Das Leben auf dem Land – eine sinnvolle Alternative zur Stadt?

Ein Beitrag von Anne Herwig

Ein Leben im Dorf stellen sich viele Menschen langweilig und unattraktiv vor. Welche Chancen und Vorteile ländliche Regionen bieten, diskutierten am Freitag Patrick Küpper, Philipp Hentschel vom Netzwerk Zukunftsorte und Christopher Feustel sowie Ann-Rojin Szabó von der Organisation CAIA im Rahmen des Impulses „Wir packen den Wandel an! Pionierprojekte für sozialökologische Transformation auf dem Land“.

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Ist es auf dem Land wirklich so ruhig, wie es zu sein scheint?


Das Leben in der Stadt ist geprägt von kurzen Wegen und einer optimalen Versorgung. Im Jahr 2020 lebten rund 77,5 Prozent der deutschen Gesamtbevölkerung in Städten. Seit Jahren ist die Situation am Wohnungsmarkt in Groß- und Kleinstädten jedoch sehr angespannt. Die Durchschnittsmiete in Hamburg liegt aktuell bei 14,15 Euro pro Quadratmeter. Als Reaktion auf diese hohen Preise, ziehen zunehmend viele Bürger*innen in ländliche Regionen.

Auf dem Land sind die Preise pro Quadratmeter halb so hoch, die Wohngebiete sind umgeben von Natur und die Atmosphäre ist häufig persönlicher. Allerdings bestehen weiterhin viele Vorurteile gegenüber ländlichen Regionen: eine schlechte Infrastruktur sowie Grundversorgung, Stress für Pendler*innen oder wenige Freunde gehören dazu. Sind diese Vorurteile jedoch zutreffend?
 

Keine Nachteile gegenüber Städten

Patrick Küpper, der am Thünen-Institut als Humangeograph arbeitet, entkräftet die Vorurteile. Untersuchungen haben ergeben, dass sich viele Indikatoren des alltäglichen Lebens, wie die Lebenserwartung oder die Arbeitslosenquote, in ländlichen und urbanen Räumen kaum unterscheiden und eher zugunsten der ländlichen Räume entwickeln würden. Ländlich heiße nicht gleich strukturschwach.

Als entscheidenden Aspekt hebt Küpper die Daseinsvorsorge hervor. Sie umfasse die großflächige Versorgung der Bürger*innen mit Gütern und Dienstleistungen zu tragbaren Preisen. Diese sei auf dem Land grundsätzlich gesichert, könne allerdings weiter ausgebaut werden. Digitale Projekte fänden dabei eher weniger Anklang in der ländlichen Bevölkerung. Wichtig sei es daher, an anderen Punkten, wie der finanziellen Unterstützung, anzusetzen. Die Ausschüttung von Geldern müsse laut Küpper eine offenere Verteilung sowie eine Senkung der Bearbeitungsdauer und -kosten mit sich ziehen.

Ein weiterer Ansatz bestehe in der Stärkung des Ehrenamtes. Dieses könne die Daseinsvorsorge, sobald Probleme wie fehlender Nachwuchs oder begrenzte Zeitbudgets behoben seien, sinnvoll ergänzen. Förderungsansätze seien hierbei in Form von ausgeweiteten Beratungsangeboten oder im Ausbau von Durchführungsorten denkbar. Der wichtigste Aspekt eines ländlichen Zusammenlebens sei laut Küpper nämlich recht simpel - das gesunde, soziale Miteinander.


Projekte als Vorreiter

Mit diesem sozialen Miteinander beschäftigt sich Philipp Hentschel vom Netzwerk Zukunftsorte. Das Netzwerke bemüht sich laut Henschel darum, den Zuzug in ländliche Regionen gezielt zu steuern und die Beteiligung in den Gemeinden zu stärken. Als Voraussetzung für eine wohlwollende Gemeinschaft nennt Hentschel Freiräume sowie leerstehenden Gebäude, die individuell und gemeinschaftlich aufbereitet und genutzt werden können. Kooperation zwischen Teilhabenden sowie Einwohner*innen und finanzielle Mittel stünden hier im Fokus, um Treffpunkte für Hobbys, Arbeit, Kommunikation und Freizeit zu erschaffen – und somit ein Zusammenkommen der Gemeinschaft entstehen zu lassen.

Dass besonders junge und kreative Menschen den Weg aufs Land suchen, zeigt sich durch die Organisation CAIA. Von ihr waren Christopher Feustel und Ann-Rojin Szabó zu Gast. Gemeinsam mit einem interdisziplinären Team arbeiten sie in Flecken Steyerberg bei Hannover an einem „Dorf der Zukunft“. Der Fokus der 5.000 Einwohner*innen liege, laut Szabó, seit Jahren auf einer klimaschützenden und gemeinschaftlichen Lebensweise. Auch Feustel empfindet analoge Begegnungen zwischen Beteiligten als unabdingbar, um die Verbindungen untereinander zu stärken. Wichtig ist Szabó ebenfalls ein Angebot von Gemeinschaftsgebäuden, um gemeinsam gesellschaftlich getragene Strategien entwickeln zu können.

Fest steht damit, so das Fazit der Veranstaltung: Ländliche Regionen sind im Kommen. Sie bieten Chancen für ein gemeinschaftliches Leben, das in keiner Weise auf Finanz- oder Versorgungsvorteile der Städte verzichten muss. Ganz im Gegenteil: Ländliche Gebiete bieten die Möglichkeit, gemeinschaftlicher, ökologischer und aktiver zu leben.

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