Interview mit Alexander

Alexander hatte nach zwölf Jahren genug von der Schule und ging ohne Abitur vom Gymnasium ab. Nach einem freiwilligen sozialen Jahr und einer Ausbildung zum Bankkaufmann studiert er nun am Leuphana College Betriebswirtschaftslehre. Im Interview erzählt er von seiner persönlichen Suche nach dem richtigen Weg, von wertvollen Erfahrungen, die er während des FSJ sammeln konnte, von engagierten Bankern und warum er als berufserfahrener Studierender der BWL gelassener auf sein Studium blicken kann...

Lieber Alexander: Du bist über den schulischen Teil der Fachhochschulreife und ein freiwilliges soziales Jahr an die Leuphana gekommen. Wo hast Du den schulischen Teil der FH-Reife absolviert?
An einem Gymnasium in Ratzeburg, meiner Heimatstadt. Ich weiß nicht, ob das immer noch so ist, aber damals bekam man automatisch den schulischen Teil der Fachhochschulreife, wenn man nach der Zwölften abgegangen oder durchs Abitur geflogen ist. Ich bin nach zwölf Jahren abgegangen, weil ich absolut keine Lust mehr auf Schule hatte. Die Schule war nie ein Ort, an dem ich mich irgendwie wohl gefühlt hätte. Deshalb habe ich mich irgendwann entschieden, das erst einmal bleiben zu lassen und ein Freiwilliges Soziales Jahr zu machen.

Wie haben Deine Eltern auf Deine Entscheidung reagiert?
Ich habe mich damals sehr viel mit meinen Eltern ausgetauscht. Das war nicht so, dass ich irgendwann mit dem Satz "Papa, ich breche jetzt die Schule ab" um die Ecke gekommen bin, sondern sie haben den gesamten Prozess mitbekommen. Ich werde ganz oft gefragt, ob meine Eltern nicht total sauer oder schockiert waren. Aber nein, eigentlich überhaupt nicht, die hatten dafür vollstes Verständnis, da klar war, dass ich ein FSJ machen möchte und danach entweder an der FH studieren gehe oder eine Ausbildung beginne.

Wusstest Du in dem Moment, dass Du mit dem FSJ deine volle FH-Reife bekommst?
Ja. Normalerweise muss man ein Jahr lang ein Praktikum machen. Es gibt aber eine Regelung, die im Zuge der Abschaffung der Wehrpflicht eingeführt wurde, dass man das FSJ auf das Jahr Praktikum, das man braucht, angerechnet bekommt.

Wie bist Du dazu gekommen, ein FSJ zu absolvieren?
Ich hätte das ohnehin machen wollen. Hätte ich mich zwischen Wehrpflicht und Zivildienst entscheiden müssen, hätte ich auf jeden Fall den Zivildienst gewählt. Und als das dann abgeschafft wurde, habe ich mir gesagt: "Okay, Zivildienst ist echt nicht das Blödeste. Warum sollst Du den jetzt nicht machen, obwohl Du eigentlich Lust darauf gehabt hättest?".

Wo hast Du Dein FSJ gemacht?
Das lief über das Deutsche Rote Kreuz. Ich habe zuerst in unserem Kreisverband in Ratzeburg begonnen. Das war aber nicht so toll. Ich habe dann dem Träger in Kiel Bescheid gesagt und bin dann innerhalb von zwei Wochen in einem Pflege- und Seniorenwohnheim in Ratzeburg untergekommen. Da habe ich dann unter anderem eine Demenzgruppe mitbetreut.

Wie würdest Du im Nachhinein dieses Jahr für Dich beschreiben? Was hast Du da für Dich rausgezogen?
Ich glaube, dass das unglaublich gut für mich und meine Ausbildung war. Dass ich mal Diskussionen mit einem Chef hatte, dass ich mal schwierige Situationen hatte, die ich dann irgendwie meistern musste. Gerade im Umgang mit älteren Menschen habe ich mir viel Gelassenheit - heute würde man sagen "Soft Skills" - angeeignet.

Durch Dein FSJ hattest Du die volle FH-Reife. Hast Du da schon übers Studieren nachgedacht?
Eher im Hinterkopf. Gegen Hälfte des FSJ hatte ich mich schon auf unterschiedliche Ausbildungen beworben. Luftverkehrskaufmann, Industriekaufmann, Logistikkaufmann, Bankkaufmann... irgendwas Kaufmännisches wollte ich machen. Am Ende ist es dann die Bank geworden. In dem Moment, in dem die Zusage kam, war für mich völlig klar, dass ich das machen werde. Und durch die FH-Reife konnte ich die Ausbildung sogar auf zwei Jahre verkürzen.

Wie bist Du Dir damals darüber klar geworden, was Du beruflich machen möchtest, wo deine Stärken und deine Interessen liegen?
Im Nachhinein - das klingt etwas spießig - war die Ausbildung zum Bankkaufmann das Naheliegendste. Mein Vater hat bei der Bank gearbeitet, meine Mutter hat bei der Bank gearbeitet. Die haben sich dort sogar kennengelernt. Es war nicht meine große Passion, Banker zu werden, eher: "Du hast keine Ahnung, was Du willst und das ist auf gar keinen Fall das Schlechteste." Von daher habe ich mich auch ein bisschen aus Planlosigkeit heraus entschieden.

Wie haben Deine Eltern auf Deine Entscheidung reagiert?
Sie haben beide in der Bank gearbeitet und arbeiten beide nicht mehr dort. Sie waren jetzt nicht dagegen, aber sie haben auch nicht gesagt: "Das ist genial, mach das unbedingt, tritt in unsere Fußstapfen und werde Banker!" Wenn ich gesagt hätte, dass ich eine Ausbildung zum Tischler machen möchte, wäre das für sie wahrscheinlich auch ok gewesen. Sie wollten einfach, dass ich mir einen Plan mache, dass ich etwas mache, womit ich mein Leben finanzieren und womit ich auch Spaß haben kann.

Wie lief die Ausbildung zum Bankkaufmann genau ab?
Die war ziemlich durchstrukturiert. Ich musste insgesamt fünf Filialen durchlaufen. Immer circa ein halbes Jahr pro Filiale. Am Anfang habe ich dann 10.000 Konten und 10.000 Sparbücher eröffnet, stand viel am Schalter und habe Geld ein- und ausgezahlt. Es kam ein bisschen auf die Abteilung an, in der man gelandet ist. Ich war für meinen Investment-Block in einer kleinen Filiale und der mir zugeordnete Mitarbeiter war wirklich spitze. Der hat im Beratungsgespräch immer herausgefunden, was für den Kunden wirklich sinnvoll ist und hat dann per Hand alles durchgerechnet. Der konnte das noch. Das war für mich natürlich super zum Lernen. In einem anderen Block, wo es um Finanzierung ging, war ich dann in einem Geschäftskundenteam. Das fand ich spannend, auch wenn das zum Teil fordernd war, sich für Kunden mit anspruchsvollen Bedürfnissen zwei Tage lang zu vergraben und eine richtig gute Lösung für sie zu überlegen.

Kannst Du den Moment beschreiben, in dem Dir klar wurde, dass Du doch noch studieren möchtest?
Der Moment kam eher schleichend. Irgendwann war mir klar, dass die Arbeit in einer Großbank dauerhaft nichts für mich ist. Ich hätte natürlich auch nebenbei ein Fernstudium BWL machen können. Da gab es ein Programm, da war man unter anderem drei Monate in Frankfurt und in verschiedenen Regionen. Da hatte ich aber keine Lust drauf. Es gab da nur drei Zielpositionen: Baufinanzierungen, Investments oder Filialleitung Privatkunden. Das wäre wieder eine reine Vernunftentscheidung gewesen. Spätestens im letzten halben Jahr der Ausbildung war klar, dass ich zwar die Ausbildung beende, aber nicht weiter dort bleiben möchte.

Wie hast Du Dich darüber informiert, was Du studieren möchtest?
Ich habe mir die Modulpläne verschiedener Studiengänge an Unis angeguckt. Einige Unis haben schreckliche Seiten und da muss man ewig lange suchen, bis man an eine Modulübersicht kommt. Das war an der Leuphana gut. Ich fand die rechnerischen Sachen, um die es in der Bankausbildung ging, spannend. Das hat mir Spaß gemacht und da war ich gut drin.

Deswegen war Dir klar, dass Du BWL studieren wirst?
Ich habe zu dem Zeitpunkt noch geschwankt zwischen BWL, VWL und Recht. Vielleicht hätte ich lieber Recht genommen, das weiß man ja vorher nicht. Recht, mein Minor, macht mir so viel Spaß, dass ich den Plan habe, nach meinem Bachelor noch Jura zu studieren. Ich mache jetzt im März ein Praktikum bei unserem Dozenten, den wir hier in Zivilrecht hatten. Ich hatte selbst Spaß an der Klausur, weil ich dieses rechtswissenschaftliche Schreiben mag. Nichtsdestotrotz finde ich BWL auch gut, insbesondere wenn es darum geht, irgendwelche Systeme oder Rechenoperationen zu verstehen. Deswegen möchte ich meinen Bachelor auf jeden Fall fertig machen. Mal abgesehen davon, dass ich meinen Bachelor brauche, um mich am Ende aufs Staatsexamen bewerben zu können. Das ist für mich doppelt interessant, weil ich auf diese Weise auch ohne Abi Jura studieren kann.

Wie bist Du auf die Leuphana gekommen?
Auf der Leuphana-Webseite ist explizit genannt, dass man sich auch mit Fachhochschulreife bewerben kann. Ich habe mich auch in Flensburg und Heide beworben. Ich fand Lüneburg schön, es war eine Universität und zur Not wäre auch Pendeln von meiner Heimatstadt möglich gewesen. Deswegen war ich auch ganz froh, als mir von der Leuphana zugesagt wurde, weil ich kein anderes Eisen mehr im Feuer hatte.

Du warst Dir sicher, dass es an der Leuphana klappt?
Ja, ich habe die Fachhochschulreife mit einem Notendurchschnitt von 2,5 abgeschlossen. Das gab bei der Zulassung 15 Punkte. Dann habe ich meine Ausbildung mit 2 gemacht und dann kam noch das FSJ dazu. Das gab noch mal Extrapunkte und dadurch habe ich im Test nur ein Drittel der Punkte gebraucht. Dann dachte ich: "Komm, das wird wohl irgendwie geklappt haben."

Gab es für Dich Herausforderungen beim Studienstart?
Ich hatte am Anfang ein bisschen mit Mathe zu kämpfen. Ich habe zwar in der Ausbildung auch Mathe gehabt, aber das Schlimmste, was einem in der Bankausbildung passiert, sind Bruchrechnungen. Da ist vielleicht mal eine Wurzel im Bruch, aber man kommt mit Formeln auswendig lernen weiter. Das war hier in Mathe anders. Aber ich bin da relativ flott reingekommen. Ich fand Mathe am Ende sogar ganz spaßig und habe sogar Mathe 2 freiwillig gemacht. Inzwischen bin ich ganz entspannt vor Klausuren, also viel entspannter als ich es zum Beispiel vor meiner Abschlussprüfung in der Ausbildung war.

Welche Vorteile hast Du gegenüber Studierenden, die direkt nach dem Abitur ins Studium starten, und wo vielleicht Nachteile?
Ich habe von einigen gehört, die eine Ausbildung gemacht und die letzten 10 Jahre lang gearbeitet haben, dass sie Probleme haben in diesen Lernmodus wieder reinzukommen. Mir ist das nicht so schwer gefallen. Diejenigen, die direkt aus dem Abi kommen, sagen: "Alles klar, ich schreibe mir 200 Karteikarten auf und dann läuft das." Das war bei mir nicht so. Ich glaube aber, dass ich entspannter bin. Außerdem mache ich mir weniger Illusionen, was mich nach dem Studium erwarten wird. Viele BWLer haben die Illusion, dass sie sich mit einem BWL-Bachelor vor Angeboten kaum retten können. Ich gehe da realistischer ran.

Welchen Rat würdest Du Schülerinnen und Schülern geben, die keine Ahnung haben, wo es für sie nach der Schule mal hingehen soll?
Ausprobieren. Jemand, der jetzt Abi macht, der wird wahrscheinlich nicht bis 67, sondern eher bis 70, 75 arbeiten. Man hat nur das eine Leben und bevor man irgendwas macht, was einfach nur das geringste Übel zu sein scheint, sollte man lieber Vieles ausprobieren. Wenn einem etwas nicht liegt, ist das doch kein persönliches Versagen. Man muss mit 18 nach der Schule nicht den Fahrplan fürs Leben kennen...