Transformation | Kluge Städte, digitalisierte Zukünfte und Amazons Ökosystem der Abhängigkeiten
Promotionsprojekt von Maja-Lee Voigt
17.10.2024 Amazon kontrolliert immer mehr städtische und digitale Infrastrukturen, die für ein funktionierendes Gemeinwesen nötig sind. Seit drei Jahren untersucht Maja-Lee Voigt, wie der Tech-Riese unser Zusammenleben nachhaltig verändert. Im Interview berichtet die Stadtforscherin über bisherige Ergebnisse des Projekts „Automating the Logistical City: Space, Algorithms, Speculation“ (Leitung: Prof. Dr. Armin Beverungen).
Was ist der Ausgangspunkt Ihrer Forschung im Projekt und in Ihrer Dissertation?
Wir leben in einer Zeit, die aufgrund vielfältiger Krisen kollektiv als sehr ungewiss wahrgenommen wird. Die These meiner Dissertation ist, dass die Angst um die eigene Lebenssituation oder um existenzielle Krisen von Tech-Unternehmen aufgegriffen wird. Smart Home-Gadgets, wie Sprachassistenten oder die Türklingel Ring, die z.B. vor Eindringlingen schützen soll, bieten eine vermeintliche ‚Sicherheit‘. Dabei produzieren sie aber nur noch mehr Unsicherheiten, von denen Amazon profitieren kann. Durch solche technischen Lösungen bringt Amazon die Kund*innen in gewisser Weise in eine Abhängigkeit. Die Frage ist aber: um welchen Preis? Es geht darum, wie wir in Zukunft leben wollen, wer in einer immer weiter digitalisierten Welt eigentlich noch weiß, wie diese Technologien funktionieren und wer mitgestalten darf, welche davon unseren Alltag bestimmen dürfen.
Was haben Sie im Projekt bisher über den weltweit größten Online-Händler herausgefunden?
Amazon wird meistens nur als virtuelles Warenhaus oder als Video-Dienst Prime wahrgenommen. Aber das Unternehmen umfasst sehr viel mehr als das: Es geht im Wohnzimmer los, zum Beispiel mit der „Mitbewohnerin“ Alexa, über die Lieferand*innen und weißen Liefer-Vans auf den Straßen bis hin zu Server- und Cloud Computing-Infrastrukturen. Grundsätzlich sehen wir, dass öffentliche Infrastrukturen vermehrt privatisiert werden. Bzw. private Akteur*innen auf öffentliche Infrastrukturen aufbauen. Hier geht es darum, inwiefern die fünf großen Tech-Monopole der Welt (Amazon, Apple, Google, Meta Platforms und Microsoft) z.B. mit ihren Daten- und Warenzentren die Regionalpolitik von Städten, Kommunen und Ländern beeinflussen. Uns interessiert vor allem die Rolle von Amazon, da der Konzern im Smart City-Diskurs bisher wenig Aufmerksamkeit bekommen hat. Wir legen also auch einen Grundstein für weitere Forschung.
Wie gehen Sie methodisch vor?
Da wir kritisch forschen, möchte Amazon nicht unbedingt mit uns sprechen. Das heißt, viele Operationen des Unternehmens sind eine Blackbox für uns und wir müssen versuchen, anders an den Kern zu kommen. Als Stadtethnografin besteht meine Forschung u.a. darin, zu Lieferstandorten zu fahren, etwa auf der Veddel, und zu schauen, was ich von außen ablesen kann. Sie beinhaltet auch, qualitative Interviews zu führen. In Hamburg habe ich mit Menschen in Behörden gesprochen, die für Logistik und Immobilien- oder Flächenverteilung zuständig sind. In Dortmund haben wir herausgefunden, dass Amazon sehr wahrscheinlich – auch die öffentlichen Träger*innen drücken sich um eine eindeutige Antwort – keine Gewerbesteuer zahlt. Da stellt sich die Frage: Was passiert hinter verschlossener Tür?
Würden Sie daher von investigativer Forschung sprechen?
Wir haben tatsächlich Investigativ-Journalist*innen gefragt, wie wir methodisch vorgehen können. Als kritische Tech-Forscher*innen haben wir eine Ethik, die auch umfasst, dass wir sehr genau überlegen müssen, wo wir unsere erhobenen Daten speichern, damit sie nicht bei den Tech-Konzernen landen, die wir kritisieren. 30 Prozent unseres weltweiten Internets basiert mittlerweile auf der technischen Infrastruktur der Unternehmenstochter AWS (Amazon Web Services). Da wird es richtig tricky, Amazon aus dem Weg zu gehen. Das Unternehmen hat ein Ökosystem von Abhängigkeiten geschaffen.
Was wollen Sie mit Ihrer Forschung bewirken?
Wir wollen ein Bewusstsein für die Omnipräsenz von Amazon schaffen. Wichtig ist uns, Gespräche mit Behörden darüber zu führen, was mit öffentlichen Gütern und Infrastrukturen passiert. Um dann gemeinsam darüber nachzudenken, wie Alternativen aussehen können. Wir arbeiten zudem gerade an einer Story Map, in der niedrigschwellig durch unsere Ergebnisse geführt wird. Zu meiner Forschung habe ich bereits Mappings erstellt, in denen ich versuche, Inhalte aus der Wissenschaftssprache ins visuelle Medium zu übersetzen. Außerdem stellen wir uns als Expert*innen für das Thema in den Medien zur Verfügung. Armin Beverungen und ich waren z.B. gerade in Radiobeiträgen im öffentlichen Rundfunk zu hören. Wir versuchen also, das Wissen so gut es geht unter die Menschen zu bringen und zu verdeutlichen: das ist nichts, womit wir uns nur in unseren Büros in der Leuphana einschließen wollen. Das ist ein weitreichendes Thema, das uns alle angeht.
Vielen Dank für das Gespräch!
Maja-Lee Voigt ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungsprojekt „Automating the Logistical Space“ am Institut für Soziologie und Kulturorganisation (ISKO). Sie schreibt ihre Dissertation zum Thema „Cities on Demand? Unboxing Urban Un_Certainties from Amazon’s Algorithmic Architectures and Forecasted Futures“ und steht in engem Austausch mit Kolleg*innen des Leuphana Centre for Digital Cultures (CDC).
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- Prof. Dr. Armin Beverungen