Migrationshintergrund als Barriere? – Die Bedeutung des deutschen Wohlstands für Zuwanderer

Teure Kleidung, ein Dach über dem Kopf und täglich unbegrenzter Zugang zu Strom, Wasser und Nahrung - materieller Wohlstand ist für viele Deutsche selbstverständlich. Doch was bedeutet Wohlstand für Menschen, die bereits vor dem Krieg flüchten mussten und somit aus sehr schwierigen Situationen kommen? Können sie den deutschen Wohlstand gleichermaßen erfahren?

Ein Feature von Julia Holubek.

 

„In meinem Land ist Krieg, überall Krieg, überall böse Menschen. Wir haben da nichts“, antwortet Alia (Name von der Redaktion geändert) auf die Frage, wieso sie nach Deutschland gekommen sei. Alia flüchtete vor drei Jahren mit den beiden Kindern und ihrem Mann aus Syrien. Mittlerweile ist sie gut in einer Gemeinde im Landkreis Celle angekommen und wohnt in einem gemieteten Haus. Ihre Geschwister, Eltern und auch Freunde musste sie in Aleppo zurücklassen – der Kontakt besteht nur, wenn es das Bombardement zulässt. Alia ist in Deutschland in Sicherheit. Doch wie erlebt sie den Wohlstand hierzulande? Welche Unterschiede bestehen zu denjenigen, für die ein finanziell gut gestelltes und vor allem sicheres Leben Normalität ist? 

Integration schafft den Grundstein 

Um zu erreichen, dass Flüchtlinge in ihrem Ankunftsland zurechtkommen, gibt es vielfältige Integrationsangebote. Eine Möglichkeit, Hilfe im alltäglichen Leben zu bekommen, ist die Arbeit von Integrationsbeauftragten. „Es ist kein Ausbildungsberuf. Man traut es sich halt zu und macht es für die Menschen“, sagt Alexandra Bönsch, die Koordinatorin für Flüchtlingsarbeit in Faßberg. Ihre Aufgaben sind vielfältig: „Ich weiß nie, wer zur Tür hereinkommt und was die Person für ein Problem hat. Es kann sein, dass ein Elternbrief aus der Schule übersetzt werden muss, dass sie geblitzt wurde, oder große Probleme hat, weil sie abgeschoben werden soll. Es ist sehr abwechslungsreich und man versucht zu helfen, wo man kann.“ 

Alexandra Bönsch, Koordinatorin für Flüchtlingsarbeit in Faßberg ©Julia Holubek
Alexandra Bönsch, Koordinatorin für Flüchtlingsarbeit in Faßberg

Ohne Arbeit, kein Geld und kein Wohlstand 

Um materiellen Wohlstand zu erfahren, müssen finanzielle Mittel, eine Beschäftigung gefunden werden. Auch dabei hilft Frau Bönsch. „Die wollen sich nicht integrieren, die gehen nicht arbeiten, die leben nur vom Staat“. Diese und andere vor allem in den sozialen Medien häufig gepostete Äußerungen zeigen, dass eine große Unwissenheit über die formalen Abläufe eines Integrationsprozesses herrscht. Laut Aufenthaltsgesetz dürfen drittstaatangehörige Ausländer grundsätzlich nur eine Erwerbstätigkeit ausüben, wenn sie einen Aufenthaltstitel besitzen, der nach Bestimmung des Aufenthaltsgesetzes die Erwerbstätigkeit erlaubt. Zunächst wird somit der Asylantrag gestellt, woraufhin im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) ein Interview mit den Geflüchteten geführt wird. In diesem berichten sie über ihre Geschichte. Im Zeitraum der Überprüfung der Angaben werden die Migranten geduldet, während im Pass der Migranten ausdrücklich festgehalten wird, dass der Wohnort nicht gewechselt und nicht gearbeitet werden darf. Wenn sie während der Duldung trotzdem arbeiten wollen, ist das ein sehr aufwändiger Prozess, wie Alexandra Bönsch erklärt. Nach der Prüfung des BAMF und mit der Genehmigung des Asylantrags wird ein Vertrag mit dem Jobcenter geschlossen, womit die Geflüchteten eine Verpflichtung eingehen, sich zu integrieren. Erst dann bekommen sie Geld und die Berechtigung einer Arbeit nachzugehen. Diese zu finden, stellt jedoch eine neue Herausforderung dar.

Migrationshintergrund als Barriere für materiellen Wohlstand

„Ich schreibe mit ihnen Bewerbungen und sehr viele Familienväter kamen danach zu mir, und sagten, sie mussten sich anhören, Leute aus Afghanistan beschäftigen sie gar nicht. Sie fühlen sich absolut ihrer Würde beraubt“, so die Integrationsbeauftragte. Dies zeigt eindrücklich, dass, auch wenn der Wille zum Arbeiten besteht, die formalen Aspekte geklärt und eine Aufenthaltsgenehmigung bestätigt wurde, der Weg zu finanziellen Mitteln und somit zu materiellem Wohlstand noch nicht geebnet ist. Es ist sehr schwierig für Migranten, Wohlstand in diesem Sinne gleichermaßen zu erfahren wie Einheimische.

Wohlstand bedeutet mehr, als sich das Schokoladenei kaufen zu können

„Viele versuchen für ihre Kinder mitzuhalten. Sie kaufen von ihrem letzten Geld Markenschuhe, um ihren Kinder Statussymbole des Geldes zu beschaffen“, erzählt Frau Bönsch. Die Migranten verstehen, was materieller Wohlstand in Deutschland für einen Stellenwert hat. Die materiellen Dinge scheinen trotzdem nicht das Wichtigste zu sein, um sich hier wohl zu fühlen. „Ich habe keine Angst mehr. Alle sind nett und freundlich und ich muss keine Angst mehr haben. Alle helfen mir und ich habe Freunde.“, antwortet Alia mit einem Lächeln auf den Lippen, auf die Frage hin, wie es ihr in Deutschland gefällt. Es sind immer die gleichen Worte, die Alia benutzt: Sicherheit, Frieden, keine Gewalt, keine Verfolgung. Wohlstand – das steht für sie zunächst für immaterielle Dinge.

Aus Gründen der leichteren Lesbarkeit wurde in diesem Blogbeitrag die männliche Sprachform bei personenbezogenen Substantiven und Pronomen verwendet. Diese ist als geschlechtsneutral zu betrachten und dient lediglich einer sprachlichen Vereinfachung. Mir ist wichtig zu betonen, dass ich damit auf keinen Fall eine Benachteiligung des weiblichen Geschlechts ausdrücken möchte.

 

Zu diesem Thema gibt es eine Veranstaltung auf der Konferenzwoche 2020 mit dem Titel "Flucht nach Europa! – Und was dann?"

Podiumsdiskussion mit der Intellektuellen Prof. Dr. Gesine Schwan, dem Aktivist Simeon Leisch, der Islamwissenschaftlerin Lamya Kaddor und dem Bundestagsabgeordneten Eckhard Pols
 

Donnerstag, 27. Februar 2020 | 11:15-13:00 | Auditorium

 

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