Interview mit Lena

Nach dem Realschulabschluss absolvierte Lena zunächst eine Ausbildung zur Bürokauffrau, besuchte im Anschluss die Fachoberschule und holte dann an der Berufsoberschule ihr Abitur nach. Heute studiert sie am Leuphana College Kulturwissenschaften und schreibt aktuell ihre Bachelor-Arbeit. Im Interview erzählt Lena von den vielen Entscheidungen, die sie auf ihrem Weg an die Uni treffen musste, vom Studienfachwechsel, der einiges an Mut erfordert und vom Stolz, den man am Ende eines erfolgreichen Studiums empfinden kann...

Liebe Lena: Was für eine Ausbildung hast Du gemacht bevor Du an die Leuphana gekommen bist?
Ich war zunächst auf der Realschule, habe da aber nicht den erweiterten, sondern nur den normalen Sekundarabschluss 1 bekommen. Ich habe mich dann entschieden, die höhere Handelsschule zu besuchen, um bessere Chancen auf einen Ausbildungsplatz zu bekommen. Im Anschluss habe ich mich reihum als Bürokauffrau beworben, weil ich dachte, dass mir die Ausbildung bestimmt gefällt. Ich hatte vorher kleinere Praktika in dem Bereich gemacht.

Kannst Du kurz erklären was die höhere Handelsschule ist?
Man lernt dort Grundkenntnisse im Bereich Wirtschaft kennen. Das war an einer Berufsbildenden Schule und wir konnten unterschiedliche Vertiefungen wählen. Wir hatten vier verschiedene Klassenformen und in den Bereich Gesundheit bin ich reingekommen. Das war sehr interessant.

Und da hast Du dann den erweiterten Sek I-Abschluss nachgeholt?
Genau. Ich war auch sehr gut, sodass ich dann meine Ausbildung als Bürokauffrau gefunden habe. Weil ich vorher die höhere Handelsschule besucht hatte, konnte ich die Ausbildung in zwei statt drei Jahren absolvieren. In dem Unternehmen konnte ich aber nicht bleiben. Uns Auszubildenden wurde das direkt zu Ausbildungsbeginn gesagt. Ich habe dann aber einen Platz in der Fachoberschule bekommen und kam dort direkt in die zwölfte Klasse. Die Elfte musste ich wegen meiner abgeschlossenen Ausbildung nicht noch mal machen.

Hast Du Dir während der Schulzeit viele Gedanken über Deine Zukunft gemacht?
Nein, in der Realschule überhaupt nicht. Ganz viele wussten nach ihrem Abschluss nicht, was sie machen sollen.

Wie gestaltete sich die Berufsorientierung bei euch in der Schule?
Wir hatten von der Agentur für Arbeit Informationsgespräche, was man weiterführend machen kann. Es ging dabei hauptsächlich in Richtung Schule. Ich hatte das Gefühl, dass der Bereich Ausbildung eher was für die Jungs war, die wussten, dass sie zum Beispiel in ein Metallunternehmen gehen wollten. Aber es war nicht so, dass alle gewusst hätten, was sie machen möchten. Das war alles offen und ich habe es mir auch offen gelassen.

Was wurde euch in den Informationsgesprächen geraten?
Uns wurde das Wirtschaftsgymnasium empfohlen, weil das bei uns im Landkreis das größte ist. Ich habe erst später herausgefunden, was ich eigentlich alles hätte machen können. Direkt nach der zehnten Klasse wusste ich noch gar nicht, wo es für mich mal hingehen soll. Im Nachhinein fand ich das ein bisschen schade, da es noch so viel gab, von dem ich nichts wusste. Wir hatten zum Beispiel noch eine Fachoberschule Gestaltung. Das hätte eigentlich total gut zu mir gepasst, das Künstlerische… aber das habe ich erst später erfahren.

Wo hast Du Deine Praktika gemacht?
Ich habe während der Schulzeit ein Praktikum bei einem Steinmetzbetrieb gemacht. Da habe ich noch selbst Vogeltränken gehauen, was heute in so einem Betrieb kaum noch gemacht wird. Ich hätte mir auch vorstellen können Steinmetz zu werden, dachte aber, dass Bürokauffrau auch nicht das Schlechteste ist.

Welchen Einfluss hatten Deine Eltern auf Deine Berufswahl?
Sie haben es mir zwar nicht direkt gesagt, mir aber schon ans Herz gelegt, eine Ausbildung zu machen. Mein Bruder hat auch eine Ausbildung gemacht, er ist Elektroniker. Für ihn war das irgendwie klar, was er nach der Schule machen möchte. Mir rieten meine Eltern, erst mal eine Ausbildung zu absolvieren und zu gucken, was ich wirklich machen möchte. Das war gut und ich bin froh, dass ich das gemacht habe.

Wann kam bei Dir der Wunsch auf nach beruflicher Veränderung?
Ich habe schon recht früh gemerkt, dass Bürokauffrau nicht das ist, was ich immer machen möchte. Ich möchte nicht mein ganzes Leben im Büro sitzen und Aufgaben von jemandem zugeteilt bekommen, sondern ich möchte selbst kreativ werden. Im Nachhinein passte es dann ganz gut, dass ich nach der Ausbildung nicht übernommen wurde. Ich glaube, wenn ich in einem anderen Unternehmen angenommen worden wäre, wo ich eigenverantwortlich hätte arbeiten können, dann hätte ich vermutlich weiter in meinem Beruf gearbeitet. Für mich war das zu dem Zeitpunkt also noch überhaupt nicht klar, dass ich mal studieren gehe.

Was hättest Du damals geantwortet, wenn Dir jemand gesagt hätte, dass Du mal studieren wirst?
Ich hätte gesagt: „Niemals.“ Einfach, weil ich in der Realschule sehr schlecht war. Ich habe selbst nicht an mich geglaubt. Ich war sehr faul. Ich hätte bestimmt besser sein können, aber ich wollte einfach nicht. Das war so ein Alter, wo ich gedacht habe, dass ich auch ohne was zu tun durchs Leben komme.

Und wie fühlt sich das jetzt an, nachdem Du den Weg an die Uni geschafft hast?
Total gut. Ich habe in sechs Semestern mein Studium geschafft und schreibe jetzt meine Bachelorarbeit. Das macht mich unglaublich stolz, dass ich das geschafft habe, weil ich das selbst nie geglaubt hätte.

Ich möchte nochmal einen Schritt zurückgehen: Nach der zwölfte Klasse der Fachoberschule Wirtschaft bist Du dann an die Berufsoberschule gegangen?
Ja. Die 13. Klasse der Berufsoberschule kann man nur machen, wenn man eine Ausbildung und die Fachoberschule gemacht hat. Dadurch, dass ich aus Osterode komme und es dort nicht viele Leute gibt, die sich für die Berufsoberschule interessieren, stand für mich nur Göttingen oder Northeim zur Auswahl. Ich habe mich dann an beiden Schulen beworben.

Wieso hast Du Dich überhaupt entschieden an die BOS zu gehen?
Ich wollte mir gerne offen halten, ob und was ich studiere. Ich dachte, dass ich mit Fachhochschulreife wieder so gebunden bin. Für mich war klar, dass ein BWL-Studium nichts für mich ist. Dann dachte ich, dass der Abschluss der Berufsoberschule eigentlich genau das ist, was mir die Möglichkeit gibt, alles zu studieren. Aus den Landkreisen Göttingen, Northeim und Osterode haben 14 Leute die BOS gemacht. Es war gut, dass wir eine kleine Klasse waren, weil wir eine sehr gute Betreuung hatten. Wir haben da wirklich was gelernt.

Welche Ausbildungen haben die Menschen an der BOS vorher gemacht?
Wir waren fast alle Büro- oder Industriekaufleute. Es war schon gut, dass wir an der BOS kein Zentralabitur mitschreiben mussten, weil wir das nicht geschafft hätten. Für uns wurde eine eigene Abiturprüfung erstellt, die vergleichbar mit dem Zentralabitur war. Wir sind niedriger gestartet, wir hatten alle einen Realschul- oder sogar einen Hauptschulabschluss. Wir mussten alle auf ein Niveau kommen und wieder beim niedrigsten Stand anfangen. 

Musstest Du noch eine zweite Fremdsprache machen um die allgemeine Hochschulreife zu bekommen?
Genau. Wir konnten nur Spanisch nehmen, aber das war sehr gut.

Wann kam dann bei Dir die Idee auf, tatsächlich zu studieren?
Wir haben im Juli unsere Zeugnisse bekommen, also kurz bevor die Bewerbungsfrist an den Unis endete. Erst da habe ich geschaut, was mir gefallen könnte. In der BOS habe ich festgestellt, dass ich Naturwissenschaften spannend finde und habe mich in dieser Richtung beworben. Ich habe an den meisten Unis, an denen ich mich beworben habe, einen Studienplatz bekommen, das hat mich überrascht.

Was war für Dich ausschlaggebend, an der Leuphana zunächst Umweltwissenschaften zu studieren?
Ich musste hier zu den Auswahltagen. Bei Umweltwissenschaften gab es zusätzlich zum Test eine Gruppendiskussion und ein kurzes Referat. Ich war den ganzen Tag über hier und ich habe viele Leute kennen gelernt. Wir haben uns zusammen die Uni angeschaut. Das hatte ich bei keiner anderen Uni und das war auch der Punkt, warum ich mich für Lüneburg entschieden habe.

Was würdest Du sagen, was für Dich die größten Herausforderungen auf dem Weg an die Uni waren?
Die Frage, wie es an der Uni eigentlich so ist. Das war schwierig, weil ich nur den Eindruck von der Schule und der Ausbildung hatte und dann immer versucht habe Vergleiche zu ziehen: „Wird es leicht werden? Schaffe ich das? Schaffe ich das nicht?“

Wie haben Deine Eltern auf Deine Entscheidung reagiert?
Meine Eltern haben immer gesagt: „Mach das, Du schaffst das“. Aber ich hatte trotzdem immer die Befürchtung, dass ich das Studium nicht schaffe und meine Eltern mich nicht unterstützen könnten. Aber es war dann relativ schnell nach Studienbeginn klar, dass meine Eltern das super finden. Meine Mama ist sogar mit mir nach Lüneburg gefahren und hat sich mit mir zusammen Wohnungen angeguckt. Ab da habe ich gedacht: „Okay, Du machst das und das wird schon“.

Wenn Du an die ersten zwei Semester zurückdenkst, was waren für Dich die größten Herausforderungen in der Studieneingangsphase?
Die größte Herausforderung war für mich herauszufinden, dass ich für Umweltwissenschaften doch nicht die Richtige war. Durch das Leuphana- Semester war für mich noch nicht so richtig klar, was in Umweltwissenschaften wirklich auf mich zukommt. Im ersten Semester hatten wir Exkursionen, das fand ich alles sehr interessant. Im zweiten Semester habe ich festgestellt, dass ich mit Chemie nichts anfangen kann. Ich hatte Chemie bis zur zehnten Klasse und dann noch mal in der Fachoberschule. Das, was die anderen schon konnten, das konnte ich nicht. Für mich war es sehr hart das aufzuholen und da merkte ich, dass Umweltwissenschaften nichts für mich ist. Ich möchte nicht jeden Tag im Labor stehen und Sachen erforschen. Ich habe mich dann relativ schnell entschieden, dass ich was anderes machen werde, gleichzeitig war mir auch klar, dass ich hier an der Leuphana bleiben möchte. Wegen der Uni und der vielen Menschen, die ich hier schon kannte. Ich wusste, wie es an der Leuphana abläuft und wollte nicht noch mal an einem anderen Ort von vorne beginnen.

Wie hast Du Dich dazu entschieden zu Kulturwissenschaften zu wechseln?
Ich habe mich mit Leuten ausgetauscht, die Kulturwissenschaften studieren, mich bei der Studienberatung informiert und darüber hinaus ganz viel im Internet recherchiert. Außerdem konnte ich schon vorzeitig in Kulturwissenschaften Kurse belegen und merkte, dass mir das sehr gut gefällt. Der Major Kulturwissenschaften passt zu mir und ich bin mit den Menschen auf einer Wellenlänge. Leider hat es mit dem Wechsel erst später geklappt, aber mir wurden die Semester, die ich schon studiert hatte, angerechnet.

Wie lange hat das gedauert?
Ich glaube, ich war im vierten Semester Umweltwissenschaften, als ich die Zusage bekommen habe. Ich habe jedes Semester gedacht, dass ich umsonst studiere, da ich nicht wusste, ob der Wechsel klappt. Dann habe ich hin und her überlegt und kam zu dem Schluss: „Ich zieh es jetzt durch, irgendwann wird es schon klappen.“ Und dann hat es auch geklappt.

Was möchtest Du nach Deinem Abschluss machen?
Ich finde den Musik-Bereich ziemlich spannend. Ich kann mir zum Beispiel vorstellen in einer Stadt oder in einem Kreis im Kulturbüro zu arbeiten. Ich möchte in einem Bereich arbeiten, in dem ich meine eigenen Entscheidungen treffen kann.

Möchtest Du noch den Master machen?
Ich bin ich noch am Überlegen. Viele Freunde haben mir schon geraten weiterzumachen, auch weil ich dann einen höheren Abschluss habe. Und wenn ich erstmal anfange zu arbeiten, dann wird es schwierig, nochmal den Schritt an die Uni zu wagen.

Welche Vor- und Nachteile hast Du gegenüber Studierenden, die nach ihrem Abitur direkt an die Uni gegangen sind?
Wenn ich mich mit Leuten vergleiche, die direkt nach dem Abitur gekommen sind, dann studiere ich von Anfang an mit einer anderen Motivation. Für mich war direkt klar, dass ich mich nicht ausruhen kann. Ich gehe gerne zu jeder Vorlesung und zu jeder Veranstaltung, auch weil ich das für mich brauche. Ich kann nicht gut lernen, wenn ich den Stoff nicht vorher gehört habe. Und irgendwie nehme ich es auch ernster, pünktlich bei den Veranstaltungen zu sein. Ich war nie zu spät in irgendeiner Vorlesung.  

Wie finanzierst Du Dein Studium?
Meine Eltern zahlen mir die Miete und die Lebenshaltungskosten zahle ich. Ich arbeite hier an der Uni, habe erst als SHK in den Finanzen gearbeitet und arbeite seit Januar für das Kompetenzzentrum für Lehrerfortbildung. Die Jobs an der Uni passen sich immer gut dem Studium an. Ich habe mich auch als Bürokauffrau beworben, aber da war vorgegeben, dass ich montags, mittwochs und freitags arbeite. Das konnte ich wegen meines Studiums nicht zusagen.

Was würdest Du Schülerinnen und Schülern mit auf den Weg geben, die sich nicht entscheiden können, wo es nach der Schule für sie mal hingehen soll?
Auf jeden Fall direkt mal in Berufe reinschauen, die ihnen gut gefallen könnten. Das gilt auch für Universitäten. Fahrt hin und informiert euch. Sprecht mit Leuten, die schon studieren. Man kann nicht darauf warten, dass einem diese Informationen einfach zufliegen.