Interview mit Franziska

Franziska ging nach der 11. Klasse vom Gymnasium ab und absolvierte eine Ausbildung zur staatlich anerkannten Erzieherin. Nach fünf Jahren in ihrem Beruf beschloss sie einen Neuanfang zu wagen. Heute studiert sie im Master Lehramt an Berufsbildenden Schulen, Fachrichtung Sozialpädagogik. Im Interview erzählt Franziska von ihrem Weg an die Leuphana, vom Mut und Selbstbewusstsein, den der Schritt ins Studium kosten kann, von unterstützenden Vorgesetzten, absurden BAföG-Regelungen und Vorteilen, die das berufserfahrene Studieren mit sich bringen kann…

Liebe Franziska: Du bist staatlich anerkannte Erzieherin. War die Ausbildung zur Erzieherin damals eine Wunschentscheidung?
Nein. Ich bin zwar aufs Gymnasium gegangen, aber meine Leistungen waren nicht gut. Statt zu wiederholen, entschied ich mich, mit dem Realschulabschluss abzugehen und eine Ausbildung zu beginnen. Mir kam dann die Idee, eine Erzieherinnenausbildung zu machen. Ich wollte schon immer Lehrerin werden und Erzieherinnen müssen auch Bildungsprozesse begleiten und mit Kindern arbeiten. Ich wusste, dass ich gut soziale Kontakte aufnehmen und halten kann. Das hat sich dann auch bestätigt und die Ausbildung hat mir viel Spaß gemacht. Fünf Jahre habe ich anschließend in dem Beruf gearbeitet.

Gab es damals an Deiner Schule Angebote zur Berufs- und Studienorientierung?
Bis zum Zeitpunkt meines Abgangs nicht. Irgendwie sind alle davon ausgegangen, dass sie ihr Abitur machen und danach irgendwas irgendwo studieren gehen. Andere Wege gab es nicht. Da gab es niemanden, der das Abitur machen, aber danach zum Beispiel eine Tischler-Lehre beginnen wollte.

Wie haben deine Eltern damals auf Deine Entscheidung reagiert, von der Schule abzugehen?
Sie haben das schon ein bisschen bedauert. Meine Mutter dachte damals wirklich, dass ich mein Abitur mache und dann studieren gehe. Meine Entscheidung hat sie deshalb ziemlich getroffen und sie hat sich Sorgen gemacht. Mein Vater ist Fahrschullehrer und meine Mutter hat Bürokauffrau gelernt. Ich glaube, meine Eltern haben sich immer gewünscht, dass ich einen beruflichen Weg einschlage, wo ich mehr Geld verdiene als sie. Es gab keine gelassene "Akademikeratmosphäre", sie wollten einfach, dass ich etwas lerne, womit ich besser abgesichert bin.

Wo hast Du die Erzieherinnenausbildung gemacht und wie lief die ab?
In Hamburg. Ich musste zunächst die zweijährige Ausbildung zur Sozialassistentin absolvieren und danach noch die dreijährige Fachschulausbildung zur Erzieherin. Seit damals hat sich da aber Einiges geändert. Bei einem bestimmten Notendurchschnitt in der Sozialassistentenausbildung kann heute zum Beispiel die Erzieherinnenausbildung auf zwei Jahre verkürzt werden. Auch die Fachhochschulreife kann man jetzt schon mit der Sozialassistentenausbildung erlangen. Das heißt, man könnte die zweijährige Ausbildung zur Sozialassistentin machen, darüber die Fachhochschulreife bekommen und danach studieren gehen.

Wo hast Du nach Deiner Ausbildung gearbeitet?
Angefangen habe ich in einer Jugendwohngruppe, in der ich schon während der Ausbildung gejobbt habe. Nachdem ich dort drei Jahre Vollzeit gearbeitet habe, wurde mir klar, dass die Arbeit zwar total nett, aber auf die Dauer sehr belastend ist. Ich wollte noch mal etwas anderes ausprobieren und irgendwie hat mich das Unterrichtsthema wieder stark gepackt. Ich dachte mir dann, dass ich als Erzieherin auch in den Schuldienst gehen kann. Also bin ich an einer Grundschule in eine Integrationsklasse gekommen.

Was hast Du dort gemacht?
Ich war zur Unterstützung der Klassenlehrerin in der Klasse tätig. Es gab vier Kinder mit einem sonderpädagogischen Förderbedarf, aber eigentlich habe ich alle unterstützt. Das war eine total schöne Arbeit. Im Krankheitsfall durfte ich auch ein bisschen unterrichten. Irgendwann dachte ich mir: "Eigentlich unterrichte ich und mache auch sonst ganz viel von dem, was die Lehrkraft macht, bekomme aber deutlich weniger Geld. Ich sitze im Lehrerzimmer als Erzieherin und verdiene weniger als der Hausmeister. Das ist absurd." Mir ging es dabei gar nicht so sehr ums Geld, sondern vielmehr um die fehlende Wertschätzung.

Wann kam der Punkt, an dem Du entschieden hast, ein Studium zu beginnen?
Es gab eine Zeit, in der die Mathelehrerin häufig krank war und ich dementsprechend oft einspringen musste. Das Unterrichten hat mir viel Spaß gemacht. Und dann hatte ich damals jemanden im Freundeskreis, der sagte, dass er mit seinem Beruf noch mal studieren gehen möchte. Ich habe lange hin und her überlegt, ob ich mir ein Studium vorstellen kann oder nicht. Ich bekam ganz viel Zuspruch aus meinem persönlichen Umfeld und auch meine Kollegin sagte: "Mach das, Du bist noch so jung. Qualifiziere dich weiter. Du bist stark in diesem Beruf." Das war ausschlaggebend und ich habe mich für einen Studienplatz an der Leuphana beworben. Ich bin dann direkt im ersten Auswahlverfahren angenommen worden.

Worauf hast Du Dich beworben?
Eigentlich wollte ich Grundschullehramt studieren, habe mich aber für Berufliche Bildung in der Sozialpädagogik entscheiden. Ich dachte mir, dass ich dabei meine Erzieherinnenausbildung gut nutzen kann. Außerdem sollte sich das Studium auch finanziell lohnen, weil es ein erheblicher Zeit- und Geldaufwand ist. Ich habe dann das Gespräch mit meiner damaligen Direktorin gesucht. Sie sagte nur: "Ich habe mir das schon gedacht!" (lacht)

Diese Bestätigung hat sich bestimmt ganz gut angefühlt, oder?
Ja, das fühlte sich gut an und ich wurde auch sehr stark von meinem Umfeld unterstützt. Es war ja auch ein Abschied von einem bestimmten Leben, das ich zu diesem Zeitpunkt schon geführt habe. Andere Leute in meinem Alter bekamen gerade Kinder. Ich habe mich aber entschieden, den Neuanfang zu wagen. Ich bin zwar nicht die einzige geblieben, aber es ist schon ungewöhnlich, sich im Alter von 30 für ein Studium zu entscheiden, anstatt im Beruf zu bleiben, Kinder zu bekommen und eine Familie zu gründen.

Was glaubst Du, warum so Wenige diesen Schritt gehen?
Ich glaube, es ist eine Frage des Mutes. Der Arbeitsalltag ist relativ geregelt und man ist finanziell unabhängig. Mit dem Schritt an die Universität begibt man sich in eine unsichere Situation. Das ist schon ein ungewöhnliches Leben, in das man da reinstolpert.

Wie haben Deine Eltern auf diese Entscheidung reagiert?
Sehr gut! Meine Mutter hat sich sehr gefreut! Trotzdem fragte sie mich, ob ich Job und Wohnung wirklich aufgeben möchte. Sie wusste, dass sie mich finanziell nicht unterstützen könnte.

Wie finanzierst Du Dein Studium?
Über einen KfW-Studienkredit. Das ist die sogenannte "Erzieherinnenspezialität", denn wir bekommen im Bachelor-Studium kein BAföG. Das ist nicht fair und völlig ungerecht. Durch das Bachelor-Studium häuft man sich einen riesen Berg Schulden an. Das muss man sich vor der Entscheidung schon bewusst machen.

Und jetzt studierst Du im Master?
Ja, und jetzt bekomme ich auch BAföG. Im Master werden studierende Erzieherinnen gefördert. Jemand, der regulär studiert und BAföG bezieht, zahlt am Ende seines Studiums maximal 10.000 € zurück. Ich muss mit ca. 35.000 € Schulden aus dem Studium rechnen, die ich dann über 20 Jahre abtragen muss. Die KfW-Bank macht da schon ein sehr gutes Angebot und ich glaube, dass ich das schaffe. Aber der Druck ist da.

Wie wirkt sich der Druck bei Dir aus?
Ich glaube, dass ich bewusster und zielstrebiger studiere als manch einer, der von seinen Eltern finanziert wird. Ich weiß, wie viel das Studium kostet und dass ich gerne viel mitnehmen möchte. Dennoch empfinde ich die Schulden als sehr belastend. Das ist schon etwas, was in meinem Hinterkopf arbeitet und ich wäre sehr erleichtert, wenn ich mir darüber keine Gedanken machen müsste. Für meine Bildung nehme ich das aber gerne in Kauf.

Wusstest Du, dass Du mit Deinem Abschluss als staatlich anerkannte Erzieherin an der Uni studieren kannst?
Das wusste ich tatsächlich vorher nicht. Es gab ein paar Spekulationen im Freundeskreis, aber eigentlich wusste niemand etwas Genaues darüber. Da Berufsschullehramt nicht überall angeboten wird, war klar, dass ich - wenn überhaupt - an der Leuphana studieren werde. Ich habe mich dann auf der Internetseite informiert und auch noch einen Termin bei der Studienberatung gemacht. Ich war danach ganz überrascht und dachte: "Wie? So leicht geht das? Ich kann mich einfach als Erzieherin bewerben?"

Wärst einen anderen Weg gegangen, wenn Du schon in der Schule besser über die Möglichkeiten ohne Abitur zu studieren informiert gewesen wärst?
Ich war auf dem Gymnasium und dachte bis zu meinem Abbruch ohnehin, dass ich studieren gehe. Wäre ich auf der Realschule gewesen und mir hätte jemand gesagt, dass ich auch von dort aus irgendwie den Weg an die Uni schaffen kann, hätte ich das sicher nicht geglaubt. Ich glaube, für viele Menschen fühlen sich die Bildungswege vorgefertigt an. Die Aufklärung ist noch nicht so weit, dass Schülerinnen und Schüler eine Idee davon haben, dass sie sich auch mit einem Realschulabschluss weiterqualifizieren und perspektivisch auch studieren können. Es ist schon eine große Entscheidung, diesen Schritt zu gehen. Eine Entscheidung, die viel Mut kostet und Selbstvertrauen voraussetzt.

Wie könnte eine Institution dieses Selbstvertrauen fördern?
Das ist schwer zu beantworten, denn es wäre diskriminierend zu sagen: "Wir nehmen jetzt die Leute ohne Abitur und ohne akademischen Bildungshintergrund und drehen mit denen noch einmal eine Extrarunde auf dem Campus." (lacht) Dennoch müsste das Selbstbewusstsein gefördert werden. Ich habe mich zum Beispiel mal für ein Stipendium beworben. Das Assessment Center für die Stiftung fand sehr pompös auf einem Schloss statt und da waren ganz viele sogenannte "Akademikerkinder". Ich habe mich davon stark beeindrucken lassen, war verschüchtert und habe gedacht, dass ich dort nichts zu suchen hätte. Das Stipendium habe ich nicht bekommen, was sehr schade war, weil ich eigentlich gut aufgestellt war. Im Nachhinein hätte ich mir jemanden gewünscht, der sagt: "Lass dich nicht von Geschichten über Auslandsaufenthalte in Rio oder jahrelanges Ehrenamt beeindrucken." Ich selbst konnte mich ehrenamtlich nie so viel engagieren, weil ich immer neben der Schule gearbeitet habe. Jetzt kann ich sagen, dass ich eben eine andere Biographie habe und dass das auch gut so ist. Das war mir aber zu dem Zeitpunkt damals nicht klar.*1

Wo würdest Du sagen, haben Studienanfänger*innen, die direkt von der Schule ins Studium starten, Dir gegenüber Vorteile und wo Nachteile?
Ich glaube, dass der Umweg über die berufliche Qualifikation zur Persönlichkeitsentwicklung beiträgt. Als Lehrerin ist man nie zu alt und ich glaube, dass es gerade in diesem Bereich von Vorteil ist, wenn man nicht mit 24 fertig ist. Zwar sind diejenigen, die direkt vom Abitur kommen, noch mehr im Lernmodus. Aber ich kann viel besser Zusammenhänge herstellen, verknüpfen und argumentieren. Dafür sind die Prüfungsleistungen auch offen. Auf der anderen Seite muss ich mein Studium komplett selbst finanzieren, das ist schon ein Nachteil.

Wenn Du an die ersten zwei Semester denkst: Was waren die größten Herausforderungen für Dich?
Die größte Herausforderung war das Schreiben von Hausarbeiten. Das habe ich jetzt noch, dass ich mich manchmal verzettle. Das wissenschaftliche Arbeiten ist schon herausfordernd. Im Studium liest man schon mal 20 Bücher parallel und hat den Anspruch, alles noch stärker und vertiefter lernen zu wollen. Aber da bietet die Leuphana gute Unterstützungsmöglichkeiten. Ich kann nicht sagen, dass wir hier alleine gelassen wurden.

Was würdest Du Schülerinnen und Schülern raten, die sich am Ende ihrer Schulzeit noch nicht entschieden haben, was sie machen wollen?
Sie sollten bei sich selbst gucken, was ihrem Gefühl entspricht. Ein Studium ist sehr intensiv. Aber wenn man genau weiß, was man werden möchte, dann schafft man auch das Studium. Das ist einfach eine Entscheidung, die sehr stark von der Persönlichkeit abhängt.

 

*1Mittlerweile ist Franziska Stipendiatin der Studienstiftung des deutschen Volkes. Es lohnt sich also - auch wenn es beim ersten Mal nicht mit dem Stipendium klappt - es NOCHMAL zu versuchen.