Inhalte Maßnahmen Ziele

Die Erforschung des Themas Geschlecht und Gender in Tunesien widmet sich einer höchst aktuellen Themenstellung hinsichtlich der politischen, sozioökonomischen und wirtschaftlichen Entwicklung und weiteren Demokratisierung Tunesiens.
Während durch deutsche und europäische Medien häufig pauschalisierende Meinungen über die Geschlechterverhältnisse in den arabischen Ländern (re)produziert werden, ist die Realität wesentlich komplexer. In Tunesien spielten die Emanzipation der Frauen und die Berufung auf Geschlechtergerechtigkeit im Rahmen der Modernisierungsdiskurse seit der Unabhängigkeit eine besondere Rolle. Im Sinne eines „Staatsfeminismus“ wurde dem Thema der Frauenrechte besondere staatliche Aufmerksamkeit zuteil, ohne dass es aber um die grundlegende Änderung der Geschlechterverhältnisse ging. Sowohl im Ausland als auch im Inland ist trotzdem die Reklamation der Emanzipation der Frauen als Merkmal eines modernen und weltoffenen Staates wahrgenommen worden, der sich gegen die Einflüsse von Islamismus und Fundamentalismus stark macht. Die staatliche Monopolisierung des Frauenrechtsdiskurses wie viele der Berufungen auf Modernität und Demokratie waren aber auch eine Maskerade, die einerseits zivilgesellschaftliches Engagement abwertete und unsichtbar machte und andererseits Unrecht, Gewalt und Menschenrechtsverstöße überdeckte. Islamistische Kräfte gewinnen dadurch Sprechpositionen, dass sie besonders unter der Diktatur gelitten haben. Daher ist es in Tunesien nicht mehr ohne weiteres möglich, sich affirmativ und ohne historisches Bewusstsein auf die Frauenrechte und Geschlechtergerechtigkeit zu berufen.

Die Analyse dieser komplexen Lage soll für das Thema sensibilisieren, eine Reflektion der einstigen und aktuellen politischen Strategien ermöglichen und untersuchen, wo sich zwischen den Extremen des Staatsfeminismus und der Unterdrückung von Frauen auch für Minoritäten gangbare andere Wege eröffnen.

Dabei werden Transformationen in mehrfacher Hinsicht in den Blick genommen:

1. Die gesellschaftlichen Transformationsprozesse stellen den Ausgangspunkt des Projekts dar.

2. Die Transformationen der Geschlechterverhältnisse in der Geschichte Tunesiens sollen über die Unabhängigkeit und die Phasen der Diktatur, die Revolution 2011 und den Verfassungsprozess bis zur Gegenwart analysiert werden.

3. Auf philosophisch-begrifflicher Ebene werden Transformationen des Feminismus und der Geschlechterbegriffe von einem Denken der Differenz und Politik der Repräsentation hin zu neueren dekonstruktiven Gendertheorien erforscht.

Damit bildet der Zusammenhang von Transformation und Geschlecht den Fokus des Projekts, und es kann z.B. gefragt werden, welch ein postkolonialer Feminismus und/oder Genderbegriff inklusive der Repräsentation von LGBT-Gruppen für Tunesien ein adäquates Modell wäre.

Auch vergleichende Perspektiven auf/aus Deutschland werden mit einbezogen: Eine Kooperation zum Thema „Transformation – Kultur – Geschlecht“ bietet sich besonders zwischen einem arabischen Land wie Tunesien und Deutschland an, da über den Vergleich mit den autoritären Staaten der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert und besonders mit den Geschlechterverhältnissen in der DDR mit ihren Berufungen auf Modernisierung (sozialistischer Feminismus, Doppelbelastung Mutter/Arbeiterin, Wandel nach der Wende) eine reflektierte Bearbeitung der tunesischen Erfahrungen mit dem Zusammenhang von Transformation, Kultur und Geschlecht unter den Regimen Bouguibas und Ben Alis sowie während und nach der Revolution von 2011 erleichtert wird.

Das Forschungsthema „Transformation – Kultur – Geschlecht“ soll organisatorisch auf drei Ebenen verfolgt werden, sodass sich drei übergeordnete Projektziele ergeben.

Projektziele

  • Aufbau einer tunesisch-deutschen Nachwuchsforschungsgruppe
  • Bibliotheksausstattung
  • Modernisierung und Unterstützung der tunesischen Hochschulen in Forschung und Lehre

Projektziele

Aufbau einer tunesisch-deutschen Nachwuchsforschungsgruppe

Im Mit­tel­punkt des Pro­jekts steht der Auf­bau und die Zu­sam­men­ar­beit ei­ner in­ter­dis­zi­plinären kul­tur­wis­sen­schaft­li­chen tu­ne­sisch-deut­schen Nach­wuchs­for­schungs­grup­pe, die Nach­wuchs­wis­sen­schaft­ler*in­nen un­ter­schied­li­cher Qua­li­fi­zie­rungs­stu­fen aus den Be­rei­chen Kul­tur­wis­sen­schaf­ten, Phi­lo­so­phie, deut­scher Sprach- und Li­te­ra­tur­wis­sen­schaft, Eth­no­lo­gie, So­zio­lo­gie, Po­li­tik­wis­sen­schaf­ten, gen­der stu­dies und Me­di­en­wis­sen­schaf­ten zu­sam­men­brin­gen wird. Die­se wur­de durch eine Aus­schrei­bung und Aus­wahl­gespräche ge­bil­det und wird bei den Ar­beits­tref­fen, Work­shops und der sum­mer school durch as­so­zi­ier­te Pro­fes­sor*in­nen je nach dem the­ma­ti­schen Schwer­punkt er­wei­tert.

Da­bei wird großer Wert auf die Ver­net­zung in­ner­halb der Grup­pe ge­legt, weil im­mer noch vie­le tu­ne­si­sche In­sti­tu­te kaum Kon­tak­te zu deut­schen Hoch­schul­ein­rich­tun­gen und da­mit zu deut­schen Wis­sen­schaft­ler*in­nen pfle­gen, was wie­der­um die Vor­aus­set­zung für die An­wen­dung von in­ter­na­tio­nal eta­blier­ten Theo­ri­en und Me­tho­den auf den For­schungs­ge­gen­stand dar­stellt. Außer­dem soll die Ver­net­zung der In­sti­tu­te in­ner­halb Tu­ne­si­ens dazu bei­tra­gen, be­son­ders die zahl­rei­chen klei­nen und iso­lier­ten In­sti­tu­te in den pe­ri­phe­ren Ge­bie­ten und in Südtu­ne­si­en ein­zu­be­zie­hen und zu fördern, die wie­der­um auch für die Er­for­schung der dor­ti­gen Trans­for­ma­tio­nen von großer Be­deu­tung sind. So­mit kann nicht nur fach­li­ches und hoch­schuld­i­dak­ti­sches Wis­sen wei­ter­ge­ge­ben und aus­ge­tauscht wer­den, son­dern es können auch Er­fah­run­gen aus den un­ter­schied­li­chen Re­gio­nen ins Pro­jekt ein­fließen, was für die um­fas­sen­de Be­ar­bei­tung des The­mas un­erläss­lich ist.

Modernisierung und Unterstützung der tunesischen Hochschulen in Forschung und Lehre

Die zweite Ebene des Projekts betrifft den Umgang in Bildung und Hochschullehre mit den lokalen und internationalen Wandlungsprozessen. Der Umbruch im Jahr 2011 führte zu Veränderungen in den tunesischen Hochschulen, die ein Überdenken der alten und neuen Bildungsstrukturen und die Etablierung einer neuen Bildungspolitik notwendig machen. Es gilt, die universitäre Bildung in Tunesien auf den aktuellen Stand zu bringen und an die Zeit nach der Revolution anzupassen. Dabei geht es um den Umgang mit Alt- und Neulasten oder Fragen wie der Umsetzung des Generationenwechsels in der Hochschulbildung.

Das Projektthema „Transformation – Kultur – Geschlecht“ gibt auch hier inhaltliche Orientierungsmöglichkeiten bei der Neufindung von Strukturen, da Themen wie die Demokratisierung der Geschlechterverhältnisse, neue Identitätsbildung, die Stellung von marginalisierten Gruppen – Frauen, Nicht-Muslime, muslimische Extremisten – reflektiert bearbeitet werden können. Durch den intensiven Einbezug der kleineren Institute in den peripheren Gebieten Tunesiens, in denen Studiengänge der angewandten Germanistik, Philosophie und Romanistik angeboten werden, wird aktiv und nachhaltig dazu beigetragen, die fachliche Ausbildung von Studierenden und Lehrenden zu verbessern und zu internationalisieren. In vielen dieser Studienprogramme besteht in Tunesien ein schwerwiegender Dozent*innenmangel, Damit fördert das Projekt in seinem Rahmen konkret die Ausgestaltung einzelner Institute und Studienprogramme. Gleichzeitig ist die übergeordnete thematische Reflektion auf alle Hochschulen in Tunesien übertragbar. Indem die Ergebnisse des Projekts in mehrsprachigen Publikationen (deutsch/englisch/französisch) dokumentiert und zugänglich gemacht werden, leisten sie auch grundsätzlich einen Beitrag zur Vebesserung der Bildung in Tunesien. 

Auch die für 2017 geplante summer school wirkt strukturbildend, weil die Teilnehmer*innen aus Tunesien hier erfahren können, wie Doktorand*innen gegenseitig und gemeinsam mit potentiellen Betreuer*innen ihre Arbeiten diskutieren. Solche nichthierarchischen Diskussionsformen werden in Tunesien bisher kaum angeboten.

Zur Fortbildung der Lehrenden werden Blockseminare deutscher Gastwissenschaftler*innen angeboten, die sich an junge Tunesier*innen richten, die entweder noch an ihrer Dissertation schreiben oder ihre Promotion abgeschlossen haben. Pro Jahr sind vier Blockseminare vorgesehen zu Themen wie wissenschaftlichem Arbeiten, Methoden und aktuellen Arbeitsweisen in den Kulturwissenschaften, aktuellen Ansätzen der Hochschuldidaktik, gender mainstreaming in der Lehre und einzelnen fachspezifischen Themen aus dem Gebiet des Projekts, zu denen die Mitglieder der Gruppe arbeiten. Hier werden auch Studierende vor Ort eingeladen; die Seminare tragen dazu bei, die Studierenden und die Institute an die Themen und die Arbeitsweisen nachhaltig heranzuführen.

Die Betreuung von Master-, Promotions- und Habilitationskandidat*innen wird angeregt und unterstützt. Eine deutsch-tunesische Doppelbetreuung (Cotutelle) bzw. Betreuung in Deutschland mit innovativen Themen, internationaler Thematik und verbesserter Qualität der Arbeiten an der Leuphana Universität Lüneburg möglich und erwünscht.

Bibliotheksausstattung

Ein wei­te­res Ziel des Pro­jekts ist die Aus­stat­tung der Bi­blio­the­ken an der Uni­ver­sität La Ma­nou­ba (Tu­nis) und Me­deni­ne zum The­ma des Pro­jekts zu ver­bes­sern. Die meis­ten tu­ne­si­schen Hoch­schul­in­sti­tu­te ha­ben kaum oder nur un­zu­rei­chend Zu­griff auf in­ter­na­tio­na­le ak­tu­el­le Pu­bli­ka­tio­nen, die zur Be­ar­bei­tung des The­mas „Trans­for­ma­ti­on – Kul­tur – Ge­schlecht“ er­for­der­lich sind. Dazu soll ein Grund­be­darf an Büchern, Aufsätzen und Fach­zeit­schrif­ten er­mit­telt, be­stellt und an die Bi­blio­the­ken ge­schickt wer­den. Außer­dem soll für die Bi­blio­thek in La Ma­nou­ba ein Ko­pie­rer mit Scan­ner­funk­ti­on be­reit­ge­stellt wer­den.