Gewinnbringende Solidarität

28.02.2020 Sollte es sich für Kommunen mehr lohnen, Geflüchtete aufzunehmen? Prof. Dr. Gesine Schwan stellte bei der Leuphana Konferenzwoche ihre Antwort auf die Europäische Flüchtlingspolitik vor.

Gesine Schwan geht mit der EU und Bundesregierung hart ins Gericht: Die jetzige Flüchtlingspolitik stehe im Widerspruch zu den eigenen proklamierten Werten. „Das ist keine Nebensache. Diese Politik hat dazu geführt, dass Nord und Süd in Misstrauen zueinander geraten sind. Die nördlichen Länder haben die südlichen schmählich im Stich gelassen“, sagt die Politikwissenschaftlerin und Mitglied des Stiftungsrats der Leuphana. Sie plädiert deshalb dafür, die freiwillige Aufnahme von Geflüchteten mit Anreizen zu versehen. Innerhalb des Konzepts können sich Kommunen bei einem Europäischen Integrations- und Entwicklungsfonds um Gelder bewerben, die abhängig von der Anzahl der aufgenommenen Menschen sind. Die gleiche Summe soll zusätzlich noch einmal in die eigene Entwicklung der Kommune fließen. „Gerechtigkeit gilt nicht nur für Geflüchtete, sondern auch für diejenigen, die vor Ort schon länger kein Haus oder keine Wohnung gefunden haben“, sagt Gesine Schwan. Um einen demokratischen Konsens zu finden, sollten politische und zivilgesellschaftliche Kräfte gemeinsam über die Aufnahme von Menschen entscheiden. „Damit werden auch den Rechten die Argumente entzogen“, sagt die SPD-Politikerin.
 
100 Geflüchtete mehr aufgenommen

Beispielhaft nannte sie die Gemeinde Altena in NRW. Der dortige CDU-Bürgermeister hatte 2015 rund 100 Geflüchtete mehr aufgenommen als vom Verteilungsschlüssel vorgesehen war. Die Einwohnerzahl in der sauerländischen Kleinstadt schrumpfte, die Infrastruktur wurde teuer. Fachkräfte fehlten. Jetzt beleben Menschen aus aller Welt das Stadtbild: „Der Bürgermeister hat mit Unternehmen und Zivilgesellschaft gesprochen. Natürlich musste er diskutieren, aber das ist mit Erfolg geschehen.“

Bei der Konferenzwoche debattierte Gesine Schwan mit der Islamwissenschaftlerin Lamya Kaddor, dem Aktivisten Simeon Leisch von „Watch the Med Alarm Phone“ und Eckard Pols. Der CDU-Abgeordnete blickte positiv auf die Integrationsbereitschaft der Deutschen: „Vieles, was Frau Schwan in ihrem Papier fordert, wird hier schon gelebt.“
 
Das Podium sprach aber auch über die Gefahr des Rassismus. „Es gibt einen rassistischen Bodensatz in unserer Gesellschaft“, sagt Leisch. Seine Organisation ist gegen Grenzen und Gesine Schwan glaubt nicht, dass ihr Konzept für einen Pull-Effekt sorgen würde: „Die meisten Menschen möchten nahe ihrer Heimat bleiben. Nur 5 % der Menschen, die auf der Flucht sind, möchten überhaupt nach Europa.“ Lamya Kaddor ergänzte: „Wenn wir uns nicht öffnen, sind wir nicht globalisierungsfähig.“

Während der Konferenzwoche stellt die Leuphana ihren Erstsemesterstudierenden Gesprächspartner aus Politik, Wissenschaft und Wirtschaft zu Verfügung. Am heutigen Freitag wird Vizekanzler und Finanzminister Olaf Scholz im Auditorium zu Gast sein. 

©Patrizia Jaeger
Prof. Dr. Gesine Schwan stellte bei der Leuphana Konferenzwoche ihre Antwort auf die Europäische Flüchtlingspolitik vor.

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