Umfassende Data Literacy Education

Projekt-Kurzbeschreibung

Im Projekt „Umfassende Data Literacy Education am College“ (UDLE) soll das überwiegend technische Thema Datenanalyse und -management um einen kritisch-reflexiven Umgang mit Daten systematisch erweitert werden.

Bislang besteht Data Literacy im Lehrangebot des Leuphana College überwiegend in Form von Veranstaltungen zum Programmieren, Mathematik und Statistik und ist für alle Erstsemester*innen verpflichtend. Dieser curriculare Ansatz soll vor allem für Studierende der nicht-technischen und nicht-naturwissenschaftlichen Fächer attraktiver gestaltet werden.

Dafür sollen die bisherigen Ansätze, das technische Lehrangebot in die philosophischen, gesellschaftlichen und politischen Kontexte einer kritischen Auseinandersetzung mit Daten (sogenannte „Critical Data Studies“) einzubetten, weiter ausgebaut werden. Im Projektverlauf werden daher unter Einbezug des universitären und außeruniversitären Netzwerkes Konzepte zu einem umfassenden Begriff der Data Literacy Education sowie zur curricularen fachübergreifenden Integration in das Lehrangebot entwickelt.

Warum braucht es eine umfassende Data Literacy Education

Digitale Transformation und Data Power

Mit der digitalen Transformation ist der sichere Umgang mit Daten zu einer zentralen Fähigkeit geworden. Ohne die globalen Dateninfrastrukturen wäre die Wirtschaft von heute nicht mehr denkbar. Das Finanzwirtschaftssystem, Handel und Logistik sowie die Industrien sind auf ein komplexes Datenmanagement angewiesen. Neue Berufe wie Data Scientist oder Data Analyst markieren den gestiegenen Bedarf an Personen, die kompetent Daten erheben, bewerten, visualisieren und managen können.

Allerdings hat gerade die Datenerfassung und -sammlung von großen Wirtschaftsunternehmen auch seine kritische Seite, da gerade mit Kundendaten gezielt Konsumentscheidungen beeinflusst werden und es zu Machtkonzentrationen einiger weniger Konzerne weltweit gekommen ist.

Wie eng Daten und Macht (Data Power) zusammenhängen, zeigt auch der Blick in autoritär regierte Staaten, in denen Menschen mit Hilfe der Digitaltechnologien gezielt überwacht und sozial kontrolliert werden.

Die Herausforderungen einer Datenethik

Digitaltechnologien sind also alles andere als neutral. Der Forschungsbereich Critical Data Studies beschäftigt sich aus kritischer Perspektive mit den weniger offensichtlichen Problematiken der Datenwelt. So können die eingesetzten Algorithmen und Künstliche Intelligenz zur Verschärfung von struktureller Diskriminierung und Rassismus beitragen, wenn die Datenbasis, auf der sie beruhen, nicht heterogen genug angelegt wurde.

Auch statistische Methoden zur Datenerfassung können aufgrund impliziter Vorannahmen (Bias) zu Fehlinterpretationen des Datenmaterials führen. Diese Problematiken gehen deutlich über das hinaus, was ein rechtlicher Datenschutz leisten kann, weil sie zunächst nicht sichtbar sind und erst durch kritische Reflexion und Problembewusstsein aufgedeckt werden können. Insofern bedarf es sehr grundlegender Überlegungen zum Thema Datenethik.

Datenethik ist auch hinsichtlich von nachhaltiger Entwicklung von Bedeutung. Die Digitalisierung erweist sich als zentraler Treiber des globalen Wirtschaftswachstums und in Folge auch des Klimawandels. Nicht nur der enorme Energieverbrauch für den Betrieb der großen Rechner- und Serverzentren trägt seinen Teil dazu bei. Auch die Ausbeutung von seltenen Erden und Rohstoffen im Globalen Süden, welche für die Herstellung von Hardware benötigt werden, verschärft die weltweite Ungerechtigkeit. Themen wie Datensuffizienz und Datennutzung, welche schon allein aus Datenschutzgründen sinnvoll wären, finden aus Nachhaltigkeitssicht bislang wenig Beachtung.

Data Literacy Education – mehr als Future Skills

Um diesen Herausforderungen im Umgang mit Daten künftig begegnen zu können, bedarf es einer Data Literacy Education in allen Bildungsbereichen. In erster Linie definiert eine Data Literacy Education den Kompetenzrahmen, der Menschen dazu befähigt, Daten „lesen“ zu können. Damit sind vor allem Fähigkeiten gemeint, Daten auf kritische Art und Weise zu sammeln, zu managen, zu bewerten und hinsichtlich eines datenethischen Kontextes anzuwenden.

Allerdings sind diese Kompetenzen schwerpunktmäßig auf berufliche Kontexte und technische Berufe hin entwickelt worden. Zwar wird das Thema gemäß der „Data Literacy Charta“ grundsätzlich transdisziplinär verstanden und soll neben den Anwendungsgebieten verschiedener Disziplinen und Fächer sowie technisch-methodischer Herangehensweisen auch die gesellschaftlich-kulturelle Dimension berücksichtigen. Vor allem das Querschnittsthema Datenethik wird betont, das den reflexiven Rahmen für die Werthaltungen im Umgang mit Daten sicherstellen soll. Demnach sollen nur gesellschaftlich ethisch vertretbare Ziele verfolgt und die entsprechenden Mittel eingesetzt werden.

Allerdings bleiben die Gestaltungsspielräume doch relativ offen – so richtig der Ansatz der Data Literacy Charta auch ist. Schon allein der Begriff „Daten“ wird in den verschiedenen Disziplinen ganz unterschiedlich gebraucht. Auch der Begriff „Datenethik“ bleibt vage und wenig ausdifferenziert. Welches ethische Konzept ist für Data Literacy sinnvoll? Was genau bedeuten „gesellschaftlich vertretbare Ziele“, „richtige Mittel“ und ein verantwortungsvolles Handeln? Was sind in einem von Pluralität geprägten Diskurs überhaupt die gesellschaftlich erwünschten Ziele? Wie stehen diese gesellschaftlichen Ziele zu den an Gewinnmaximierung orientierten Wirtschaftsinteressen von Unternehmen oder gar zu den Machtinteressen von Staaten untereinander und gegenüber ihren Bürger*innen?

Eine umfassende Data Literacy Education für das Leuphana College

Data Literacy Education geht also weit über anwendungsorientierte „Future Skills“ eines zuvor festgelegten Kompetenzrahmens hinaus. Sie bedarf umfassender Kenntnisse und Reflexionswissen über kulturwissenschaftliche, gesellschaftliche und politische Zusammenhänge ganz verschiedener Disziplinen.

Im Sinne von „Critical Data Studies“ müssen diese mit den technischen und methodischen Anwendungswissen gezielt in Zusammenhang gebracht werden. Andernfalls besteht die Gefahr, dass die technische Ausbildung von Datenanalyse und -management immer vom normativen Anspruch der Datenethik losgelöst bleibt. Im Projekt „Umfassende Data Literacy Education am College“ (UDLE) sollen diese Zusammenhänge gezielt herausgearbeitet werden und in ein curriculares Konzept überführt werden.

Dafür kann am College auf eine solide Basis zurückgegriffen werden. So ist die technische Dimension der Data Literacy mit dem fachübergreifenden Format „Data driven X“, kurz: „DATAx“ seit einigen Jahren am College etabliert. In DATAx werden Grundlagen zum Programmieren, zur Statistik und Mathematik gelehrt und von allen Studienanfänger*innen vornehmlich der nicht-technischen und nicht-naturwissenschaftlichen Fächer verpflichtend durchlaufen.

Um dies zu ermöglichen, wurde DATAx im Leuphana Semester integriert – einem speziellen Modell für die Studieneingangsphase der Leuphana Universität Lüneburg. Ab dem zweiten Semester haben die Studierenden die Möglichkeit, ihre technischen Kenntnisse im Programmieren und Methoden im Wahlpflichtbereich des Komplementärstudiums zu vertiefen.

Das Projekt „Umfassende Data Literacy Education“ wird auf diesem Fundament aufbauen und die technische Dimension von DATAx deutlich erweitern. Dazu wird in einem ersten Schritt mit denjenigen Instituten und Fakultäten das Gespräch gesucht, die an der Leuphana Universität Lüneburg mit dem Themenkomplex Data Literacy befasst sind. In einem zweiten Schritt wird auf dieser Grundlage und dem Anspruch des Bildungsverständnisses des Leuphana Colleges einer Liberal Education ein gemeinsamer Begriff von Data Literacy Education entwickelt. In einem dritten Schritt werden Konzepte erarbeitet, wie diese umfassende Data Literacy curricular im College Studienmodell verankert werden kann.

Ziel des Projektes ist es, Data Literacy Education in einem großen Umfang auszubauen. Der Fokus der Ausbildung beruflicher Kompetenzen und Fähigkeiten zur technischen Datenanalyse wird um den Rahmen eines reflexiv-kritischen Denkens deutlich erweitert und fach- und fakultätsübergreifend im Lehrangebot der Leuphana Universität Lüneburg verankert.

Das Projekt „Umfassende Data Literacy Education am College“ wird aus Mitteln der Förderlinie Freiraum 2022 der „Stiftung Innovation in der Hochschullehre“ im Zeitraum September 2022 bis August 2023 gefördert.

Kontakt

Projekt "Umfassende Data Literacy Education am College"