15 Jahre Fakultät Nachhaltigkeit: Was hält die Wissenschaft vom Feuerwerk

17.12.2025 Seit 15 Jahren steht die Fakultät Nachhaltigkeit der Leuphana Universität Lüneburg für innovative Forschung und Lehre zu den großen Zukunftsfragen unserer Zeit. Als europaweit einzigartige Fakultät für Nachhaltigkeitswissenschaften verbindet sie seit 2010 ökologische, soziale und ökonomische Perspektiven und arbeitet inter- und transdisziplinär an Lösungen für gesellschaftliche Transformationen. Zum Ende des Jubiläumsjahres blicken Forscher*innen interdisziplinär auf das Thema „Feuerwerk“. Und es wartet eine süße und nachhaltige Alternative für Silvester.

©Leuphana/Patrizia Jäger
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Faszination Feuerwerk – Ein chemischer Blick 

Prof. Dr. Klaus Kümmerer, Professor für Nachhaltige Chemie und Stoffliche Ressourcen 

Herr Professor Kümmerer, mögen Sie Feuerwerk? 

Als Chemiker kann ich gar nicht gegen Feuerwerk sein. Die Chemie dahinter ist faszinierend. Früher demonstrierten Könige und Fürsten damit ihre Macht und unterstrichen ihren Glanz. Feuerwerke und die Chemie dahinter wirkten mystisch und geheimnisvoll. Ein Teil dieser Faszination schwingt heute noch mit.

Wie entstehen die Farben beim Feuerwerk?

Die Farben eines Feuerwerks entstehen durch erhitzte Metallsalze – etwa Strontium für Rot, Kupfer für Grün oder Blau, Natrium für Gelb und Magnesium oder Aluminium für weißes Licht, deren angeregte Elektronen beim Zurückfallen charakteristisches Farblicht aussenden. Die Kunst liegt darin, den Ablauf so zu steuern, dass nicht alle Effekte auf einmal passieren. Mit verschiedenen Kapseln, Verzögerungen und Zündmechanismen entstehen nacheinander Effekte. Es ist ein Zusammenspiel aus Chemie, Physik und Ingenieurskunst, das über Jahrhunderte entwickelt wurde.

Alles schön bunt, aber gibt es auch Probleme mit der Nachhaltigkeit?

Feuerwerk belastet Tiere vor allem durch seinen Lärm. Eine Studie des Max-Planck-Instituts hat gezeigt, dass etwa Wildgänse kilometerweit fliegen, um dem Knallen zu entkommen. Für Menschen birgt Feuerwerk ebenfalls Risiken: Es kann zu schweren Verletzungen wie Knalltraumata oder dem Verlust von Fingern oder mehr kommen, und besonders Menschen mit Kriegserfahrungen, etwa Geflüchtete, reagieren sensibel auf die Geräusche. Zusätzlich verschlechtert Feuerwerk kurzfristig die Luftqualität massiv; in der Stunde des Abbrennens können die Feinstaubwerte auf das 1.000- bis 10.000-Fache normaler Konzentrationen ansteigen, was für Menschen mit Atemwegsproblemen gefährlich sein kann. Auch der Ressourcenverbrauch ist erheblich, da Feuerwerkskörper wertvolle und schwer gewonnene Metalle wie Strontium oder sogar teils seltene Erden enthalten und zudem große Mengen Müll hinterlassen, die entsorgt werden müssen. Nicht zu unterschätzen ist insbesondere in historischen Stadtvierteln die Brandgefahr, aber nicht nur dort.

Was sind aus Ihrer Sicht Alternativen?

Die Menschen sind an Silvester optimistisch und möchten feiern. Das ist etwas Gutes. Warum veranstalten Kommunen nicht statt der einzelnen Knallerei ein kunstvolles, musikalisch begleitetes Höhenfeuerwerk ungefährlich umgesetzt von Profis mit weniger Belastung für Zuschauende und die Umwelt? Das ließe sich über Steuermittel finanzieren oder Spenden der Bürger*innen, die aufs private Knallen verzichten. Beispiele dafür gibt es schon.

Es gibt noch eine etwas kleinere Alternative: die Wunderkerze. Wie funktioniert Sie?


Wir haben Perchlorat, Eisen und Stärke. Das Perchlorat dient als Oxidationsmittel, Eisen und Stärke bilden eine Art Teig, der alles zusammenhält. Die graue Farbe stammt vom Eisen: Wird es erhitzt, glüht es weiß und kleine Eisenpartikel springen durch thermische Spannung ab – daher das typische Glitzern.   

Vielen Dank für das Gespräch!

Feuerwerk aus ökonomischer Sicht - Warum Verbote manchmal ökonomisch sinnvoll sind

Prof. Dr. Jacob Hörisch, Professor für Nachhaltigkeitsökonomie & -management

Vorab ein Geständnis: Ich finde Feuerwerke schön – besonders, wenn auf den Lüneburger Sülzwiesen ein Fest stattfindet und ich es von meinem Arbeitszimmer aus verfolgen kann. Gleichzeitig weiß ich: Feuerwerke verursachen Schäden, für die nicht die Verursachenden aufkommen. Menschen leiden unter enormer Feinstaubbelastung sowie überfüllten Kliniken an Silvester, die Natur leidet unter CO₂-Emissionen und Abfall, und auch Kleinkinder sowie Tiere werden durch den Lärm gestört. In der Nachhaltigkeitsökonomie nennt man solche nicht kompensierten Schäden Externalitäten. Eine klassische Besteuerung wäre hier jedoch kaum umsetzbar, da es viele einzelne Verursachende und unterschiedliche Externalitäten gibt. Deshalb können auch ökonomisch normalerweise unliebsame Lösungen sinnvoll sein: Verbote bzw. zeitliche und räumliche Beschränkungen oder zentrale Feuerwerke, wie auf den Sülzwiesen. Vielleicht erleben wir künftig stadtweite gemeinsame Feuerwerke – und ich kann auch an Silvester eines der zentralen Lüneburger Feuerwerke sehen, ohne Sorgen um schlafende Kinder oder schlechtes Umweltgewissen. Manchmal sind auch aus ökonomischer Sicht unökonomische Lösungen die besten. Und die Wunderkerze bleibt erlaubt.

Warum wir trotz guter Vorsätze knallen

Prof. Dr. Maureen Schulze, Juniorprofessorin für nachhaltige Kauf- und Konsumentscheidungen am Centre for Sustainability Management

Das Umweltbewusstsein in der Bevölkerung wächst, doch gerade beim Thema Feuerwerk zeigt sich ein deutlicher Widerspruch: Obwohl die negativen Folgen wie Feinstaub, Müll, Lärm und Belastungen für Tiere zunehmend im in den gesellschaftlichen Fokus rücken, steigen die Umsätze mit Feuerwerk. Dieses Verhalten lässt sich vor allem durch die sogenannte Einstellungs-Verhaltens-Lücke erklären: Viele Menschen möchten zwar nachhaltiger handeln, doch manchmal fällt es Ihnen dann schwer ihre guten Vorsätze in die Tat umzusetzen. Beim Feuerwerk verstärken mehrere Faktoren diese Lücke: von der tiefen kulturellen Verankerung über die oft nicht direkt wahrnehmbaren Schäden bis hin zur geringen wahrgenommenen Wirksamkeit des eigenen Verzichts. Wichtig ist jedoch: Die Verantwortung liegt nicht allein bei Konsumierenden. Ein verändertes Angebot, aber auch klare politische Regelungen sind ebenso wichtig, um die Lücke zwischen nachhaltigen Einstellungen und tatsächlichem Verhalten zu schließen.  Nachhaltiger Konsum wird gefördert, wenn Politik, Wirtschaft und Gesellschaft gemeinsam handeln. Und: Wie so oft im Bereich nachhaltigen Verhaltens braucht es Zeit, Wiederholung und gezielte Unterstützung, um neue Gewohnheiten zu etablieren – ähnlich wie bei den guten Vorsätzen fürs neue Jahr.

Zwölf Trauben für das Glück: Süße Silvestertradition ohne Knall 

Maria del Carmen Sunen-Bernal, International Center

In Spanien wird Silvester traditionell weniger mit privatem Feuerwerk gefeiert, dafür gibt es jedoch in den Städten oft große, offizielle Feuerwerke und organisierte Veranstaltungen. Die beliebtesten Orte für das gemeinsame Feuerwerk sind die Hauptplätze wie die Puerta del Sol in Madrid oder der Plaça Catalunya in Barcelona. 

In der Silvesternacht in Spanien ist es Tradition, zu jedem der zwölf Glockenschläge um Mitternacht eine Weintraube zu essen. Dies wird „Las Doce Uvas de la Suerte“ (die zwölf Glückstrauben) genannt. Wer es schafft, alle Trauben rechtzeitig zu essen, dem soll das neue Jahr Glück und Wohlstand bringen, wobei jede Traube für einen Monat oder einen Wunsch steht. 

Die Tradition geht auf das Jahr 1909 zurück, angeblich wegen einer ungewöhnlich großen Traubenernte in diesem Jahr. Dieser Brauch ist nicht mit Feuerwerk verbunden, aber beide Bräuche werden oft gemeinsam gefeiert.

 

Feuerwerk, Risiko und Wahrnehmung: Wie gefährlich ist Silvester wirklich?

Prof. Dr. Astrid Kause, Juniorprofessorin für Nachhaltigkeitswissenschaft und Psychologie

Sollten wir uns um die Folgen von Feuerwerk auf Menschen und Umwelt sorgen und uns dafür (oder auch dagegen) deutlich einsetzen, etwa für ein Böllerverbot? Dies müssen Menschen tatsächlich für sich persönlich abwägen, aber wir können ihnen als Wissenschaftler*innen helfen, Risiken besser einzuschätzen. Als Psychologin möchte ich vor allem wissen, wie Menschen Risiken wahrnehmen – umso mehr, wenn diese hitzig debattiert werden und Menschen potenziell polarisieren.

Zunächst interessiert mich, wie hoch ein Risiko tatsächlich ist. Neben Dreck, Knallerei und Gebäudeschäden, gerade in Großstädten wie Berlin oder Hamburg, Hunderten Verletzten und negativen Auswirkungen auf Tiere starben laut Medienberichten in der Silvesternacht 2024/25 fünf Menschen durch Feuerwerkskörper – und damit fünf Tote zu viel.

Dann möchte ich wissen, wie sich ein Risiko im Vergleich zu anderen Risiken darstellt: Mache ich mir Sorgen um das, was mich wirklich bedroht? Hier ein paar Beispiele im Vergleich: Es gab 45 Tote durch Alkohol am Steuer an den Samstagen des Jahres 2021 in Deutschland. Allein in Berlin starben 2024 etwa 5.000 Menschen aufgrund von Feinstaub- und Stickstoffoxidbelastung. Welche davon gehen aufs Feuerwerk zurück, und welche auf Verkehr, Industrie und Heizen?

Um Risiken insgesamt besser einschätzen zu können, lohnt sich ein Blick auf die Risikostraße, die mir sagt, wie viele Einwohnerinnen im Schnitt durch unterschiedliche Risiken betroffen sind – pro 100.000. Das sind etwa 514 Fälle leichter Körperverletzung, 269 Gewaltopfer und zwei Verkehrstote. Oder: 11.800 Personen nahmen ihre Wohngebäudeversicherung in Anspruch. Wenn ich allein die Zahl derer betrachte, die die Silvesternacht nicht überleben (und andere Auswirkungen im Moment vernachlässige), entspricht dies umgerechnet 0,00625 Todesfällen pro 100.000 Einwohnerinnen – im Vergleich ist das also tatsächlich eher unwahrscheinlich.

Die Risikostraße zeigt: Um einzuschätzen, was uns bedroht, benötigen wir vergleichbare Grundgesamtheiten (etwa pro 100.000 Einwohner*innen) und dazu eine gute Beschreibung von Kosten und Nutzen. Darüber hinaus hilft es auch, zu wissen, was wir noch nicht genau wissen: Was sind etwa langfristige gesundheitliche Folgen von Feuerwerk – zum Beispiel für Gehör oder Atemwege?

Gerade Risiken, die viele Menschen in einem kurzen Zeitraum betreffen, bekommen oft viel – auch mediale – Aufmerksamkeit, auch wenn die Anzahl derer, die von solchen „dread risks“ betroffen ist, im Vergleich zur Grundgesamtheit eher gering ist. Aus unterschiedlichen Gründen werden diese dann trotzdem manchmal hitzig debattiert: Vielleicht sind sie ein wichtiger Teil einer Kultur. Oder ihre Folgen sind besonders sichtbar, wie etwa die der Silvesternacht. Andere, gefährlichere Risiken vernachlässigen wir hingegen möglicherweise, weil wir denken, sie gut kontrollieren zu können, oder weil sie weniger sichtbare Schäden verursachen, wie zum Beispiel multiresistente Keime im Krankenhaus.

Am Ende steht für mich die Frage: Ist der Aufwand für ein Böllerverbot gerechtfertigt? Oder sollten wir uns nicht stattdessen dafür einsetzen, dass z. B. eine Autobahn nicht gebaut wird – gegeben deren Feinstaub-, Lärm-, Gesundheits- und Ökosystembelastung über Jahrzehnte hinweg? Vergleichbare Daten sind der Weg, um hier informiert zu entscheiden.