Aussterben, ohne durchzudrehen

Ein Ministerpräsident, der sich seiner Verantwortung bewusst ist. So kündigt Leuphana-Präsident Spoun den Redner des Abends an. Um diese Verantwortung wird es in seiner Rede gehen. Um die Zukunft Europas. Um unsere Zukunft.

Ein Kommentar von Lucas Hedicke.

Stephan Weil predigt fünf aktuelle Herausforderungen. ©Lisa-Marie Peemöller
Stephan Weil predigt fünf aktuelle Herausforderungen.

Stephan Weil ist amtierender Ministerpräsident von Niedersachsen und ehemaliger Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Hannover. Bevor der 61-jährige studierte Jurist in die Politik ging, arbeitete er als Amtsrichter. Er wirkt ehrlich und bodenständig. Wie ein Mann, der zu seinem Wort steht. Trotzdem klingt seine Rede, die er am 27. Februar im Auditorium der Leuphana-Universität gehalten hat, zu politisch. Zu einstudiert. Allzu gerne bezieht er sich auf Volkswagen. Kein Wunder: Weil ist als Ministerpräsident im Aufsichtsrat des größten Automobilherstellers der Welt, hat also einen direkten Bezug. An anderer Stelle betonte er bereits, es gebe keinen Interessenkonflikt. Typisch Politiker halt.

OK, Boomer

Seine Rede ist gut strukturiert. Es geht um die fünf Ds: Dimension der Globalisierung, Digitalisierung, Demografie, Demokratie und Dekarbonisierung. Das erste große D sei etwas geschummelt, gibt der Ministerpräsident zu. Ansonsten gibt es an dem, was er sagt, aber nichts auszusetzen. Die Welt rücke in Ballungszentren zusammen. Nicht nur vom nahen Osten in den friedlichen Westen, sondern auch innerdeutsch vom Land in die Stadt. Außerdem verbreite sich nicht nur der Coronavirus durch globale Vernetzung auf der Welt. Auch die Digitalisierung schreite mit immensem Tempo voran und sorge für nie gekannte, rasante wirtschaftliche Umschwünge. Um die Herausforderungen der Zukunft bewältigen zu können, brauche es eine Wissensgesellschaft.

Diese Gesellschaft wird sich auch mit dem nationalen Problemkind „Pflege“ auseinandersetzen müssen, mahnt Weil. Die Generation des Herrn Ministerpräsidenten, die der Baby-Boomer, sei selbst nicht besonders fortpflanzungsbegeistert gewesen und sorge damit für ein Dilemma. Während die alte Generation den wohlverdienten Ruhestand genießen möchte, will die junge Generation, verständlicherweise, nicht nur für den Ruhestand der alten Generation schuften. Damit trifft er das Kernproblem der Klimakrise: Die Alten ziehen sich aus der Verantwortung und überlassen den Jungen den Scherbenhaufen.

„Ich sage das nicht gerne, aber das ist so.“

Der dadurch entstehende Frust ist deutlich zu spüren, nicht nur in den Fragen und Vorwürfen der anwesenden Studierenden. „Skolstrejk för klimatet” wird zum Leitspruch einer Generation und Ausdruck von Enttäuschung und Frust. Die Jugend verzichtet auf Bildung, um freitags Möchtegern-Frührentnern zu zeigen, dass sie großen Mist gebaut haben und sich nicht aus der Verantwortung ziehen können. „Menschen meiner Generation müssen akzeptieren, wenn Menschen ihrer Generation klipp und klar feststellen: Ihr habt diese Aufgabe bis jetzt schlecht gelöst. [...] Das lässt sich nicht bestreiten. Ich sag das nicht gerne, aber das ist so”, gesteht Stephan Weil den Studierenden. Wahrscheinlich nicht beabsichtigt, drückt er mit diesen Worten doch eigentlich aus, dass die gegenwärtige Politik nicht in der Lage ist, der Klimakrise Frau oder Herr zu werden.

Wie wäre es mit ‘tschuldigung!?

“Was steht unserer Generation bevor?” Mit dieser Frage eröffnet Jasper Strunk die Podiumsdiskussion und schafft dem Frust der Studierenden so eine Bühne. Laut einer im letzten April veröffentlichten Studie des European Union Institute for Security Studies (EUISS) seien 1,5 Grad der maximale Temperaturanstieg, den die Welt vertragen könne. Sollte die Temperatur nach 2030 weiter ansteigen, erlebten wir im schlimmsten Fall das Aussterben der Menschheit. Prognostiziert wurde aber bereits ein Anstieg von drei bis vier Grad. Darum Jaspers Frage an Stephan Weil:

Wie kann das funktionieren? Wie lange soll das sozial funktionieren, dass eine Generation mit dieser Aussicht lebt und nicht komplett durchdreht?

Auf die Frage, ob denn vor 20 Jahren die Kinder oder doch vielleicht die Politiker mal hätten anfangen sollen, antwortet der Ministerpräsident, “Die Frage ist berechtigt, aber was soll ich dazu sagen?” Aus dem Publikum ruft jemand: „‘Tschuldigung!?”

Dass die letzten 30 Jahre zu behäbig und ohne Ziel angegangen wurden, ließe sich nicht bestreiten. Zu fragen, was das hätte ändern können, sei müßig. Wichtiger ist doch jetzt aktiv zu werden und den Fokus zu schärfen.

Die wichtigste Frage des Abends

Als dann ein Student im Publikum das Wurfmikrofon fängt, fragt er ganz direkt die wichtigste Frage des Abends: „Wie will die aktuelle Regierung eine positive Vision der Zukunft umsetzen?”

Der Ministerpräsident ist vorbereitet, die Antwort jedoch wieder zu politisch und wenig konkret. Der Umbauprozess sei zu spät angegangen worden und müsse auf wenige Jahre gekürzt werden. Dabei blieben die Wünsche der Gesellschaft auf der Strecke. Knallharte Umweltziele könnten laut Weil nun einmal nicht kurzfristig und zwanghaft umgesetzt werden. Nicht einmal in einer umweltbewussten Diktatur, falls es so etwas überhaupt gibt.

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