Startwoche 2021: Helmut Walser Smith – „A Living Concept of Fatherland”

15.10.2021 Der US-amerikanischer Historiker und Professor für Geschichte an der Vanderbilt University Helmut Walser Smith diskutierte am fünften Tag der Leuphana Startwoche 2021 mit Leuphana Politologen Michael Koß zum Thema „A Living Concept of Fatherland“. Walser Smith appellierte an die rund 1400 Erstsemesterstudierenden: „Es ist ein Fehler, Menschen, die Hass mobilisieren, den Deckmantel des Patriotismus zu überlassen.”

Leuphana Politologe Michael Koß diskutiert mit dem Historiker Helmut Walser Smith bei der Startwoche 2021. ©Jannik Sander
Leuphana Politologe Michael Koß diskutiert mit dem Historiker Helmut Walser Smith bei der Startwoche 2021.

„Wie sich junge Menschen mit Deutschland identifizierten, bewegte mich“, erinnert sich Helmut Walser Smith an die WM 2006 in Deutschland. Er empfand den neuen Nationalstolz der Deutschen als positiv. In seinem Vortrag zitierte Walser Smith den Politikwissenschaftler Dolf Sternberger: „Fatherland is a living and not a deathly concept.” „Die Nation ist eine ältere Idee als der Nationalismus,” denn erst die Nationalsozialisten propagierten in Deutschland einen „tödlichen Vaterlandsbegriff“, der zum Genozid führte. Wieso lassen wir das Konzept der Nation nicht einfach fallen und werden Weltbürger*in? Walser Smith ist dagegen. Er argumentiert für das Fortbestehen der Nation auch nach dem Untergang des Nationalismus, denn niemand könne ohne geschichtliche Identität leben. „Warum sollte eine Identität nicht auf rücksichtsloser Ehrlichkeit beruhen?“ Identität dürfe auch die dunkelste Seite der Geschichte aufnehmen. Patriotismus und zugleich Weltbürger*in sein schließt sich für ihn nicht aus. Walser Smith appelliert zum Ende seines Vortrages: „Ein guter Patriot erinnert uns daran, dass wir auch Weltbürger sind und sein können, und jede neue Vereinbarung, jeder Wandel sollte mit der Erkenntnis beginnen, dass wir beides tun können.”

“Glauben Sie nicht, dass diejenigen, die den tödlichen Nationalismus propagieren, besser in der Lage sind, politisch zu mobilisieren?”, fragt der Leuphana Politologe Michael Koß in der anschließenden Diskussion. Denn aktuell sind Gefährder*innen der Demokratie in Deutschland trotz deutlicher Minderheit lauter. „Hass ist leichter zu mobilisieren als Liebe. Wir sträuben uns, die Liebe zu mobilisieren. Es ist ein Fehler, Menschen, die Hass mobilisieren, den Deckmantel des Patriotismus zu überlassen”, antwortet Walser Smith.

„Wann immer es einen externen oder internen Schock gibt,“ wendet Koß ein, „tritt die Fähigkeit zur Mobilisierung auf und kann genutzt werden.” So brachte etwa der exogene Schock der sogenannten Flüchtlingskrise die rechtspopulistische Partei AfD in den deutschen Bundestag. Walser Smith sieht das nicht so: „Die Migrationskrise hat die Deutschen nicht in die Arbeitslosigkeit getrieben.” Die sogenannte Flüchtlingskrise sei laut Walser Smith eine „fabrizierte Krise“ und nicht beispielsweise mit der Krise gegen Ende der Weimarer Republik zu vergleichen, die den Machtgewinn der NSDAP beförderte. „Deutschland war 2016 bemerkenswert, weil es so viele Flüchtlinge aufgenommen hat und weil so viele Menschen die Ärmel hochgekrempelt haben und den Menschen geholfen haben. Und das ist, was ich mit ‘The Concept of a Living Fatherland’ meine.” Koß zweifelt jedoch: „Nur weil es uns besser geht, heißt das nicht, dass es uns tatsächlich besser geht” – da Krisen nun mal von subjektiven Wahrnehmungen der Bürger*innen abhingen. „Ich habe viel Vertrauen. Ich bin optimistisch, was die aktuelle Wahl in Deutschland angeht. Es würde mich überraschen, dass wenn sich der ganze Staub gelegt hat, die Antwort nur noch aus Nationalismus besteht“, versichert Walser Smith. Abschließend konkludiert Moderator Michael Koß: „Der New Deal ist bereits da: Er ist ein neuer postnationaler Nationalismus.“

Hier finden Sie Vorträge von weiteren Redner*innen bei der Startwoche 2021. Darunter Claudia Kemfert, Honorarprofessorin an der Leuphana und Leiterin des Bereichs Energie, Transport und Umwelt beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung; Francesca Bria, Beraterin für digitale Strategie, Technologie und Informationspolitik und Grace Blakely, englischer Wirtschafts- und Politik Berater.