Ein Ausflug durch das indische Arm und Reich

Es ist mein erster Tag in Bangalore, der drittgrößten Stadt Indiens. Ahnungslos stürze ich mich als frisch gebackene Abiturientin in das Abenteuer. Ich muss jedoch schnell feststellen, dass die folgenden zwei Monate mein Denken für den Rest meines Lebens verändern werden.

Eine Reportage von Celina Bertrams.

„Celina Bertrams“
©Celina Bertrams

Gähnend packe ich meinen Koffer aus. Trotz geschlossener Fenster dringen das Knattern und Hupen der Mopeds und das Bellen der Hunde ins Zimmer. Während ich mir den Schweiß von der Stirn wische, schaue ich vorbei an der provisorisch verknoteten Stromleitung zur Straße hinunter. Ich beobachte drei Frauen, jede eine Mülltonne und einen gebastelten Besen im Schlepptau.

Dieses System der Müllabfuhr scheint jedoch nur bedingt zu funktionieren. Mit gebückter Haltung und langsamen Bewegungen schlurfen sie von einem Haufen zum nächsten. Den lodernden Müll lassen sie liegen. Kaum schließe ich die Gartenpforte hinter mir, blicke ich direkt in das knöchrige Gesicht einer Kuh. Das Tier schaut den Menschling kurz mit seinen großen Augen an, bevor es sich wieder dem neben der Straße liegenden Müll widmet. Ein stechender Geruch liegt in der Luft. Er lässt sich der Glut in dem Haufen zuordnen.

©Celina Bertrams
Eine Kuh auf den Straßen in Bangalore

Mopeds beladen mit vierköpfigen Familien und Rikschas mit Fahrgästen und Obst und Gemüse zuckeln durch die Schlaglöcher. Alle weichen der Kuh aus. Bloß nicht stehen bleiben, immer weiterlaufen. Aufatmend erreiche ich das andere Ende der Straße. „250 Rupees, please“. 250 Rupien entsprechen ungefähr drei Euro. Eine riesige Portion serviert in einer Eisenschale, gegessen mit der Hand, stehend inmitten von eilenden Fußgängern.

Glanz und Glamour

Ich sitze hinten auf dem Moped des Einheimischen Giri. Wir schlängeln uns mit dem Moped durch den Verkehr und passieren schließlich eine Grünanlange. Hinter den akkurat zugeschnittenen Bäumen erstreckt sich ein Gebäude über mehrere hundert Meter. Wir fahren in eine Tiefgarage. Porsche, Lamborghini, Mercedes. Giri gibt sein Moped ab und wir laufen in Richtung des verzierten goldschimmernden Eingangs.

©Celina Bertrams
Ein reich verzierter Hoteleingang in Bangalore

Es riecht dezent, dennoch erregend blumig. Weder Hundegebell noch ein Hupen, stattdessen ist ruhige Musik zu hören. Die massiven Säulen spiegeln sich im Marmorboden. Uns wird ein feuchtes, kühles, zitronig duftendes Handtuch angeboten. „Wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel nach Bangalore kommen würde, würde sie in diesem Hotel untergebracht werden“, erklärt Giri, während sich der Pool präsentiert.

Ein tosender Applaus ertönt und die Besucher verlassen den Saal, um sich im Vorraum über die in der Veranstaltung vorgestellten literarischen Werke auszutauschen. Die Männer tragen Anzüge, die Frauen präsentieren sich im traditionellen Sari. Ihr goldener Schmuck und die strahlenden Zähne funkeln um die Wette.

Hupen, Hunde, Kinder und Schlaglöcher

Zurück auf der Straße. Stopp. Hupen und warten. Kurz Gas geben, wieder bremsen und hupen. Der Busfahrer gibt ein Handzeichen. Keine goldenen Säulen, kein funkelnder Schmuck und keine akkurat geschnittenen Pflanzen.

Hupen, Hunde, Kinder, Schlaglöcher. Der vertraute beißende Geruch von Müll. Hitze. Ein Mädchen findet etwas im Dreck und hüpft mit einem breiten Grinsen im Gesicht und ihrer Errungenschaft in den Händen in die nächste Straße. Beim Vorbeifahren erhasche ich einen Blick in die Straße. Was sich mir dort präsentiert, wird mein zukünftiges Denken prägen.

Der Weg führt vorbei an kleinen aneinandergereihten Hütten. Grau, braun, weiß. Die dünnen Gewänder der Frauen sind kleine Farbtupfer in der sonst fahlen Welt. Gelb, rot, grün. Als Dächer dienen übereinandergelegte Platten von Wellblech. Kleidung hängt an Leinen in der Sonne. Eine Mutter mit eingefallenen Wangen sitzt unter einem Baum im Gras und stillt ihr Baby. Ein kleiner Junge jagt ein freilaufendes Huhn. Daneben Ziegen, die im Müll graben. Das kleine Mädchen läuft zu ihrer Mutter und zeigt ihr, was sie im Müll gefunden hat. Das Leben hier scheint eine Eigendynamik zu haben. Es präsentiert sich die klaffende Schere zwischen Arm und Reich.

Vorbei an offenliegenden Straßen. Zehn Meter hohe Bäume suchen sich ihren Weg durch die sparsam gepflasterten Gehwege. Vorbei an einem Lastenwagen, der zu einer sogenannten Bügelstation umgebaut wurde. Eine Frau steht barfuß in ihrem Sari dahinter und bügelt fremde Kleidung. Daneben wird Kohle erhitzt, um diese in dem Bügeleisen nach einer Weile zu wechseln.

©Celina Bertrams
Armenviertel in Bangalore

Weihnachten in Deutschland

„Das ist so unfair!“. Meine kleine Schwester stampft wütend in ihr Zimmer. Sie wünscht sich zu Weihnachten eine neue Spielkonsole, was ihr offensichtlich nicht erfüllt wird. Ich denke an das kleine Mädchen. An ihr Glänzen in den Augen als sie ihre Errungenschaft aus dem Müllhaufen stolz ihrer Mutter präsentiert. Ich denke an den Marmorboden, das himmelblaue Wasser des Pools und die Grünanlage. Ich denke an das Essen für drei Euro, das mich für mehrere Stunden satt machte. Und ich denke an unser großes Haus und die Spielkonsole, die meine Schwester bereits besitzt. Ich beschließe, dass ich mir nichts zu Weihnachten wünsche.

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