Yalla, Feminismus!

Ein Bericht von Anne Bohl

Was und wie kann, darf und muss an Universitäten diskutiert werden? Mit dieser zentralen Frage eröffnete Steffi Hobuß das Format der Debattenkultur. Zu Gast ist die Wissenschaftlerin, Musikerin und Autorin, Reyhan Şahin, die über Sexismus und Ausgrenzung im Universitätsbetrieb diskutiert und eine klare Botschaft an die Studierenden hat.

©Leuphana/Screenshot
Reyhan Şahin schreibt in ihrem Buch „Yalla, Feminismus!“ unter anderem über Sexismus und Ausgrenzung an Universitäten.


Reyhan Şahin ist promovierte Linguistin und wurde früh von Musik geprägt. Sie fing schon im Kindesalter an, sich vor allem für Hip Hop zu interessieren. Gleichzeitig entwickelte sie früh ein Interesse für Emanzipation und findet es wichtig, als Frau selbst etwas zu schaffen und stolz darauf zu sein. So begann sie, unter dem Künstlernamen „Dr. Bitch Ray“, eigene Musik zu produzieren und wurde über Nacht auf der Plattform „MySpace“ berühmt. Im Jahr 2019 wurde ihr Buch „Yalla, Feminismus!“ veröffentlicht, in dem sie auch von sexistischen und ausgrenzenden Erfahrungen im Musikbusinness und im Universitätsbetrieb erzählt. 

Erfahrungen in der Musikszene 

Reyhan Şahin berichtet, dass ihr in den Medien stets ein „weiß-gespülter“ Durchschnitt vermittelt wurde, weshalb sie sich ihre eigenen feministischen Vorbilder suchen musste. Sie hat in ihrer Jugend eine doppelte Marginalisierung erlebt: Zum einen durch ihre türkische Herkunft und zum anderen durch die Musik, die sie hörte und durch die Kleidung, die sie trug. 

Das “Stockholm Syndrom” beschreibt das psychologische Phänomen der Entwicklung von Sympathie und Kooperation von Geiseln mit ihren Geiselnehmern. Laut Reyhan Şahin ist es auch auf den Hip Hop übertragbar - daraus wird dann das “Hip Hopsche Stockholm Syndrom”. Denn auch diese Branche ist klar männerdominiert und Frauen sind abhängig von ihnen. Allerdings möchten Frauen den Sexismus nicht kritisieren und kooperieren trotzdem mit den Männern. Es ist ein Dilemma: Einerseits lieben Frauen den Hip Hop, aber andererseits möchten sie den Sexismus nicht noch fördern, so Şahin.

"Glaubt an euch, ihr könnt es besser machen!", lautet deshalb Reyhan Şahins Appell an die junge Generation. Selbstzweifel sind normal, sagt sie, „weil die Gesellschaft uns nicht von Grund auf anerkennt“. Es gibt Nächte, da wacht Reyhan Şahin plötzlich auf und fragt sich: Was ist eigentlich mein Beruf? Denn nirgendwo fühlt sie sich vollkommen anerkannt, immer wieder werden ihre Erfolge und Errungenschaften unsichtbar gemacht. Auf die Frage, ob sie findet, dass sogar ihre wissenschaftliche Expertise unsichtbar gemacht wird, antwortet sie mit einem klaren: Ja. Dass sie sowohl Künstlerin als auch Wissenschaftlerin ist, verstehen die Menschen nicht. Şahin gibt den Rat, sich ein Umfeld zu schaffen mit Menschen, die Verständnis haben für das, was man tut – dann ist nichts unmöglich. 

„Fuckademia“

Mit diesem Begriff beschreibt Reyhan Şahin die „Weiße-alte-Männer“-dominierten Universitäten – ein unnahbarer, elitärer Haufen. „Die wissenschaftliche Welt scheint das Sammelbecken für narzisstische und verrückte Menschen zu sein“, so Reyhan Şahin. Es müsse dringend eine Veränderung dahingehend geben, dass Privilegien nicht mehr über eine akademische Ausbildung entscheiden. Es müssen auch Menschen „von unten“ an Universitäten aufgenommen werden, generell Menschen, die das Interesse an Weiterbildung haben. Wenn Frauen an Universitäten eingestellt werden, seien es meist weiße Frauen. Auch hier muss laut Reyhan Şahin weitergedacht werden. Sie selbst glaubt nicht mehr daran, dass sie je nochmal eine Festanstellung bekommen wird, dazu sei sie zu lange ausgegrenzt worden und habe diese Ausgrenzung zu sehr internalisiert. In „Fuckademia“-Institutionen werden Studierende in ihren Ideen gebremst, im schlimmsten Fall sogar demotiviert. Ein weiteres Problem sei, dass Sexismus, Rassismus und Ausgrenzung nicht bewiesen werden können. Um dies zu lösen, seien grundlegende strukturelle Änderungen der Universitäten nötig.
 

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