Berichte

Winter School „Wissenschaftliches Schreiben und Überarbeiten von Texten“ vom 8.-9.12. 2018 auf Djerba/Medenine

 

Gesamt 28 Teilnehmer*innen (BA-Studierende im dritten Jahr aus Medenine, Masterstudierende im zweiten Jahr von der Universität Manouba, Promovierende von unterschiedlichen Universitäten), einschließlich der tunesischen Projektmitarbeiter*innen sind 5 tunesische Deutschdozent*innen unter den Teilnehmer*innen. Ort: Hotel Jerba Sun Club

8.12.2018 Samstag Vormittag 
„Schreiben ist Teilwerden eines Gespräches, das über viele Jahrhunderte währt und sich über die ganze Welt erstreckt“
Schreibworkshop mit geschlechtertheoretischem Beispiel, Gesche Keding (Lüneburg)

In einer Vorstellungsrunde, in der alle Teilnehmer*innen ihren Namen, ihr Gebiet in der Germanistik, den Stand Ihrer Abschlussarbeit vorstellten, ging es abschließend darum, den Satz zu ergänzen „Schreiben ist für mich...“. Unter anderem wurden die folgenden Ergänzungen genannt: ... Leidenschaft; Gelegenheit, mein Niveau zu verbessern; eine Notwendigkeit; mein Leben; die Möglichkeit zum Sichtbarwerden; ein großer Raum zum Wohlfühlen; sehr, sehr schwer; Kafka; neue Gedanken und neue Entdeckungen; ein Mittel, mich zu entwickeln; Entspannung; wichtig; der Spiegel der Kultur; Widerstand gegen Ungerechtigkeit und Mittel gegen die Melancholie; eine Weise, meine Gedanken zu ordnen; Erlebtes zu verarbeiten;  mich mit anderen zu verbinden; die Möglichkeit, Wissen zu schaffen; ein mühseliger Prozess und wenn gut vorbereitet, eine Freude; eindeutig eine Qual.

In der ersten Einheit ging es um die Wichtigkeit der klaren inhaltlichen Ausrichtung und um Möglichkeiten, den eigenen Standpunkt zu einem Text zu formulieren.
Nach grundsätzlichen Überlegungen zu den Vorteilen einer klaren inhaltlichen Ausrichtung (Thema finden, Begrenzung des Umfangs, leichtere Recherche, leichtere Festlegung und Abwandlung der Struktur, interessant für andere, mehr Spaß) und zur Frage, wie man ein Thema findet (Interesse, Vorwissen, Ungereimtheiten in einem Text - „Man muss lernen zu stolpern und seine Wahrnehmung schärfen“-, Ungereimtheiten zwischen Texten, Dozent*in) wurden vor allem praktische Übungen durchgeführt.

Zuerst wurde eine Seite eines exemplarisch ausgewählten Textes  gelesen (Hark/Villa über Beauvoir), und nach fünf Minuten der Diskussion in Dreiergruppen gab es einen Austausch im Plenum: Was ist der Standpunkt des Textes, was fällt mir auf? Dabei wurde die Wichtigkeit der Formulierung „Der Text stellt dar, dass...“ deutlich: Es ist nicht immer klar, dass es hier um ein Sprechen über den Text geht und nicht über Tatsachen.
Darauf folgte eine weitere Einzelarbeit mit Austausch im Plenum: Was könnte mein eigener Gesprächsbeitrag sein? Was könnte man fragen, was könnte man (noch nicht ich) anders sehen? Was würde ich den Autorinnen entgegenhalten? Was könnte eine Hausarbeit thematisieren?
Deutlich wurde dabei, dass Fragen immer im Austausch mit anderen entstehen. Die Rolle von Dialogen und Gesprächen führte dazu, dass die TN explizit ermutigt wurden, immer wieder Gespräche zu initiieren.
Durch die Wahl des Beispieltexts wurden zugleich zahlreiche inhaltliche Aspekte zur Geschlechterkonstruktion thematisiert und diskutiert.

Kurz wurden zum Abschluss des Vormittags einige hilfreiche Methoden thematisiert: Arbeiten mit Mind Maps, der „Zettelkasten“ und die wichtige Rolle von Notizen, ein Beispiel eines nützlichen Zeitplans, die lineare Arbeitsgliederung zur Bearbeitung der inhaltlichen Struktur, Regieanweisungen, Rohtexte, Überarbeitungen.

8.12.2018 Samstag Nachmittag
»BERLIN IM FILM« 
Filmvorführungen (Ausschnitte) mit Schreibatelier, Dr. Hermann Harder (Paris/Mainz): Landeskunde und Schreibförderung

In den drei ausgewählten Filmen ist Berlin nicht bloß der Hintergrund von Filmerzählungen, sondern die ehemalige und heutige deutsche Hauptstadt steht als Hauptdarstellerin  im Vordergrund. Alle drei Spielfilme haben einen dokumentarischen Charakter und zeigen die Entwicklung der Stadt seit Ende des 2. Weltkriegs an drei historischen Wendepunkten:  am Anfang 1946, in der Mitte 1986, 3 Jahre vor dem Fall der Berliner Mauer, und 2012, Berlin als die pulsierende moderne Metropole und seit 2000 neue Hauptstadt.
Im Workshop wurden jeweils  15 Minuten Filmausschnitt gezeigt, dann folgten jeweils 15 Minuten mündlicher Austausch zur Rekonstruktion im Plenum: Was haben Sie gesehen?, und schließlich jeweils 15 Minuten Schreiben eines Protokolls in Zweiergruppen (immer satzweise im Wechsel). 

(A) 1946 »Allemagne, année zéro« von Roberto Rossellini: Ein 12jähriger Junge, Edmund, irrt durch die zerstörte, verelendete Stadt, wo er ebenso verelendeten Menschen begegnet. Sein Vater liegt krank im Bett, sein Bruder versteckt sich, weil ehemaliger Soldat, seine Schwester geht mit alliierten Soldaten tanzen. Edmund organisiert draußen in der Stadt das Überleben der Familie mit Hamstern und Schwarzhandel, auf der Suche nach Kohlen und Kartoffeln. In dem Ausschnitt bekommt Edmund von seinem ehemaligen Lehrer eine Schallplatte, die er alliierten Soldaten in der Ruine von Hitlers monumentaler Reichskanzlei zum Kauf anbieten soll.
(B) 1986 »Der Himmel über Berlin« von Wim Wenders, einem der Gründungsväter des Neuen Deutschen Films in der 1970er Jahren. Nach Karriere in den USA kehrt er Mitte der 1980er Jahre nach Berlin zurück. Dort entsteht dieser märchenhaft-poetische und zugleich hoch realistische Berlin-Film. Zwei schlecht gekleidete Männer schlendern durch das graue, durch eine Mauer geteilte Berlin und beobachten Stadt und Bewohner  von der Erde, aber auch vom Himmel aus, denn sie sind Engel, die alles sehen und hören, für die anderen Menschen aber unsichtbar bleiben.  
(C) 2012 »Oh Boy«, ein sw-Film von Jan-Ole Gerster, geb. 1978, Absolvent der Berliner Filmakademie. Nico, etwas über 25 Jahre alt, flaniert 24 Stunden ziellos durch das neue Berlin, geht in Cafés und Kneipen, trifft auf ähnlich orientierungslose Menschen. Ein Bummler, ein Arbeitsscheuer, ein Gammler, vielleicht ein Lebenskünstler? Eine story gibt es eigentlich nicht; der Film, halb poetisch, halb dokumentarisch, zeigt einen jungen Erwachsenen, der durch das heutige Berlin streift, das er zu seinem »Paradies« macht, auf der Suche nach einer guten Tasse Kaffee. Die entstandenen Texte wurden abends mit einem Wörterbuch  überarbeitet, um am nächsten Vormittag gemeinsam kritisiert und korrigiert zu werden.

9.12.2018 Sonntag Vormittag: Workshop „Rewriting“
Nach einem fröhlichen Abend der Begegnung der Teilnehmer*innengruppe aus Tunis und Medenine und einer kurzen Nacht begann der Sonntag mit einem landeskundlichen Impulsvortrag von Hermann Harder über die politische Situation in Deutschland nach 1945, vor allem zur 4. Genfer Konferenz 1954/55 und der Politik Adenauers, mit Rollenspielelementen zum Gespräch zwischen dem deutschen Botschafter Hans von Herwarth und Sir Ivone Kirkpatrick.
Die anschließende Schreibaufgabe bestand darin, ein Protokoll aus der Perspektive Sir Ivons anzufertigen, beginnend mit dem Satz „Der deutsche Botschafter sagte mir, ...“.
Die Protokolle wurden in Kleingruppen bearbeitet und korrigiert. 
In einem dritten Schritt wurden mitgebrachte Protokolle zu weiteren Themen mit landeskundlichem Bezug behandelt, u.a. zur RAF und dem Terrorismus in den 1970er Jahren. 
Dadurch, dass einschließlich der tunesischen Projektmitarbeiter*innen 5 tunesische Deutschdozent*innen unter den Teilnehmer*innen waren, diente die Winter School auch der Multiplikation zur Integration aktueller Schreibdidaktik in die germanistische Lehre

Im Ganzen kann die Winter School als sehr erfolgreich bewertet werden. Alle Teilnehmer*innen waren mit hoher Motivation dabei und beteiligten sich aktiv an allen Übungen und Einheiten. Es entstanden spannende Diskussionen und ein angeregter Austausch sowohl zwischen den Teilnehmer*innen untereinander, als auch mit den Dozent*innen.

Workshoptagung „Aktuelle Diskurse und Akteur*innen“ vom 18.-20. Juli in Lüneburg

Die fünfte Arbeitstagung des Projekts nahm unterschiedliche Akteur*innen in den Blick, die derzeit Geschlechterverhältnisse und -begriffe im (postrevolutionären) Tunesien sowie darüber hinaus verhandeln. Darunter fielen vor allem kulturelle/künstlerische, staatlich-juristische, sowie zivilgesellschaftliche Organisationen bzw. Institutionen und Initiativen.

Der erste Tagungstag versammelte künstlerisch-philosophische Perspektiven. Nina Glaab präsentierte im Vortrag  "Vom Träumen der Kunst im postrevolutionären Tunesien: Das Dream City Festival zwischen Utopie und Wirklichkeit" aktuelle Forschungsergebnisse ihrer Masterarbeit. Das, seit 2007, in Tunis stattfindende Festival „Dream City“ stellt Künstler*innen die Leitfrage „Was erträumt ihr euch vom zukünftigen Tunesien?“ und organisiert sich selbst u.a. als mehrmonatige Künstler*innenresidenz in der Medina von Tunis. Weitere Bestandteile des Festivals sind alternative Stadtrundgänge und partizipative öffentliche Installationen wie „Barbed Gate et Cabinet des Frontieres“ von Nidhal Chamekh (2017), bei der Bewohner*innen Gegenstände ausstellen konnten, die sie mit (geopolitischen) Grenzen verbinden. Nina Glaab untersucht die Verortung des Festivals zwischen Utopie und Heterotopie mit Ernst Bloch und Michel Foucault. Fragen des Projekts und der Forschungsgruppe sind u.a.: Welche Rolle spielt die Medina als Austragungsort? Wie wirken (staatliche) Förderstrukturen auf das Festival ein?

Im Anschluss präsentierte Malek Ouakaoui zum Thema „Le genre social au cinéma — entre spleen et idéal“ und Kaouther Karoui stellte ihren Beitrag „Mohammed Arkoun: A Critical Note on Islamic thought toward an Applied Islamology“ vor. Karoui bezog sich auf Arkoun als Vertreter der Feministischen Theorie und stellte zunächst biografische Bezüge zu seinem Werk her. So habe Arkoun Kolonialismus, Eurozentrismus und ökonomische Marginalisierung in doppelter Hinsicht erlebt: einerseits durch das französische Protektorat, andererseits als Indigener durch die Arab-Algerians selbst. Zweitens kontextualisierte Karoui Arkouns methodologischen Bezüge. Mit dessen Ansatz der „Applied Islamology“ und einem kulturwissenschaftlich-soziologischen Verständnis sei der Islam nicht nur als Religion zu begreifen, sondern Arkouns Ansatz fokussiere eine Interpretation des Islams als „living sacred tradition“. Karoui wies drittens auf Übersetzungsschwierigkeiten der von Arkoun eingeführten Begriffe (vom Französischen ins Englische) hin. Nicht zuletzt korrigierte sie die in der Forschung häufig konstatierte Referenz, Arkoun habe das Konzept der Epistemologie von Foucault übernommen. In der anschließenden Diskussion wurde die Rolle Arkouns als radikaler und kontroverser, zum Teil sogar geächteter in arabischen/französischen Universitäten Theoretiker vor dem Hintergrund problematisiert, dass Derrida und Foucault andererseits etabliert seien, obwohl sie sich zum Teil kaum auf tunesische/islamische (kulturelle) Interessen anwenden ließen.

Abends lud das Forschungsprojekt die interessierte Öffentlichkeit zur Kunst-Performance „Ouled Jellaba“ des Tänzers und Choreographen Roshdi Belgasmi in das Auditorium des Zentralgebäudes der Universität Lüneburg ein. 40 Zuschauer*innen nahmen an der Veranstaltung teil, bei der Belgasmi an eine tunesische Travestie-Tradition des frühen 20. Jahrhunderts erinnerte. Das Stück griff außerdem globale politische Ereignisse des 20. Jahrhunderts auf, u.a. Tunesien im Geflecht des zweiten Weltkriegs. Nach der einstündigen Performance gab es eine ausführliche Diskussion, in der sowohl die Lüneburger Öffentlichkeit, als auch Mitglieder der Forschungsgruppe Fragen an Belgasmi stellten und diskutierten.

Abends lud das Forschungsprojekt die interessierte Öffentlichkeit zur Kunst-Performance „Ouled Jellaba“ des Tänzers und Choreographen Roshdi Belgasmi in das Auditorium des Zentralgebäudes der Universität Lüneburg ein. 40 Zuschauer*innen nahmen an der Veranstaltung teil, bei der Belgasmi an eine tunesische Travestie-Tradition des frühen 20. Jahrhunderts erinnerte. Das Stück griff außerdem globale politische Ereignisse des 20. Jahrhunderts auf, u.a. Tunesien im Geflecht des zweiten Weltkriegs. Nach der einstündigen Performance gab es eine ausführliche Diskussion, in der sowohl die Lüneburger Öffentlichkeit, als auch Mitglieder der Forschungsgruppe Fragen an Belgasmi stellten und diskutierten.

Abends lud das Forschungsprojekt die interessierte Öffentlichkeit zur Kunst-Performance „Ouled Jellaba“ des Tänzers und Choreographen Roshdi Belgasmi in das Auditorium des Zentralgebäudes der Universität Lüneburg ein. 40 Zuschauer*innen nahmen an der Veranstaltung teil, bei der Belgasmi an eine tunesische Travestie-Tradition des frühen 20. Jahrhunderts erinnerte. Das Stück griff außerdem globale politische Ereignisse des 20. Jahrhunderts auf, u.a. Tunesien im Geflecht des zweiten Weltkriegs. Nach der einstündigen Performance gab es eine ausführliche Diskussion, in der sowohl die Lüneburger Öffentlichkeit, als auch Mitglieder der Forschungsgruppe Fragen an Belgasmi stellten und diskutierten.

Abends lud das Forschungsprojekt die interessierte Öffentlichkeit zur Kunst-Performance „Ouled Jellaba“ des Tänzers und Choreographen Roshdi Belgasmi in das Auditorium des Zentralgebäudes der Universität Lüneburg ein. 40 Zuschauer*innen nahmen an der Veranstaltung teil, bei der Belgasmi an eine tunesische Travestie-Tradition des frühen 20. Jahrhunderts erinnerte. Das Stück griff außerdem globale politische Ereignisse des 20. Jahrhunderts auf, u.a. Tunesien im Geflecht des zweiten Weltkriegs. Nach der einstündigen Performance gab es eine ausführliche Diskussion, in der sowohl die Lüneburger Öffentlichkeit, als auch Mitglieder der Forschungsgruppe Fragen an Belgasmi stellten und diskutierten.

Am zweiten Tagungstag standen philosophisch-theoretische Fragestellungen sowie diskurslinguistische Untersuchungen im Zentrum. Lotfi Mathlouthi präsentierte seine Arbeit  "La figure sexuée de l’Eros dans ‚Eros et civilisation’ de Herbert Marcuse" und Adel Mtimet  stellte seinen Vortrag „Démocratie, religion et égalité de genre en Tunisie d´aujourd´hui“ vor.

Nachmittags besichtigte die Forschungsgruppe in einem kurzen Rundgang das Frauenkloster Lüneburgs und setzte im Anschluss die Tagung in den Räumlichkeiten des Klosters fort. Dort präsentierte Raja Machfar ihren Vortrag „Geschlechterspezifische, verbale Aggressionen gegen intellektuelle Akteurinnen am Beispiel von Olfa Youssef“, indem sie aus einer linguistischen Perspektive die Beleidigungen von Frauen in der tunesischen Öffentlichkeit analysierte. Moez Maataoui stellte seine neuen Arbeitsansatz zu dem Thema „Amazon-Kundenrezensionen zum Dudenratgeber ‚Richtig gendern’. Eine diskurslingustische Analyse“ vor.

Der dritte Tagungstag fokussierte neuere politisch-kulturelle Entwicklungen in Tunesien.

Abir Tarssim sprach im Vortrag „Zur Aktualität der Reformvorschläge der Kommission für individuelle Freiheitsrechte und Gleichberechtigung“ über den im Juni veröffentlichten 230 seitenlangen Bericht der comission pour les libertés individuelle et de l´égalité (Colibe). Die Colibe wurde am 13. August 2017 durch den tunesischen Staatspräsident Beji Caid Essebsi einberufen, der Reformansätze 2015/16 noch als unnötig bezeichnet hatte (der Wandel erfolgt möglicherweise durch den Einfluss Saaida Garachmms, Sprecherin des Staatspräsidenten und zuvor seit 2015 dessen Hauptberaterin). Die Reformen beziehen sich unter anderem auf die Entkriminalisierung von Homosexualität durch die Abschaffung des Artikels 230 der tunesischen Verfassung, auf die Diskriminierung von Tunesierinnen durch strenge behördliche Auflagen bei Eheschließungen mit Nicht-Tunesiern, das Sorgerecht für Männer, die Weitergabe des Namens der Mutter zusätzlich zu dem des Vaters an Kinder, die Diskriminierung Andersgläubiger sowie Sanktionen für Diskriminierung und Angriffe auf diese im Strafgesetzbuch. Tarssim diskutierte dabei die Ansicht der Kommission, dass die individuellen Freiheitsrechte in keinem Widerspruch zum Islam stünden, erläuterte die Strategie der Kommission, Begrifflichkeiten der (geschlechtlichen) Gleichstellung in Medien alltäglich zu machen und ging nicht zuletzt auf die Rezeption des Berichts – von Befürwortungen seitens modernistisch-progressiver Akteur*innen bis hin zu Morddrohungen seitens konservativ-islamistischer Kräfte – ein.

Im Anschluss daran stellten die Mitglieder der 2013 gegründeten, tunesischen Gruppe Chouf, Alessia Ubaldini und Hedi Ben Azouz ihre queerfeministische Arbeit vor. Als ersten Eindruck präsentierten sie das Video „60 years of independence and our bodies are still colonized“, das als Erwiderung auf das 60jährige Jubiläum der tunesischen Unabhängigkeit (vom französischen Protektorat) entstand.  Weiterhin präsentierten sie Grundlegendes zu ihrer aktivistischen Arbeit, sowie das, jährlich in Tunis stattfindende, Chouftouhonna-Festival. Im Anschluss an ihrer Präsentation gab es Raum für Fragen und Diskussionen zu ihrer Arbeit.

Autorinnen: Katharina Alexi, Caja Fischer, Steffi Hobuß

Fotos: Leuphana/Patrizia Jäger

Summer school und Workshoptagung des Forschungsprojekts „Transformation – Kultur – Geschlecht“

Vom 4.-5. September 2017 fand die erste summer school des tunesisch-deutschen Forschungsprojekts „Transformation – Kultur – Geschlecht“ in Lüneburg statt.

Am ersten Tag stellten sechs Doktorand*innen und Masterstudierende aus Tunesien und Deutschland sowohl erste Ideen als auch fortgeschrittene Auszüge ihrer Arbeiten vor. Durch lebhafte und konstruktive Diskussionen konnten neue Inspirationen für die Projekte gesammelt, Fragen besprochen und Ideen ausgetauscht werden. Mitglieder der Forschungsgruppe nahmen ebenfalls teil und unterstützten die Teilnehmer*innen der summer school durch ihr Fachwissen. Die Diskussionen behandelten Fragen zu den Potenzialen eines islamischen Feminismus, Imen Taleb, M.A. gab aktuelle Einblicke in ihre literaturwissenschaftliche „Analyse der Geschlechterverhältnisse in Schukri El-Mabkhouts Debütroman „Ettalyani“ (Der Italiener)“ und das Forschungsprojekt von Nina Glaab, B.A.  analysiert „Träume der Kunst im postrevolutionären Tunesien“ am Beispiel des „Dream City Festivals“ in Tunis.

Der zweite Tag der summer school begann mit einer Schreibwerkstatt, dem „Kontroversenlabor“ von Dagmar Knorr, der Teamleiterin des Schreibzentrums/Writing Center an der Leuphana Universität Lüneburg. Im Labor wurde argumentatives wissenschaftliches Schreiben geübt und es gab Platz für viele Fragen rund um das Verfassen wissenschaftlicher Arbeiten.  Neben der Argumentationsstruktur wurde beispielweise auch die „Ich-Perspektive“ in wissenschaftlichen Texten diskutiert.

Insgesamt meldeten viele Teilnehmer*innen zurück, dass die angenehme Atmosphäre der niedrigschwelligen Veranstaltungen und die Möglichkeit zu interdisziplinären Diskussionen sie in ihren Projekten sehr unterstütze. Einige der Forschungsprojekte konnten intensiv weiterentwickelt werden, sei es durch das Sammeln neuer Ideen, das Sprechen über eventuelle Unsicherheiten oder den Gewinn neuer Perspektiven.

Im Anschluss an die summer School fand vom 6.-7. September die vierte Workshoptagung der Forschungsgruppe statt. Beide Tage wurden jeweils durch Vorträge der Projektkoordinator*innen aus Tunesien eröffnet. Dr. Moez Maataoui präsentierte seine Arbeit zu „Geschlechterkonstruktionen in Tunesien im Spiegel der der Verpackungstexte von Haushaltspflege-Produkten“ und Ina Khiari-Loch, M.A. analysierte den „Wandel des staatlichen Frauendiskurses in Tunesien am Beispiel der Zeitschrift „Revue du CREDIF“. Zudem präsentierte Katharina Alexi, M.A. ihr Forschungsprojekt zu Protestsongs im Zusammenhang mit der tunesischen Revolution und Dr. Martina Möller behandelte Feminismus und Dekolonialisierung auf der Grundlage von Soumeya Mestiris Thesen in „Décoloniser le Feminisme“.

Neben den Vorträgen organisierte das Projektteam während der Tagung die zweite öffentliche Filmvorführung 2017. In Kooperation mit dem Projekt „MitSprache ins Studium“ wurde am 6. September im Auditorium des neuen Zentralgebäudes der Leuphana Universität Lüneburg der Dokumentarfilm „Feminism Inshallah: A History of Arab Feminism“  (2014) von Feriel Ben Mahmoud gezeigt. 120 interessierte Zuschauer*innen besuchten die Veranstaltung. Martina Kamp von „MitSprache ins Studium“ gab eine Einführung, im Anschluss an den Film gab es zudem interessante Diskussionen, die auch durch das gemischte Publikum aus Lüneburger Öffentlichkeit, Student*innen und Teilnehmer*innen der zwei Projekte „MitSprache ins Studium“ und „Transformation- Kultur- Geschlecht“ bereichert wurde.

Zum Abschluss der Tagung hatten die Teilnehmer*innen die Möglichkeit, während eines Bücherworkshops ihre forschungsrelevante Literatur zu ergänzen und ins Gespräch zu kommen. Vielen Dank insbesondere an den Hausdienst der Leuphana Universität für die tatkräftige Unterstützung während der gesamten Konferenzwoche.

 Autorinnen: Caja Fischer, Katharina Alexi

Dritte Workshoptagung des Projekts vom 3.-5. April 2017 in Medenine/Djerba (Südtunesien)


Die Workshoptagung begann am Montag, dem 3. April 2017 mit der Fahrt von Djerba nach Medenine, dem Veranstaltungsort des ersten Konferenztages. Der Weg führte die Forschungsgruppe über den fast sieben Kilometer langen Römerdamm, der die Insel und das südtunesische Festland verbindet. Im Konferenzraum des Institut supérieur des sciences humaines de Medenine (ISSH, Uni Gabes) wurden die Teilnehmer*innen herzlich empfangen. Anschließend eröffneten der Institutsleiter Dr. Chokri Rhibi, die Projektkoordinatorin M.A. Ina Khiari-Loch sowie die DAAD-Projektleiterin Dr. Steffi Hobuß (Lüneburg) die Tagung mit einigen Grußworten.

Unter der Moderation von Dr. Steffi Hobuß schloss das erste literatur- und filmwissenschaftliche Panel von Prof. Dr. Sven Kramer (Lüneburg) und Dr. Malek Ouakaoui (ISSH Tunis) an. In seinem Vortrag „Tod in Ägypten. Geschlechterverhältnisse, Religion und Sprache im »Buch Franza« von Ingeborg Bachmann“ führte Kramer in das literarische Werk und Leben Bachmanns ein, insbesondere ihr „Todesarten“-Projekt und das Roman-Fragment „Das Buch Franza“. Er interpretierte Bachmanns literarische Verarbeitung patriarchaler Gewalt in Abgrenzung zu militärisch-kriegerischer Gewalt als „Todesarten der politischen Normalität“ und ging auch auf die Rolle des Suizids als Konsequenz männlicher Unterdrückung in Bachmanns Prosa ein.

Dr. Malek Oaukaoui analysierte in seinem Vortrag «Images des femmes dans le cinéma tunisien postrévolutionnaire» das Bild tunesischer Frauen im post-revolutionären Kino und stellte daran anknüpfend Fragen zu gesellschaftlichen und politischen Themen. Wie wirkt sich die tunesische Revolution heute noch aus? Gab es eine Revolution im Sinne der gesellschaftlichen Strukturen? Er zeigte, dass erwartete Veränderungen zum Teil nicht eingetreten und moralische Vorstellungen nicht weiterentwickelt worden sind. Besonders in Hinblick auf Fragen von Verschleierung, Identität und Heirat entstehe der Eindruck, dass Tradition immer noch wichtiger sei als Modernisierung, da diese mit Unsicherheit und Gefahr assoziiert würde.

Nach einer Mittagspause wurden in Dr. Bettina Bocks (Leipzig) Vortrag „'Köln' und die 'nordafrikanischen Männer' – eine diskurs- und argumentationsanalytische Untersuchung“ Debatten der Silvester-Ereignisse in Köln 2016 im Spiegel zweier politisch radikaler Zeitschriften analysiert. Moderiert von Dr. Moez Maataoui (FLAH Manouba) gab die diskurslinguistische Rekonstruktion kontextspezifischer Topoi Aufschluss über kollektive Denkweisen und Wissensproduktionen an der Schnittstelle von Rassismus- und Geschlechterforschung.

Majdi Chaouachi, M.A. (ISSH Jendouba) stellte anschließend in seinem Vortrag «Le comportement énonciatif du discours de presse au sujet de la femme» vorläufige Ergebnisse seiner Analyse von über 80 Presseartikeln vor. Er formulierte die These, dass Frauen im Kampf gegen den Salafismus symbolisch benutzt werden. In der Wahrnehmung radikaler Bewegungen würden sie dethematisiert, mit der Begründung, dass Frauen zu solchen Taten bzw. Grausamkeiten nicht in der Lage wären. Dabei ist auffällig, dass männliche Journalisten in Artikeln Neutralität vermeiden und Frauen dort eher objektifizieren, während in Artikeln von weiblichen Journalistinnen Tunesien spezifisches Thema ist und Frauen als Subjekte behandelt werden.

 

Der zweite Tagungstag (4.4.2017) fand in den Konferenzräumlichkeiten des Hotels Le Grand Bleu auf Djerba statt. Nachdem der erste Tag der Öffentlichkeit zugänglich war, fand dieses Zusammentreffen als internes Treffen der Forschungsgruppe statt. Dies ermöglichte vor allem den Doktorand*innen, ihre Dissertationsprojekte in einem niedrigschwelligen Format zu präsentieren und Feedback zu erhalten. Franziska Dübgen, M.A. (Uni Kassel) leitete das erste Panel ein, dem drei Kurzpräsentationen zugeordnet waren. Zunächst stellte Abir Tarssim, M.A. (FLAH Manouba) ihren Vortrag „Genderspezifische Förderung in Tunesien durch deutsche politische Stiftungen“ vor.  Nach einer historisch-politischen Einführung über die Pflicht zu Gender-Mainstreaming-Maßnahmen für UN-Staaten, die 1995 auf der Vierten UN-Weltfrauenkonferenz in Peking beschlossen wurde, beleuchtete der Beitrag die Förderschwerpunkte sechs deutscher Stiftungen in Tunesien. Als Ergebnis der Analysen formulierte Tarssim aktuelle intersektionale Fragestellungen wie: Werden die Probleme von Gender-Minderheiten bei der Förderung berücksichtigt? Inwieweit können sie und Frauen außerhalb städtischer Zentren an Programmen oder Veranstaltungen überhaupt partizipieren?

Den zweiten Vortrag dieses Tages präsentierte Imke Horstmannshoff, M.A. (Lüneburg) zum Thema „Performative Demokratie und Geschlecht in Tunesien“. Ausgehend vonElzbieta Matynias Begriff der „Performative Democracy“ (2009) untersuchte Horstmannshoff die gewaltlosen Proteste türkischer und tunesischer Akteur*innen als demokratiefördernde Prozesse. Sie ging auf die Bedeutsamkeit von Humor und kreativen Utopien ebenso ein wie auf Resignifizierungsstrategien, die sich in der Türkei etwa im Neologismus „Çapuling“ (sinngemäß: Plünderer, Penner) als Akt der performativen Aneignung äußerten.

Abschließend behandelte Kaouther Karoui, M.A. (Kassel) in ihrem Vortrag „Modernity and Women Rights: Fear and Freedom. Crisis and Violence between Women and the Religious Authorities“ die Kämpfe moderner Frauenrechtsbewegungen gegen religiöse Autoritäten. Sie machte darauf aufmerksam, dass fundamentalistische Diskurse mit der tunesischen Revolution nicht obsolet geworden sind. Als wesentliche theoretische Grundlage des Beitrags dienten die Analysen der marokkanischen Soziologin und feministischen Autorin Fatimah Mernissi, die den Band „Geschlecht, Ideologie, Islam“ (1987) verfasst und zu Lebensrealitäten in Harems publiziert hat.

Weiter präsentierte Dr. Lotfi Mathlouthi (FLAH Manouba) seine Arbeit zu «Égalité et différence : une réflexion philosophique sur la question de l’égalité des sexes». Ausgehend von Aristoteles bis hin zu Voltaires Candide beschäftigt er sich mit den Vorstellungen zu Differenz, um die Idee der Gleichheit zu nachzuzeichnen. Dabei bezog er sich nicht nur auf die Gleichberechtigung der Geschlechter, sondern erinnerte an Montesquieu und daran, dass „Gleichheit die Seele der Demokratie ist“.

Am Nachmittag gab Imen Taleb, M.A. (Tunis/Lüneburg) im zweitenliteratur- und medienwissenschaftlichen Panel unter der Moderation von Prof. Dr. Sven Kramer Einblick in ihr Dissertationsprojekt und präsentierte den Vortrag „Geschlechterverhältnisse in Schukri El-Mabkhouts Debütroman „Ettalyani (Der Italiener)“.  Darin ging sie besonders auf die Stellung des Regimes Bourguibas im analysierten Roman ein sowie auf emanzipatorische und stereotype Figurationen von Weiblichkeit im literarischen Narrativ.

Lina Brink, M.A. (Tübingen) behandelte im Anschluss die „Globale Sichtbarkeit und Anerkennung protestierender Frauen: Die deutsche Berichterstattung über Femen-Aktionen in Tunesien“ und stellte zunächst einen Bruch mit orientalisierenden Darstellungen fest, problematisierte aber auch ein „Gebot der Sichtbarkeit“. Der Vortrag identifizierte zentrale Diskursereignisse, stellte Schwerpunkte in der deutschsprachigen Berichterstattung heraus und ergab, dass eine vermehrte globale Sichtbarkeit von Protest-Akteur*innen in Tunesien nicht zwangsläufig mit deren Anerkennung einhergeht.

Nach der Mittagspause folgte der letzte Vortrag des zweiten Tages der Tagung mit dem Titel „Der Kampf um Gender-Gleichheit in Tunesien: Vom Rechtslobbyismus zur radikalen Demokratie?“ von Nabila Abbas, M.A. (Gießen/Paris). Der Beitraggab Einblicke in Abbas’ Dissertationsprojekt, in dem sie Frauenrechtsaktivist*innen in Tunesien zu ihrem Verhältnis zum Staatsfeminismus befragt. Die Ergebnisse dieser Präsentation waren unter anderem, dass autoritätskritische Perspektiven auch nach der Verfassungsgebung 2014 weiter an Zulauf gewinnen.

Beendet wurde die Workshoptagung mit einer abschließenden Besprechung zu den weiteren Vorhaben des Projektes für die zweite Jahreshälfte 2017. Im Mittelpunkt stand vor allem die Ankündigung und Organisation der Publikationskonzepte. Außerdem wurde die Zeit für eine Reflexion der Workshoptagung genutzt und es gab Raum für ein Feedback seitens der Teilnehmer*innen.

Am 5. April 2017, dem letzten Tag der Workshoptagung, mündete das Zusammentreffen in einer thematischen Exkursion, bei der die Gruppe die Region um Tataouine besichtigte. Stationen waren unter anderem eine Besichtigung des Amazigh-Dorfes Ksar Hallouf und der Besuch eines Frauenvereins in Beni Khedache, der unverheiratete Frauen beim Mieten eines Ateliers und beim Verkauf von Webwaren, Lederarbeiten und Schmuck unterstützt. Der Ausflug verband geopolitische wie auch kulturhistorische Stätten miteinander und thematisierte gleichzeitig die ökonomische Entwicklung dieser Region. Für die gelungene Organisation dieser spannenden kulturwissenschaftlichen Exkursion, die ermöglichten Einblicke und einen wunderbaren Tagungsabschluss danken wir insbesondere Ina Khiari-Loch und ihrem Team sowie Moez Maataoui sehr herzlich!

 

Mai 2017, Autorinnen: Katharina Alexi, Caja Fischer, Alina Steinborn