Die fetten Jahre sind vorbei

Studierende Yvonne Rudolph hat einen Tag lang nachhaltig gelebt

(Recherche: Judith Böse / Laura König)

Bei meiner ersten „Dark Party“ habe ich zwar nicht genau gesehen, wen ich geküsst habe. Aber der Kuss war einfach unglaublich. Das lag vor allem an der besonderen Stimmung auf dieser Feier. Kalte, elektrische Beleuchtung gibt es auf „Dark Parties“ nämlich nicht. Ausschließlich Kerzen bringen ein wenig Licht ins Dunkel und sorgen für eine gemütliche Atmosphäre. In diesem Rahmen küssten sich bestimmt auch Yoko Ono und John Lennon während der Hippie-Bewegung zum ersten Mal.

Noch völlig fasziniert von meiner ersten „nachhaltigen Party“, komme ich spät in der Nacht nach Hause. Mein Zimmer ist kühl, denn die Heizung muss nicht laufen, während ich beim Tanzen auf Partys ins Schwitzen komme. Also schlüpfe ich schnell in meinen Schlafanzug, kuschele mich in meine Bettdecke und träume von meiner Begegnung bei Kerzenlicht. So wird mir auch ohne Heizung schnell warm.

Gefühlte fünf Minuten später klingelt schon der Wecker und reißt mich aus dem Tiefschlaf. Eine halbe Stunde früher als gewöhnlich, denn nur so schaffe ich es rechtzeitig mit dem Bus in die Uni. Eine kurze Dusche muss reichen, denn mein guter Vorsatz lautet: „Nachhaltig durch den Alltag“. Die üblichen zehn Minuten unter dem Wasserstrahl muss ich drastisch reduzieren. Und die nassen Haare trocknen nach der Dusche an der Luft, denn kaum ein anderes Haushaltsgerät verbraucht so viel Energie wie ein Föhn.

Mit brummendem Schädel mache ich mich auf den Weg zum Bus. Dieser ist schon proppenvoll. Denn nicht nur ich weiß, dass ein durchschnittliches Auto jährlich rund drei Tonnen Kohlendioxid produziert und somit den Treibhauseffekt in der Atmosphäre fördert.

In der Uni angekommen, muss ich erstmal zur Toilette. Im Dunklen taste ich nach dem Lichtschalter, denn an der Leuphana herrscht auf dem stillen Örtchen Dämmerung. Zumindest wenn sich niemand dort aufhält.  Auf jedem Schalter weisen kleine Aufkleber beim Hinausgehen darauf hin: „Licht aus!“

Das zweilagige Recyclingpapier lässt sich problemlos von der Klopapierrolle abreißen und kratzt überraschender Weise gar nicht. Durch ein kurzes Drücken der Spültaste verbrauche ich nur zwei bis drei Liter für die Toilettenspülung, während der durchschnittliche Wasserverbrauch pro Spülung bei neun bis 14 Litern liegt. Nun noch schnell die Hände mit eisigem Wasser waschen und dann beginnt auch schon mein Seminar.

Im Unterrichtsraum ist es kühl und riecht angenehm frisch. Zum Stoßlüften wurden alle Fenster geöffnet und die Heizung schaltet dabei automatisch ab. An der Wand entdecke ich die Power Point Präsentation der Dozentin und bin froh, dass wir nicht wieder mit Kopien überhäuft werden. So können wir das Recyclingpapier für wichtige Ausdrucke sparen.

Lernen macht hungrig, doch zum Glück ist die Schlange in der Bio-Mensa nicht sehr lang. Hier verwendet die Küche nur regionale Produkte für die Zubereitung. Der Preisunterschied zur gewöhnlichen Mensa ist aber kaum merklich – und das Essen schmeckt.

Nach einem langen Uni-Tag gönne ich mir meinen Sportkurs. Nach Hause komme ich schließlich auch zu später Stunde problemlos, und zwar mit dem Anruf-Sammel-Mobil, kurz ASM. Das ASM ist ein besonderer Fahrservice, der nach acht Uhr in Lüneburg den Busverkehr ersetzt. Zu jeder beliebigen Bushaltestelle kann ich den Fahrdienst bestellen und mich für einen kleinen Preis bis vor die Haustür bringen lassen.

Das Besondere am ASM ist, dass es auf einer Strecke möglichst viele Personen einsammelt, die in dieselbe Richtung wollen. So treffe ich auch meinen Nachbarn, der gegen zehn am „Stint“ mit einer kleinen Bierfahne zusteigt. Ich döse ein wenig auf der langen Fahrt nach Hause, bin aber plötzlich hellwach, als „Am Sande“ dieser süße Typ  einsteigt, der  mich dunkel an meine Bekanntschaft auf der „Dark Party“ erinnert. Er lächelt – und schon verabreden wir uns zu einem weiteren nachhaltigen Date, allerdings bei Tageslicht auf einen Fair Trade Kaffee im Café 9 an der Uni.