Der Mensch - ein Produkt seiner Gene?
Ein Produkt seiner Gene?
Von Hanna Lorenz
Eigentlich scheint es doch ganz simpel zu sein. Krankheiten werden entweder genetisch verursacht oder sind die Folge von Umwelteinflüssen. Und was uns vererbt wird, ist uns vorbestimmt. Oder?
Immer wieder stehen Wissenschaftler vor Fragen, die nicht in ihr Konzept passen.
Wie kann man zum Beispiel erklären, dass ein eineiiger Zwilling an einer genetisch begünstigten Krankheit wie Schizophrenie erkrankt, der andere jedoch nicht, obwohl beide genetisch identisch sind?
Mit Fragen wie diesen beschäftigt sich das junge Feld der Epigenetik. Epigenetik untersucht dabei alles, was sich „über" (griech. "epi") den Grundprinzipien der Genetik abspielt. Konkret beschäftigt sich dieses Forschungsgebiet damit, wie sich der Träger der Erbinformation, unsere DNA, durch Umwelteinflüsse, Nahrung oder durch unsere soziale Umwelt verändert, ohne dass dies durch Mutationen verursacht wird.
Wissenschafter um Manel Esteller vom Spanish National Cancer Center in Madrid fanden heraus, dass Zwillinge, je älter sie werden, sich immer unähnlicher werden. Die epigenetischen Unterschiede von 50-jährigen Zwillingen waren viermal so groß wie die Unterschiede von dreijährigen Zwillingen. Esteller vermutet, dass diese Unterschiede unter anderem auf die Ernährung, das Rauchen oder psychologische Traumata zurückzuführen sind. Doch können unsere Verhaltensweise und unsere Nahrung wirklich so große Effekte auf unsere Gene haben?
Gene lassen sich an und aus schalten
Im menschlichen Körper gibt es Hunderte von verschiedenartigen Zellen. Eine Nierenzelle verhält sich zum Beispiel anders als eine Zelle im Gehirn, obwohl beide den gleichen Ursprung haben. Im Laufe der Entwicklung der Zellen werden ihre Gene entweder selektiv genutzt oder zum Schweigen gebracht. Ob ein Gen aktiv oder still ist, bestimmen sogenannte DNA-Methylierungsmuster. Hierbei handelt es sich um die chemische Änderung an der DNA der jeweiligen Zelle. Man kann die Funktion der Methylgruppen mit einem Kaugummi vergleichen, das man über einen Lichtschalter geklebt hat. Somit ist der Lichtschalter zwar nicht funktionstüchtig, aber auch nicht beschädigt. Der Grundbaustein der Zelle bleibt also erhalten und es handelt sich nicht um eine genetische Mutation. Wie das genau funktioniert, lässt sich wohl am besten mit einer Studie von Wissenschaftlern der Duke Universität im US-Bundesstaat North Carolina erklären. Die Forscher beschäftigten sich mit Agouti-Mäusen, die normalerweise ein gelbliches Fell besitzen und gaben ihnen während der Schwangerschaft Vitamin B12, Folsäure, Cholin und Betain. Das überraschende Ergebnis: Die jungen Mäuse hatten ihr Leben lang braunes Fell. Das Agouti-Gen, das für die gelbe Färbung des Fells zuständig ist, wurde offensichtlich durch die besonderen Nahrungszustände nicht ausgedrückt. „Das zeigt, welch großen Einfluss Umweltfaktoren während der Embryonalentwicklung haben", sagt Randy Jirtle, Professor der Duke Universität.
Mutterliebe macht mutig
Doch nicht nur während der Embryonalzeit lassen sich Gene verändern. Eine Studie an Mäusen von Isabelle Mansuy, einer Neurobiologin der Universität Zürich, zeigt, wie nachhaltig sich Erlebnisse in der frühen Entwicklungsphase ins Genom brennen. Sie trennte junge Mäuse von ihren Müttern und fütterte sie nur ungenügend. Im Erwachsenenalter führte diese harte Kindheit zu Anzeichen einer Depression. Erstaunlicherweise vererbten die Nager den erworbenen Mangel an Lebenslust über mehrere Generationen hinweg. Auch eine kanadische Forschergruppe um den Zellbiologen Ian Weaver hat an Ratten zeigen können, dass sozialer Kontakt zwischen Mutter und ihren Jungen die Stressempfindlichkeit der Tiere im Erwachsenenalter senkt. Hierbei wurden die Jungen von ihren Müttern isoliert und wuchsen zu scheuen und aggressiven erwachsenen Ratten heran. Die Ratten, die einen engen Kontakt zur Mutter pflegen konnten, wagten sich deutlich öfter aus ihrem Versteck heraus.
Vernarbtes Erbgut durch Traumata
Natürlich lässt sich der Mensch nicht mit dem Genom einer Ratte gleichsetzten, doch das frühkindliche Erfahrungen teils verheerende Folgen haben könnten, zeigt eine andere Untersuchung unter der Leitung des Genetikers Moshe Szyf der McGill Universität in Montreal. Von der kanadischen Studie über Ratten, die von ihren Müttern nicht gepflegt wurden, inspiriert, untersuchten die Wissenschaftler Gehirne von Selbstmördern, die als Kind missbraucht oder vernachlässigt wurden und stellten sich die Frage: Kann ein Trauma das normale Funktionieren der Gene durcheinander bringen? Die Forscher fanden auffällige Methylierungsmuster in dem Teil des Gehirns, das für die Gedächtnis- und Lernvorgänge verantwortlich ist. Ähnlich den Ratten war hier ein Schlüsselgen zur Verarbeitung von Stress ausgeschaltet. Genetiker Szyf erklärt sich das so: „Die Erlebnisse in früher Kindheit markieren das Gehirn. Diese Markierung bleibt und bewirkt irgendwann etwas Krankhaftes. In den von uns untersuchten Fällen ist es der Selbstmord." Dass Missbrauch und Vernachlässigung bei uns Spuren hinterlassen, ist klar. Dass diese Spuren aber auch in unseren Genen zu finden ist, bringt uns dazu, einen Zusammenhang zwischen unseren Genen, unserem Verhalten und unserer Umwelt neu zu überdenken. Die Ergebnisse lassen auch die Erb- und Evolutionstheorie in einem neuem Licht erscheinen. Bisher wurde immer angenommen, dass Mutationen der DNA zufällig entstehen. Dass kulturelle Erfahrungen und Einflüsse sich biologisch vererben lassen, ist neu. Im Unterschied zu klassischen Erbkrankheiten, die oft ganze Familien prägen, ist man immerhin den epigenetischen Belastungen nicht völlig ausgeliefert. Die Methylierung ist eine chemische Abänderung, die sich manipulieren lässt; vielleicht durch neue Verhaltenstherapien oder heute schon durch pharmakologische Substanzen.
Gesunde Ernährung und Sport schalten Krebsgene aus
Verblüffend sind die Ergebnisse eines amerikanischen Forscherteams während der Untersuchung von Prostatakrebspatienten. Das Team krempelte den Lebensstil der Probanden um. Auf dem Tagesprogramm standen nun für drei Monate moderater Sport, viel pflanzliche Kost, wenig Fett, Techniken zur Stressbewältigung und die Teilnahme an Gruppensitzungen. Die Aktivität von 500 Genen wurde gemessen. Das Resultat: 48 Gene wurden aktiviert und 453 gedämpft, darunter einige, die als tumorförderlich gelten.
Anhand dieser Ergebnisse würde es doch nahe liegen, die eigenen Verhaltens- und Ernährungsgewohnheiten zu ändern. Das Forschungsgebiet der Epigenetik befindet sich allerdings noch in den Kinderschuhen und gibt noch keine speziellen Ernährungsempfehlungen. Doch eines lässt sich klar sagen: Genügend Bewegung und Sport sowie eine Umstellung auf gesunde, pflanzenreiche Kost und die Einschränkung von Zigaretten und Alkohol kann sich nicht nur für uns positiv auswirken, sondern auch für unsere Nachkommen.