noch Zielgrößen von 0% für die kommenden Jahre in den Gender Diversity-Berichten zu finden. Der Aufschrei der Wirtschaft ist insofern überzogen: die geplante Geschlechterquote im Vorstand soll im Vergleich zum Aufsichtsrat ja recht moderat ausfallen. Nach der kritischen Massentheorie müssten mindestens 30% nötig sein, um innerhalb eines gruppendynamischen Prozesses eine signifikante Änderung des Willensbildungsprozesses in den Vorständen zu erzielen. Die wenigen betroffenen Unternehmen müssen künftig lediglich einen gesetzlichen Frauenanteil von 25% erreichen (bei vier Vorstandsmitgliedern mindestens eine Frau). Bei dieser Grenze lässt sich bezweifeln, ob überhaupt ein gewünschter strategischer Wechsel im Denken auf Vorstandsebene gelingen kann.
- Werden genug Frauen auf eine mögliche Führungsposition vorbereitet?
- van Riesen: Wir haben im Bachelor an der Fakultät Wirtschaftswissenschaften der Leuphana 46% Frauen, die ihr Studium erfolgreich abschließen. Das steigert sich im Master noch mal deutlich auf 57% Absolventinnen. BWL beispielweise ist mittlerweile ein stark von Frauen nachgefragtes Fach, das ist auch bundeweit so. Das Problem ist eher, dass sich bei der Personalrekrutierung für Vorstände in einem zu kleinen, homogenen Kreis umgeschaut wird. Wenn man im Umkreis des Netzwerks eines bestehenden männlichen Vorstandes schaut, dann reicht das nicht. Die dadurch entstehende Reproduktion von persönlichen Eigenschaften und fachlichen Hintergründe sind längst nachgewiesen. Jetzt mal gezwungen zu sein über den Tellerrand zu gucken und nach Frauen zu suchen, die entsprechende Qualifikationen mitbringen – das ist als große Bereicherung anzusehen. Wir an der Leuphana versuchen da auch selbst zu reflektieren: Wie rekrutieren wir eigentlich für die Berufungen? Wir haben an der Hochschule Leitfäden für die Rekrutierung und gegen die geschlechterstereotype Personalauswahl erarbeitet, mit denen wir aktiv im Vorfeld und während der Berufungsverfahren arbeiten. Frauen müssen meist Überleistung bringen, um gesehen zu werden und auf entsprechende Positionen zu kommen. Wir versuchen Hilfestellung zur Selbstreflektion zu geben, damit unbewusste Vorurteile aufgedeckt werden können. Wir müssen den Mut haben das aufzubrechen. Das ist auch schon im Studium wichtig. Mit den Gender-Diversity Zertifikaten im Bachelor- und Masterstudium wollen wir es der nächsten Generation an Fach- und Führungskräften ermöglichen schon mit einem geschulten Blick und fachlichen Kompetenzen in die Arbeitswelt zu starten.
Das Interview führte Gina La Mela.